DDR-Maler Bernhard Heisig trifft mitten in die Wunde
Dieser Mann hat nichts ausgelassen, weder Details noch Anspielungen und schon gar keine Konfrontationen. Man kann sich das leicht vorstellen vor seinem Christus, der sich in einem gewaltigen Wutanfall die Dornenkrone vom blutigen Haupt reißt und die Passion abbricht. Schluss jetzt, sofort! Ich sterbe doch nicht für irgendwelche Idioten, hört man ihn förmlich zischen.
Dieses fast drei Meter breite Gemälde Bernhard Heisigs wird im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg von einem drastischen Anti-„Kriegs“- Zyklus flankiert, der nur noch unterstreicht, dass es am wenigsten um den christlichen Erlösertod geht. Das haben die Kulturschnüffler und Bilderprüfer der DDR sehr wohl gesehen. Die Mitte der 1980er Jahre entstandene Komposition „Christus verweigert den Gehorsam“ sei sogar ein Aufruf zu desertieren.
Heisig wird auf der Documenta gezeigt - Baselitz protestiert
Solches vergisst man gerne, wenn es um Künstler geht, die sich scheinbar mit dem Regime arrangiert haben. Neben Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte und Werner Tübke ist auch Bernhard Heisig im Westen meistens als „Staatskünstler“ bezeichnet worden. Alle vier brauchten eine staatliche Genehmigung, um etwa auf der Documenta 6 von 1977 ausstellen zu dürfen, und prompt protestierten Kollegen wie Georg Baselitz oder Markus Lüpertz und verlangten das Abhängen ihrer Werke.
Heisig kritisiert die Kulturpolitik der SED
Die ganze Geschichte ist im opulenten Band „Erinnern und verantworten“ zum 100. Geburtstag Heisigs im März dieses Jahres höchst spannend im (nachgedruckten) Aufsatz der Journalistin Luc Jochimsen nachzulesen. Auch, dass Baselitz manches später relativiert hat. Denn mit der Zeit wurde deutlich, dass der Mitbegründer der Leipziger Schule zwar wichtige Ämter bekleidet hatte, aber dann in regelmäßigen Abständen zurücktrat oder seine Position verlor. Etwa 1964, als er die Kulturpolitik der SED scharf kritisierte, dabei vor allem künstlerische Freiheit forderte und kurz darauf als Rektor der bis heute renommierten Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst abgesetzt wurde. Die aufgezwungene öffentliche Selbstkritik muss entwürdigend gewesen sein.

Was aber von Anfang an aus dem Rahmen fiel und so gar nicht zum vorwärtsgewandten Kunst- und Kulturverständnis der DDR passen wollte, war Heisigs Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg, das heißt, mit der menschlichen Katastrophe, mit der unbeschreiblichen Brutalität und mit seiner Rolle als Freiwilliger. Zur SS-Panzer-Division Hitlerjugend hat er sich mit 16 Jahren gemeldet und konnte gar nicht schnell genug in die Schlacht ziehen.
Noch Anfang der 1980er Jahren malt der Künstler einen wie von Sinnen vor sich hinstierenden jungen Soldaten, der die Fäuste ballt. Drumherum zitiert er Otto Dix’ Bild vom Schützengraben, doch Heisig muss ja nichts erfinden, die Ardennenoffensive im Winter 1944/45 hat er selbst miterlebt, auch das panische Drauflosschießen junger Kerle („Unterm Hakenkreuz“), die sich an ihrem Gewehr festkrallen wie an einem Teddybären und die gar nicht wissen, was sie tun.
20 Jahre braucht der Künstler, um das Grauen malen zu können
Heisig formuliert 1986 dazu: „Ich kam mit ein paar Kratzern aus dem Krieg zurück und war noch genauso dämlich wie ein paar Jahre zuvor, als ich als 17-jähriger Kriegsfreiwilliger das große Abenteuer suchte. Es ist nämlich eine der vielen Lügen, womit die Gesellschaft meist ihre Verbrechen zu veredeln versucht, daß das sogenannte Kriegs- oder Fronterlebnis den Menschen klüger mache, ihn gar läutere.“

Heisig hat 20 Jahre gebraucht, um den Wahnsinn überhaupt künstlerisch fassen zu können. Neben dem erwähnten Lithografie-Zyklus zu Ludwig Renns Roman „Krieg“ – natürlich muss man an Max Beckmann denken – zählen die Gemälde rund um die Belagerung und Zerstörung seiner Heimatstadt Breslau mit zu den stärksten Arbeiten im gesamten Œuvre. Breslau und der Krieg sind Stachel und lebenslanges Trauma zugleich.
Heisig hat über seine Vergangenheit ganz offen gesprochen
Dass Heisig nie ein Geheimnis um diese Vergangenheit gemacht hat – man könnte sie leicht als „Jugendsünden“ abtun – ist bemerkenswert. Im Osten wie im Westen wurde kräftig unter den Teppich gekehrt; Entsprechendes taucht in den ungemein saftigen Bildern ja auch auf. Und nun sind diese deutschen „Desastres“ von Museumschefin Agnes Tieze und Eckhart Gillen in eine überzeugende Folge gebracht.

Wenn diese vielleicht stärkste Phase im Schaffen Heisigs nun in Regensburg gezeigt werden kann, dann ist das beim doppelten Jubiläum – 80 Jahre Kriegsende, 100 Jahre Heisig – eine sehr besondere Fügung. Sowieso muss man die überbordenden Werke mit ihren hintereinander gestaffelten und verschränkten Bühnen und Ebenen im Original studieren, um ihren Reichtum wahrnehmen zu können. Dann entdeckt man Querverbindungen und Anregungen aus der Kunstgeschichte. Heisig zieht vor den großen Kollegen den Hut, vor Picasso und Beckmann, genauso vor Goya und den Niederländern mit ihren fantastischen Absurditäten und bleibt doch immer Heisig.
„Bernhard Heisig und Breslau“ bis 14. September 2025 im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg, Di bis So 10 bis 17, Do bis 20 Uhr, Dr.-Johann-Maier-Straße 5, (Katalog, 160 Seiten, 18,50 Euro), www.kunstforum.net
Heiner Köster, Hrsg.: „Erinnern und verantworten“ (E. A. Seemann, 328 Seiten, 42 Euro)
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