Die Ausstellung "Du bist Faust"

Teuflisch ist dieses Lachen, bis hinein ins Überdrehte. Erst dann breitet Klaus Maria Brandauer in der Rolle des Schauspielers Hendrik Höfgen seinen blutrot gefütterten Umhang aus und gibt für alle im Theater sichtbar den umjubelten Mephisto. Diese Szene aus István Szabós Film mag bald 40 Jahre alt sein, aber wer den Eiertanz des sich anbiedernden Mimen in der Loge des Ministerpräsidenten – Rolf Hoppe in NS-Uniform – je gesehen hat, dem bleibt dieser Spuk im Gedächtnis.
Jetzt ist der Zusammenschnitt aus Szabós Meisterwerk nach Klaus Manns Roman-Anspielung auf Gustaf Gründgens einer der ersten Hingucker einer höchst ambitionierten Faust-Präsentation: Kunsthallen-Direktor Roger Diederen und Thorsten Valk von der Klassikstiftung Weimar wollen weit mehr vor Augen führen als literaturbeflissene Kunst um Johann Wolfgang von Goethe berühmtestes Stück.
Ständiges Streben
Sowieso ist staubiger Schulstoff kaum dazu angetan, Besucherströme ins Haus zu holen. „Du bist Faust“ lautet deshalb der provokativ-offensive Ausstellungstitel. Der Plot um ständiges Streben und die Verführung ist schließlich so aktuell wie selten seit der Erstveröffentlichung des Dramas im Jahr 1808 und leider so gefährlich greifbar wie nie.
Es sind allerdings weniger die Einsprengsel aus unserer Gegenwart wie Comics oder Albert Ostermaiers eigens für die Schau produzierte Video-Installation mit ganz heutigen „Faust“-Fragen, die einem das Thema so sehr auf die Pelle rücken. Es ist vielmehr dessen Aufbereitung in einem begehbaren Theaterstück, entworfen vom Künstler und Bühnenbildner Philipp Fürhofer. Fast unmerklich wird der Besucher hineingezogen in einen schillernden Parcours aus Film, Musik, Requisiten, Skulpturen, Grafik und besonders viel Malerei.
Das geht damit los, dass man sich an einer zig-fach vergrößerter Puppentheaterfront aus Johann Wolfgang von Goethe Kindheit durch einen schweren roten Samtvorhang kämpfen muss, um dann unter einem betörenden Sternenhimmel auf das ewig Böse zu treffen. Splitterfasernackt sitzt ein aus Marmor gemeißelter Mephisto in eleganter Verschränkung auf einem Fels und sinniert vermutlich darüber, welche arme Seele er demnächst piesacken könnte.
Blässliche Gelehrte
Durch eine geschickte Spiegelung im Hintergrund macht Mark Antokolskis bis weiß Gott wohin duplizierter Denker (1883) auch noch deutlich, dass die dunkle Macht niemals aufgibt. Das mag banal sein, aber wann sieht man das schon so sinnfällig wie simpel in einen Bild-Raum umgesetzt?
Und wie Mephisto wird auch das restliche Stammpersonal in eigenen Bereichen vorgestellt: erst der mit sich hadernde Faust, dessen Forschen nicht zur dringend begehrten Welterkenntnis führt – das ist gerade in der Kunst des 19. Jahrhunderts fast inflationär durch blässliche Gelehrte in pelzverbrämten Renaissancekutten wiedergegeben.
Georg Friedrich Kersting, Gabriel von Max, Johann Peter Krafft und viele mehr lassen uns in düstere Studierstuben blicken. Doch ums Eck wird es ja licht mit dem Gretchen, das so blütenrein und kreuzbrav von den Wänden schaut, dass man die güldene Versuchung des nächsten Kabinetts schier herbeisehnt, um wieder auf die Erde zu kommen.
Was beflissenen Margareten-Malern wie Louis Ammy Blanc (1837) zu sehr ins eindimensional Madonnenhafte entgleitet, gleichen raffinierte Durchblicke – beim Opfer Gretchen passend in Kreuzform – in die nächsten Räume aus, wo’s um die Unschuld längst geschehen ist und eine ausgezehrte Kindsmörderin auf ihre Strafe wartet. Erst recht bildet die triviale Flut der Faust-Postkarten um 1910 ein herrliches Korrektiv, das man heute nur mehr ironisch verstehen und genießen kann: Köstlich, wenn ein Nackedei im Paradiesgarten sitzt und die Blütenblätter von einer Margerite (!) zupft: „Er liebt mich, er liebt mich nicht…“
Der Kerl will halt nur eines, und wie man weiß, erreicht er das spielend mit einer Schatulle Schmuck. Das kommt ausgerechnet in Frank Cadogan Cowpers extrem spätem präraffaelitischen Rückgriff „Eitelkeit“ von 1907 so schön opulent und dabei süffisant auf den Punkt, dass man dafür auf manchen historistischen Schinken verzichten würde.
Viel Unbekanntes aus privaten und weit entfernten Sammlungen
Überhaupt ist die Fülle ein kleines Problem in dieser um inspirierende Eindrücke nicht verlegenen Ausstellung. Man bekommt tatsächlich viel Unbekanntes aus privaten und weit entfernten Sammlungen zu Gesicht, das ist gerade in Zeiten immer gleicher Bilder ein Verdienst. Dass Faust und Margarete bei allen Verrenkungen so gar nicht harmonieren, wird aber mit dem fünften, sechsten Paarlauf kaum evidenter. Genauso schnappen das mysteriöse „Mephisto“-Gemälde (1988) des Farbalchimisten Sigmar Polke sowie Anselm Kiefers vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Holocaust unter dem Celan-Titel „Dein goldenes Haar Margarethe“ (1981) ein wenig nach Luft.
Doch es gibt dann auch wieder diese weiten Inseln der Fantasie, auf denen das ganz große Theater spielt, wie im zentralen Kunsthallen-Saal, der zur Pariser Garnier-Oper umfunktioniert wurde. Zu Aufnahmen aus Charles Gounods „Faust“ nimmt man nicht etwa auf einem der roten Samtsessel Platz. Wer den Raum betritt, steht mitten auf der Bühne in einer Garten-Kulisse und muss sich eigentlich nur noch für die passende Rolle entscheiden. Dass es böse ausgeht? Vergisst man schnell im Rausch der Klänge.
Dabei warten gefallene Engel, die zerlumpt im Kerker nach Erlösung dürsten, – wie voyeuristisch ist da doch die Malerei – und erst recht das Bildspektakel geiler Walpurgisnacht-Hexen. Am Ende bleiben die feinsinnigen Zeichnungen aus Max Beckmanns „Faust II“-Zyklus haften, entstanden in den Kriegsjahren 1943 und 44 im Amsterdamer Exil. Zu sehen sind Häuser, die im Flammen stehen, ein abstürzender Ikarus oder eine menschliche Kreatur in einer Phiole. Damit ist auch heute noch alles erzählt.
„Du bist Faust. Johann Wolfgang von Goethe Drama in der Kunst“, bis zum 9. Juli in der Kunsthalle München, Theatinerstraße 8, täglich von 10 bis 20 Uhr, Katalog (Prestel) 34,95 Euro