Die Biennale in Venedig: Rauschhafte Wucht der Weiblichkeit
Sie ist ständig in Bewegung. Dann schwingt ihr Rock unterm strengen schwarzen Jackett, und Cecilia Alemani lächelt fröhlich in die Kameras. Ja, die Kuratorin der 59. Biennale will in Venedig die Kunst feiern. Endlich. Nach zähen Pandemiejahren mit unzähligen Bildschirmsitzungen im New Yorker Homeoffice sehnt sich die Italienerin nach echten, greifbaren Werken – und nach Begegnungen.
Die Runde um sie johlt und jubelt, selten ging es beim Auftakt der Großausstellung so ausgelassen zu wie jetzt im zentralen Pavillon der Giardini. Was Alemani zusammengetragen hat, ist allerdings auch von einer animierenden Vitalität und bei allem Ernst der Themen oft von Leichtigkeit und Verspieltheit bis hin zum bizarr Surrealen durchzogen. Es geht um die Darstellung von Körpern, deren Beziehungen zueinander, um Metamorphosen und nicht zuletzt um das Verhältnis zur Natur, zur Erde, zum Kosmos.
Den Namen "The Milk of Dreams" hat Alemani von einer englischen Surrealistin übernommen
Das reicht von Katharina Fritschs riesiger Polyester-Elefantin, mit dem die Hauptausstellung in den Giardini unverkrampft matriarchalisch beginnt, bis zum ausladenden Garten der 29-jährigen nigerianisch-englischen Precious Okoyomon. Im Arsenale beschert sie dieser Schau einen fulminanten Abschluss, der im Reiz des Geheimnisvollen auch latent nach einer ungewissen, postapokalyptischen Welt riecht. Dazwischen reihen sich Rosemarie Trockels monochrome Wollbilder und Charline von Heyls knallig-komplexe Abstraktionen genauso wie die verwirrenden Phantasmen der Chilenin Cecilia Vicuñas. Oder Niki de Saint Phalles quietschbunte Skulptur „Quendolin“ und Nan Goldins lockende „Sirene“ sowie feinsinnig zarte (Birgit Jürgenssen) und schrille Mensch-Tier-Figurationen (Andra Ursuta).
Hier greift dann auch der Biennale-Titel „The Milk of Dreams“, den Alemani von der englischen Surrealistin Leonora Carrington übernommen hat. In deren gleichnamigem Kinderbuch sind kuriose Mischwesen zu finden, die sie für ihre Söhne an die Schlafzimmerwände gemalt hatte. Ob sie dadurch schöner oder verwegener geträumt haben?
Der Biennale gelingt das ohne Zweifel. Dabei stehlen sich die über 1500 Arbeiten von exakt 213 Künstlerinnen und Künstlern aus 58 Ländern auch gegenseitig die Show. Im Eifer des wohlmeinenden Gefechts für die lange unterrepräsentierten Frauen hat die 44-jährige Hauptkuratorin keinen Punkt gefunden. Das macht die feminine Wucht – die Männer muss man tatsächlich suchen – ein bisschen unübersichtlich.
An die Katastrophe des Kriegs wird man nur an wenigen Stellen erinnert
Aber wer erst einmal anfängt, nach Vergessenem, Übersehenem oder Unterschätztem zu fahnden, kann schwerlich aufhören. Denn da ist immer noch eine Künstlerin, die einen Platz auf der neben der documenta nach wie vor wichtigsten Großschau für zeitgenössische Kunst verdient hätte. Wobei auch die Vergangenheit zumindest in fünf Zeitkapseln eine Rolle spielt. Das sind abgetrennte Kabinette, in denen sich etwa Mary Wigman und Josephine Baker gegenüberstehen oder vielmehr tanzen. Hannah Höch, Sophie Taeuber-Arp und Sibylla Merian haben ebenfalls einen anregenden Auftritt und fügen sich famos in den Kreis ihrer nachgeborenen Kolleginnen.
Dass 1300 Kilometer weiter im Osten ein unsäglicher Krieg wütet, wird zwar in jeder offiziellen Ansprache beschworen. An die Katastrophe selbst wird man freilich nur an wenigen Plätzen erinnert. Vor der Diskussionsbühne der Giardini etwa präsentieren Ukrainer ihre Kunst. Dabei geht das unmissverständlichste Zeichen von einem Hügel aus Sandsäcken aus – sie sind in den bombardierten Städten allgegenwärtig. Das kräftig angeschmorte Holzgerüst daneben tut ein Übriges.
Und dann gibt es noch ein vielsagendes Bild. Vor dem verwaisten russischen Pavillon muss ein Uniformierter Wache schieben. Der Italiener steht einsam da wie der Soldat am Wolgastrand und hofft vermutlich, dass keine Farbbeutel fliegen oder weiß Gott was. Am Freitag versammelten sich dort Künstlerinnen, Galeristen, Kuratorinnen und Ausstellende, um gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren.
