Der Fotograf Stefan Moses ist tot

Seit Dezember zeigt das Literaturhaus Hippiebilder von Stefan Moses – nun ist der große Fotograf im Alter von 89 Jahren in München gestorben
von  AZ
Ganz schön lockig: Der Afro-Look war bei den Blumenkindern beliebt.
Ganz schön lockig: Der Afro-Look war bei den Blumenkindern beliebt. © Stefan Moses

Er war einer der bedeutendsten Chronisten der deutschen Nachkriegsgeschichte: Stefan Moses. Im schlesischen Liegnitz geboren, lebte er seit Jahren in München. Er war ein Künstler in der Nachfolge der Fotografen-Legende August Sander, sah sich aber selber eher als Handwerker, der auch in Zeiten der Farbflut dem Schwarz-Weiss treu geblieben ist.

Am Samstag ist Stefan Moses im Alter von 89 Jahren in seinem Haus in München gestorben. Das Literaturhaus München hat mit ihm noch die Ausstellung „Blumenkinder“ konzipiert, die bis 25. Februar dort zu sehen ist. „Love and Peace“ – Liebe und Frieden – war die Botschaft, die man am besten mit Blumen im Haar weitertrug: von San Francisco, das der Folk-Barde Scott McKenzie in seiner sanften Hippie-Hymne besungen hat, über die ganze USA bis ins alte Europa. Und wer es damals im Süden Deutschlands nicht bis in die Staaten geschafft hat, der ist nach Schwabing getrampt, um in Kommunen ein neues Miteinander und freie Liebe auszuprobieren.

Ein Chronist der Bundesrepublik

Berührungsängste schien es sowieso nicht zu geben: auf den Bildern von Stefan Moses wird geküsst und gekuschelt, und manchmal sind gleich fünf, sechs WG-Bewohner auf ihrem Flokati ineinander verkeilt. Erstaunlich sind Moses‘ Aufnahmen in mehrerlei Hinsicht. Denn sie vermitteln nicht nur das Gefühl und die „Vibrations“ der Blumenkinder um die „Zeitwende 1968“, wie es im Ausstellungstitel heißt. Diese kleinen Serien sind selbst für Moses-Gefährten eine Überraschung, zumal sie bis auf ein, zwei Beispiele nun erstmals in der Öffentlichkeit gezeigt werden.

Moses ist durch psychologisch präzise Porträts von Schauspielern, Schriftstellern, Philosophen, Politikern – man denke an Willy Brandt – und Künstlern bekannt geworden. Ernst Jünger, Peggy Guggenheim, Oskar Maria Graf (das berühmte Bild im Wald), Erich Kästner, Ilse Aichinger und viele mehr haben seinem Blick vertraut. Denn Moses war ihnen ein wacher, unvoreingenommener sowie kultur- und geistesgeschichtlich höchst versierter Gesprächspartner.

Ein Intellektuellen- und Künstler-Versteher, könnte man sagen. Wenn Moses Menschen vor seinem stets präsenten Filztuch auftreten lässt, dann nehmen sie Haltung an, die der Analytiker mit sanfter Nachsicht unterläuft. Dieser Fotograf ist nie Zyniker, aber er decouvriert alles, was nach Pose aussieht. Denn im Gegensatz etwa zu Henri Cartier-Bresson, gibt es für Stefan Moses nicht den „moment décisif“, also den einen entscheidenden Augenblick, der alles aussagt.
Deshalb hat er immer in Sequenzen fotografiert, das heißt, den „moment fugitif“ eingefangen und kurze, eindringliche Geschichten in Schwarzweiß erzählt. So, wie ein paar Takte aus McKenzies „San Francisco“ halt doch mehr Flower-Power-Feeling rüberbringen als ein einzelner Gitarrenriff.

Jenseits der Schokoladenseite

Das Münchner Stadtmuseum hat 1995 das Archiv von Moses erworben und stellte 2002 in einer großen Werkschau mit 220 Aufnahmen die Kernzellen der Spurensuche von Stefan Moses aus: „Deutsche Vita“ war ein konzentrierter Gang durch die neuere Geschichte zwischen Pathos und Humor, wobei Deutschland neben kurzen auswärtigen Visiten im Zentrum der Analyse steht. Wichtig war dabei, dass Stefan Moses Deutschland nie in West und Ost aufspaltete, sondern beide Gesellschaften ins Objektiv nahm. Man sieht die Deutschen in ihrer Armseligkeit und Kuriosität – ausgestellt wie Metaphern einer politischen Entscheidung.

„Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft“, war der Titel des 1998 bei Prestel erschienenen Moses-Bandes. Die angebliche deutsche Identität wird hier mit bewusst inszenierten Positionen in Frage gestellt: Es ist der Mensch, den Stefan Moses sucht, den einfachen, den staatstragenden und den intellektuellen.

Denn Moses ist kein Mann des Namedroppings. Er fixiert in seinem kritischen Deutschlandbild die Schokoladenseite einer um den eigenen Selbstwert kämpfenden Generation. Er beobachtet Wahlkämpfe, die dazugehörigen Damen, die ihre Männer mit Chic und Charme unterstützen; aber daneben auch unscheinbare Vereine, Schulen und das am Rande des Glamours lebende Kleinbürgertum, das in den Fotos von Moses nie diffammiert wird: In ihren Gesichtern und Haltungen spiegelt sich der Stolz der „Wiederauferstehung“ genauso deutlich wie in den Auftritten der Promis.

Münchner Hippies: Rückkehr der Blumenkinder

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