Des Rätsels Lösung beginnt

Am Schwabinger Kunstfund forscht jetzt eine Gruppe von Experten, Nachkommen jüdischer Verfolgter erheben Ansprüche
von  cis/dpa

Den Schwabinger Kunstfund untersucht jetzt eine Gruppe von Experten, die Nachkommen jüdischer Verfolgter erheben Ansprüche

Erstaunlich lange hat’s gedauert bis die Politik bei diesem hochbrisanten Fall in die Gänge gekomme ist. Der internationale Druck war auch der gerne abwartenden Bundeskanzlerin zu hoch, die Fachwelt forderte sowieso unisono, dass der Münchner Kunstfund mit seinen 1400 Werken von einer gut aufgestellten Forscher-Crew untersucht werden muss. Und das geschieht jetzt.

Eine mindestens sechsköpfige Expertengruppe, die sich gestern bereits getroffen hat, wird die Herkunft der Bilder recherchieren, darunter Werke von Max Liebermann, Henri Matisse, Marc Chagall und Otto Dix, aber auch alte Meister wie Canaletto. Die erste, 25 Bilder umfassende Liste, die am Montagabend auf www.lostart.de veröffentlicht wurde soll fortlaufend aktualisiert werden.

Schon kurz nachdem sie online ging, war die Plattform völlig überlastet, bereits die wenigen im Briefmarkenformat eingestellten Bilder mit möglichem Nazi-Raubkunst-Hintergrund finden weltweites Interesse. Und gleich gestern meldeten Erben von damals verfolgten Juden erste Ansprüche an.

970 Werke sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft Augsburg zu untersuchen. Man muss davon ausgehen, dass die NS-Raubkunst mit rund 590 Werken den größten Teil der beschlagnahmten Sammlung des Kunsthändlersohnes Cornelius Gurlitt ausmacht. Das sind Arbeiten, die verfolgten Juden während der Nazi-Zeit weggenommen, abgepresst oder – unter Druck – zu lächerlichen Preisen abgekauft wurden. Mit 380 Bildern deutlich geringer als angenommen fällt der Anteil an Werken aus, die von den Nazis als „entartet” eingestuft wurden.

Die Bundesregierung habe jetzt „heiße Luft aus dem Ballon gelassen”, sagte der Provenienzforscher Willi Korte (er hat den Quedlinburger Domschatz aufgespürt). Die entscheidende Frage nach der Zukunft der Bilder sei allerdings nicht geklärt. Ein besonders heikler Punkt. Denn zurzeit ist die Sammlung Gurlitts zwar im Besitz der Staatsanwaltschaft Augsburg – sie geht dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und Unterschlagung nach. Der tatsächliche Eigentümer ist nach der Einschätzung von Zoll und Rechtsexperten aber Cornelius Gurlitt selbst.

Dessen Vater Hildebrand Gurlitt hat für viele Werke ordnungsgemäß gezahlt. Und selbst wenn Bilder unterschlagen wurden, dann ist dies nach 30 Jahren verjährt. Für Privatpersonen gilt auch nicht die Washingtoner Erklärung von 1998, die öffentliche Museen und Einrichtungen zu einer „gerechten und fairen Lösung” mit den Erben verpflichtet. Es besteht allerdings Hoffnung: Beim Verkauf der Guache „Löwenbändiger” von Max Beckmann im Jahr 2011 war Cornelius Gurlitt bereit, sich den Erlös mit den Flechtheim-Erben zu teilen.

Würde man sich mit Gurlitt grundsätzlich einigen können, wäre das ein großer Fortschritt. Und das sollte, ja, muss unabhängig vom Wert der Bilder geschehen. Ob nun die zum gegenwärtigen Zeitpunkt übertrieben erscheinenden Top-Summen verhandelt werden oder deutlich niedrigere Beträge.

Fragt sich dennoch, weshalb der Fund in Anbetracht seiner Brisanz so lange geheim gehalten wurde. Die Bundesregierung war seit mehreren Monaten über den Fall unterrichtet, das bestätigt Sprecher Steffen Seibert. Erst mit der Berichterstattung in den Medien schrillten die Alarmglocken. Neben Gurlitts Sammlung wird auch dieses „Unter-Verschluss-Halten” zu untersuchen sein.

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