Die Welt befindet sich in einem Zustand der Erschöpfung
Ohnehin wäre die Situation prekär geworden, hätten der Künstler Kirill Savchenkov und Kurator Raimundas Malaauskas nicht sofort nach dem Einmarsch von Putins Truppen ihren Rücktritt vom russischen Biennale-Projekt erklärt. Damit sind die beiden einer unangenehmen Debatte und auch einem Ausschluss zuvorgekommen.
Dagegen muss man im Pavillon der Ukraine auf dem Arsenale-Gelände die Hintergründe schon kennen. Pawlo Makow hat auf eine alte Installationsidee von 1994 zurückgegriffen: Durch 78 bronzene Trichter mit je zwei Ausgängen fließt Wasser in ein Becken, damit wollte der Künstler zunächst die mühsame Orientierung nach der Sowjet-Zeit veranschaulichen. Doch über die Jahre habe „The Fountain of Exhaustion“ („Brunnen der Erschöpfung“) seine Beschränkung auf die Ukraine verloren, sagt er. Jetzt befinde sich die ganze Welt im Zustand der Erschöpfung: Einerseits, was die Menschlichkeit betrifft. Andererseits zeige sich die Demokratie in Anbetracht der aktuellen Ereignisse als geradezu wehrlos.
Cecilia Alemani ist jedenfalls nicht die Einzige, für die die Welt eine bessere wäre, würde sie von Frauen regiert. Unterm Lehm-Rock von Simone Leighs Afro-Mama, mit der die Schau im Arsenale grandios beginnt, müsste man bestimmt nicht verkommen.
Kunstbiennale Venedig: bis 27. November, www.labiennale.org
In den Untiefen des Deutschen Pavillons
Angesichts des Krieges hat die Leere im Deutschen Pavillon noch einmal eine andere Brisanz bekommen. Und nein, er wurde nicht zerstört, wie das manche befürchtet hatten. Die Künstlerin Maria Eichhorn ist ihm nur ans Eingemachte gegangen, und damit befindet sie sich in einer guten deutschen Tradition. Spätestens seit den Siebzigerjahren wird die 1938 von Ernst Haiger monumentalisierte Architektur infrage gestellt. 1976 etwa durch Joseph Beuys. Keine zwanzig Jahre später hatte Hans Haake (1993) die Bodenplatten zertrümmert, und Peter Cachola Schmal ließ zur Architekturbiennale 2016 die Wände durchbrechen.
Eichhorn legt die Eingriffe der Nazis quasi frei
Unter dem Titel "Relocating a Structure" hat Maria Eichhorn die Eingriffe der Nationalsozialisten quasi freigelegt. Entsprechend schaut es aus wie auf einer archäologischen Grabungsstätte. An den Wänden wurde Putz weggebrochen, in den Boden ist ein beträchtliches Loch gerissen, das die Fundamente der einstigen Rückwand freigibt. Als Bayerischer Pavillon wurde das Gebäude 1909 wesentlich kleiner und in zurückhaltendem Klassizismus nach den Plänen eines Venezianers errichtet.
Das Gehäuse musste von Haiger im Schnellverfahren aufgemotzt werden, das Austarieren der Proportionen war nicht so wichtig, Hauptsache hoch und mächtig. Dabei geht es Eichhorn lange nicht nur um die sichtbaren Eingriffe am Bau. Das wäre dieser subtil vorgehenden Tiefenschürferin zu plakativ und nicht nachhaltig genug.
Mit der Aktion "Restitionspolitik" kam Eichmann zur richtigen Zeit
2017, auf der letzten documenta, hat sie das Rose-Valland-Institut gegründet, das nach wie vor die ehemaligen Besitzer von NS-Raubkunst aufspürt. Bereits 2003 ließ sie im Münchner Lenbachhaus Gemälde umdrehen, um damit auf fragwürdige Eigentumsverhältnisse zu deuten. "Restitutionspolitik" hieß die Aktion damals. Eichhorn kam damit genau zur richtigen Zeit. Das haben viele erst zehn Jahre später realisiert.
Und nun sind es die aufgerissenen Gräben und Wände, die im Gedächtnis bleiben, auch wenn sie bis zur nächsten Biennale wieder zugeschüttet und fein säuberlich verputzt sein werden. Irgendwie hätte man lieber den ursprünglichen Bau zurück.
Auf der anderen Seite lässt sich Geschichte nicht zurückdrehen. Insofern ist Maria Eichhorns Tiefgang die bislang überzeugendste Auseinandersetzung mit dem Nazi-Klotz.
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