Die documenta 15: Was war das nur für ein Theater?

Nach 100 Tagen endet am Sonntag die documenta fifteen. Dominantes Thema war der Verdacht auf Antisemitismus. Kunst und Künstler können da nur den Kürzeren ziehen.
von  Christa Sigg
Die Marionetten der Fondation Festival sur le Niger aus Mali haben für die erfreulich "theatralischen" Seiten der documenta gesorgt. Über die Figuren werden Mythen und Legenden des afrikanischen Landes vermittelt, die Compagnie Sogolon gibt diese Tradition an heutige Generationen weiter.
Die Marionetten der Fondation Festival sur le Niger aus Mali haben für die erfreulich "theatralischen" Seiten der documenta gesorgt. Über die Figuren werden Mythen und Legenden des afrikanischen Landes vermittelt, die Compagnie Sogolon gibt diese Tradition an heutige Generationen weiter. © cis

Hat man sich jemals bei einer documenta so oft die Augen gerieben? Und hat sich da nicht ein Albtraum abgespult, wie man ihn in der freiheitsliebenden Bundesrepublik partout nicht haben will? Haben darf?

documenta 15 endet: Die Kunst blieb weitgehend Nebenschauplatz

Satiren über die Kunst- und Kuratorenszene, die Ruben Östlund und Co. in die Kinos bringen, sind jedenfalls Peanuts gegen das, was sich in diesem Jahr in Kassel abgespielt hat - und auch nicht annähernd humorvoll zu nehmen war. Von immer neuen Antisemitismus-Vorwürfen, die lange vorm Start im Raum standen, über die üblichen Forderungen nach einem Abbruch bis hin zu den ständigen Debatten über Zensur und Kunstfreiheit.

Um mehr ging es scheinbar nicht bei dieser documenta fifteen, die am Wochenende nach 100 Tagen endet. Die Kunst blieb weitgehend Nebenschauplatz. Mit etwas blumigeren Formulierungen resümiert das auch Interims-Geschäftsführer Alexander Fahrenholtz, der im Juli elegant für die durchaus wohlmeinende, aber reichlich ungeschickte Sabine Schormann einspringen durfte.

Das zentrale Problem? Man hat nicht miteinander geredet

Es wurde freilich auch nichts unternommen, um die Kunst aus dem Abseits zu holen. Dafür nämlich hätte man sehr schnell sehr entschieden ein paar grundlegende Dinge klären müssen. Und das schon vor dem demonstrativ "Friede, Freude, Eierkuchen"-mäßigen Auftakt Mitte Juni. Doch ruangrupa, das Kuratoren-Kollektiv aus Indonesien, wich den Gesprächen aus und brauchte dann ziemlich lange, um sich überhaupt zu äußern.

Ein Betriebsunfall um ruangrupa? Wenn ja, dann ein bizarrer

Konsequenzen hatte das keine. Man konnte ja lässig mit der Freiheit der Kunst kontern. Und die ist - gerade in Deutschland - eingedenk der Geschichte eine heilige Kuh. Zurecht. Aber dann gibt es - gerade in Deutschland - auch wieder sehr klare Grenzen. Antisemitismus geht gar nicht. Punkt.

Diese ganz besonderen Befindlichkeiten schienen ruangrupa zunächst fast trotzig zu ignorieren. Dann kam der Konter, das Kollektiv habe in seiner Heimat das brutale Regime des Diktators Suharto erlebt, der auch Kunst zensieren ließ. Ruangrupa erlebe nun, wie zum Beispiel Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Entfernung umstrittener Kunstwerke forderte.

Ein Betriebsunfall? Wenn ja, dann ein bizarrer. Denn zwischendurch wurde wieder Besserung gelobt, ruangrupa distanzierten sich etwa von der BDS-Bewegung, die zum Boykott Israels aufruft. Und schließlich kam in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" überdeutlich zur Sprache, wie wenig das Kollektiv - und vermutlich auch die meisten Partner-Kollektive - über dieses Deutschland und ihren "Arbeitgeber" wussten: was ein "antisemitisches Motiv" und welch ein sensibles Thema Antisemitismus in Deutschland seien.

Den bislang kaum Sichtbaren einfach nur eine schöne Plattform zu bieten, ist zu wenig

Man mag das alles gar nicht weiter wiederkäuen, genauso wenig die Widersprüche, in die sich das Gros der Beteiligten verstrickt hat. Zumal die Situation längst so verfahren ist, dass man nicht mehr miteinander reden und schon gar nicht diskutieren kann. Es gibt nur noch eine Sackgasse der Stellungnahmen.

Dabei könnte man aus dem ganzen Schlamassel sehr wohl lernen. Möglichst alles richtig machen zu wollen und auf Teufel komm raus den bösen westlichen Blick abzulegen, muss nicht immer das Gute befördern und kann auch kein Allheilmittel sein. Den bislang kaum Sichtbaren einfach nur eine schöne Plattform zu bieten, ist zu wenig und zeugt nicht von wirklichem Interesse. Echte Auseinandersetzung wäre gefragt, aber die ist anstrengend, sehr sogar, und man läuft Gefahr, nicht immer sympathisch rüberzukommen.

Die documenta braucht dringend neue Strukturen

Mit 30 und mehr Künstlergruppen wird es aber auch unüberschaubar. Dabei ist die Idee des Kollektivs attraktiv und wird sich in vielerlei Hinsicht als zukunftstauglicher erweisen als das Modell Einzelkämpfer. Auf der anderen Seite verschwindet in der Gruppe das persönliche Profil - für den Kunstmarkt eine Katastrophe. Doch das muss documenta-Macher nicht kratzen, das birgt im Gegenteil auch Chancen in einer Zeit aufgeblasener Star-Artisten und realitätsferner Auktionsergebnisse.

Besucherinnen und Besucher ziehen ja mit. Das Fehlen bekannter Namen und selbst die Antisemitismus-Debatten hatten keine Auswirkungen auf den Zuspruch: Die Zahlen liegen nur etwa 15 bis 20 Prozent unter denen der documenta 14 von 2017. Und das nach zwei Jahren Pandemie und erneut steigenden Fallzahlen. Am Ende könnten es 750.000 Menschen sein, die sehen wollten, was den sogenannten "globalen Süden" in künstlerischer Hinsicht umtreibt.

Wobei der Kunstbegriff für viele ein zentraler Aufreger ist. Mit den alten Maßstäben kommt man eh nicht weit, auch das hat diese documenta demonstriert. Der Kasseler Kunstwissenschaftler Harald Kimpel ist nicht der einzige, der von der "Entkunstung" dieser Weltkunstschau spricht und mit "kulturellen Lebensäußerungen" gleich noch einen Ersatzbegriff findet. Deshalb muss man aber das Konzept der documenta noch nicht komplett infrage stellen, wie das viele ihrer Kritiker tun.

Jedenfalls hat Kassel viele gezwungen, über das Format von Kunstausstellungen sowie die Verantwortung von Auswahlgremien und Kuratoren nachzudenken. Dass einige Strukturen reformbedürftig sind, ist nicht erst durch diese documenta klar geworden. Den Künstlerinnen und Künstlern, die in den Querelen untergegangen sind, wird das nichts mehr nützen.

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