"Der andere Blick" im Olaf-Gulbransson-Museum: Kunstausflug an den Tegernsee

Er war ein begnadeter Zeichner – und ein Frauenheld, Egomane und Opportunist: Der gebürtige Norweger Olaf Gulbransson (1873- 1958) kommentierte zusammen mit seinem Freund und künstlerischen Antipoden Thomas Theodor Heine im "Simplicissimus" Kaiserreich und Weimarer Republik mit genialen Karikaturen, war aber anders als der von den Nazis ins Exil getriebene Heine kein politisch heller Kopf.
An den Künstler, der einen Großteil seines Lebens auf dem Schererhof unterhalb der Neureuth verbrachte, erinnert seit 1966 das Olaf-Gulbransson-Museum in Tegernsee. Der Beharrlichkeit seiner dritten Frau Dagny und einflussreichen Fürsprechern wie Ludwig Erhard ist es zu verdanken, dass der elegante kleine Pavillon-Bau errichtet wurde.

Kunstausstellung in Tegernsee: Zarte Linien auf Papier
Entworfen von Sep Ruf, dem Münchner Architekten-Star der jungen Bundesrepublik, und etwa Erbauer des Bonner Kanzlerbungalows. Das Haus, das seither zweimal erweitert wurde, gibt Einblick in Leben und Werk Gulbranssons. Es zeigt einen - gerne nackten - Kraftkerl und Naturburschen, der erstaunlich zarte Linien aufs Papier zauberte.
Um die große Politik scherte sich Gulbransson in der ländlichen Idylle liederlich wenig: Der Nachfolger von Franz von Stuck als Professor an der Münchner Akademie wurde zwar kein Mitglied der NSDAP, gehörte aber seit 1934 der Reichskulturkammer an und hatte kein Problem damit, im von den Nazis gleichgeschalteten Simplicissimus fortan NS-Propaganda zu verbreiten.

"Der andere Blick" im Olaf-Gulbransson-Museum: Eine gut gefüllte Ausstellung
Das Museum huldigt aber längst nicht mehr nur dem Namensgeber, sondern bietet im kulturell nicht gerade reich bestückten Tegernseer Tal auch Räume für Wechselschauen. Darin ist derzeit die "Cross-Collection" des Berliner Sammler-Ehepaares Anna und Michael Haas zu sehen – Titel: "Der andere Blick – Hodler, Dix, Kiefer, Cahn und weitere".
Der Galerist und die einstige Bankerin leben umgeben von und mit ihrer Kunst: Die Räume des Hauses erinnern, wie Fotografien zeigen, an eine Kunstkammer; sie sind voller Gemälde, Graphiken und Skulpturen, alle Wände in Petersburger Hängung üppig bestückt. Derzeit muss dort ungewohnte Leere herrschen – denn die zwei Sonderausstellungräume des Gulbransson-Museums sind mit rund 70 Werken gut gefüllt.

Kollektion umfasst berühmte und wenig bekannte Künstler
Zu entdecken ist eine mit Leidenschaft und nach persönlicher Vorliebe zusammengetragene Kollektion mit Arbeiten berühmter und weniger bekannter Künstler, aus hochkarätigen Kunstwerken und anonym entstandenen Artefakten: Etwa ein Modellsegelschiff von den Molukken, zusammengesetzt aus Gewürznelken, oder ein Architekturmodell des oberen Teils des Qtub Minar in Neu-Delhi.
In Malerei und Bildwerken wiederum stehen der Mensch, menschliche Beziehungen und die Bedingtheit der Existenz im Mittelpunkt des Sammlerinteresses. Auch hier umspannen die Exponate viele Jahrhunderte: Man findet die bemalte Holzplastik eines katalonischen Bischofs aus dem 13. Jahrhundert wie einen "Corpus Christi" aus Elfenbein von Marten de Vos aus dem 17. Jahrhundert. Und Lothar Fischers "Pferdetorso" aus Ton macht sich gut neben dem antiken Terrakotta-Gaul der Han-Dynastie.
Markus Lüpertz' Bronze-Büste der Aphrodite buhlt wimpernklimpernd um Aufmerksamkeit, während Eva Aepplis vernähter Frauenkopf "Le Pendu du Tarot" in seiner Versehrtheit schmerzt. Und auch die Keramikplastik von Carolein Smits, ein brennend roter "Engelsturz", gibt neben Leiko Ikemuras unbedarft "Stehender in Gelb" Aussicht auf bevorstehende Höllenqualen.
Spannende Begegnungen und unerwartete Entdeckungen
Das Renaissance-Porträt eines Mannes von Antonio di Ceraiolo mit weißen Handschuhen zieht ebenso den Blick auf sich wie Alphonse Hirschs bemerkenswertes Bildnis einer leicht enerviert blickenden, schönen jungen Frau mit dem Titel "Der erste Streit" von 1875. Eine ebenfalls eindrucksvolle Begegnung ist eine Fassung der Voyeurs-Geschichte mit den beiden Alten und "Susanna im Bade" von Lovis Corinth (1890) neben Eric Fischls fotorealistischer "Bathroom-Scene" und gegenüber von Pierre Girieuds expressionistischen "Les Beigneuses".
Selbst von Ferdinand Hodler fand nicht etwa eine kristallklare Schweizer Landschaft, sondern das Bildnis Clara Battié (um 1916) in die Kollektion. Ein herrlich luftiger Apfelbaum vor einem Wolkenhimmel von Paula Modersohn-Becker ist indes eine der wenigen Beispiele von Landschaftsmalerei in der Sammlung.
Dass bei der großen Bandbreite dem Besucher nicht bei allen Werken nachvollziehbar wird, warum sie den Weg in die Sammlung fanden, ist klar. Überraschenderweise enttäuschen gerade die Bilder von Miriam Cahn ("Ergeben") und Daniel Richter ("Ohne Übel") durch die Beliebigkeit des Motivs. Dennoch bietet "Der andere Blick" spannende Begegnungen und unerwartete Entdeckungen.
"Der andere Blick", bis 21. Januar 2024 im Olaf-Gulbransson-Museum, Kurgarten 5, Tegernsee, Di - So 10 bis 17 Uhr, Information unter www.olaf-gulbransson-museum.de, Telefon 0 80 22-33 38