Das Ufo fliegt wieder weg

Man kann sich diese Ruhe gar nicht mehr vorstellen. Dabei ist es gerade mal vier Monate her, dass das EMST, Athens Museum für Zeitgenössische Kunst, aus dem Tiefschlaf gerüttelt wurde. Die Documenta brauchte Raum, und das 2013 umgebaute Gebäude einer ehemaligen Brauerei bot die idealen Voraussetzungen: Es ist riesig, und es stand quasi leer, weil das Geld für einen adäquaten Betrieb fehlt.
Wenn nun am Sonntag der griechische Teil der Documenta zu Ende geht, könnte es ganz schnell wieder sehr still werden. Das fällt umso mehr auf, als draußen, wenige Meter entfernt im Umfeld der Metrostation Syngrou Fix, die Hölle los ist. Doch vielleicht passiert ja das, was nicht nur die Handvoll EMST-Mitarbeiter hofft, aber natürlich nie aussprechen würde: Dass die erneute Schließung einfach zu peinlich wäre. Peinlich für eine Stadt, die in der Kunstwelt ausnahmsweise mal ohne die Antike für Aufsehen sorgen konnte. Und peinlich für die Politiker, die es sich nicht nehmen ließen, neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier glückselig in die Kameras zu lächeln. Friede, Freude, Baklavas.
Gute Zahlen, fehlende Nachhaltigkeit
Freilich, es redet es sich leicht in Deutschland, das von den Kulturschaffenden dieser Welt um sein immer noch beispielloses staatliches Subventionsmodell beneidet wird. Und wer die Demonstrationen am Syntagmaplatz verfolgt, weiß, dass die Griechen ganz andere Sorgen drücken. Eintritt für die Documenta zu verlangen, hat man sich gar nicht erst getraut.
Wenigstens sind die Zahlen gut: Bis Sonntag dürften es um die 300 000 Besucher werden. Immerhin 43 Prozent sind Griechen aus Athen, Thessaloniki, Patras, Volos und so fort. Ein Viertel der Kunstgänger kommt aus Deutschland, was zu erwarten war. Auch, dass es für die meisten Griechen die erste Berührung mit einer Documenta wurde.
Wie nachhaltig das sein wird? Bis auf eine Kooperation zwischen den Kunstakademien von Athen, Kassel und dem französischen Besançon ist noch nichts bekannt geworden. Die junge Kunstszene der griechischen Metropole war vorher schon ziemlich aufgeweckt, was fehlt, sind potente Sammler, daran kann dieser deutsche Ausflug nichts ändern. Und offen kritteln will auch keiner der offiziellen Vertreter aus den Museen und Kulturinstitutionen.
Keine echte Kooperation
Unabhängige Geister wie die Macher der kleinen Athen-Biennale vermissen eine „ehrliche“ Verzahnung der Documenta mit der Stadt. Adam Sczymczyk, der künstlerische Leiter, sprach zwar dauernd von „gemeinsamen Prozessen“. Aber letztlich ist die weltweit wichtigste Ausstellung für zeitgenössische Kunst dann doch wie ein Ufo unter der Akropolis gelandet.
Beim Gastspiel der Griechen in Kassel drängt sich ein vergleichbares Bild auf. Im Fridericianum, sozusagen dem Herz der Documenta, wollte Sczymczyk den Nachlass des Nazi-Kunsthändlers Hildebrandt Gurlitt wirkungsvoll vorführen. Glücklicherweise hat das nicht geklappt (sorgsam kuratiert übernimmt das im Herbst die Kunsthalle Bonn). Stattdessen wurde die klassizistische Ausstellungshalle geräumt, um der nie gezeigten Sammlung des eingangs erwähnten EMST ihren ersten öffentlichen Auftritt zu verschaffen.
Katerina Koskina, seit 2015 die Direktorin, kann endlich beweisen, dass sich diese Kollektion mit Kunst seit den 1960er Jahren nicht verstecken muss, dass der schon fast mythische Jannis Kounellis lange nicht der einzige ist und das Gros der griechischen Künstler auf der Höhe der Zeit agiert. Wobei viele das Land verlassen hatten, vor allem während der Militärdiktatur zwischen 1967 und 1974. Es gibt also selbst für einigermaßen Kunstkundige viel nachzuholen, weit hinaus über Alexis Akrithakis, Costas Tsoclis oder Statis Logothetis. Internationale Positionen von Bill Viola bis Mona Hatoum arrondieren diese Sammlung.
Kultureller Elendstourismus?
Doch diese Einladung hat einen höchst unangenehmen Beigeschmack, etwas Gönnerisches wie überhaupt dieser Documenta-Einfall in Athen. Da man muss gar nicht so weit gehen wie der ehemalige griechische Finanzminister Janis Varoufakis, der vom „Elendstourismus“ spricht und von einer „Ausbeutung der Tragödie Griechenlands, um ein Krisenbewusstsein der Documenta-Macher und Besucher zu demonstrieren“.
Die Künstler und Objekte des EMST tauchen übrigens noch nicht einmal in den Publikationen der Großausstellung auf. Begründet wird das damit, dass die Werke ja nicht für die Documenta 14 entwickelt wurden, sondern „im Rahmen der Auswahl des EMST“ zu sehen seien. Trotzdem betrachte man diese Auswahl – was für ein Aberwitz – als „Teil der Documenta“. Wie solche Erklärungen im Sinne des schweigsamen, nie greifbaren Adam Sczymczyk gedrechselt werden, will man gar nicht wissen.
Austausch schaut jedenfalls anders aus. Echte Kooperation auch. Und wenn am 17. September – dann geht die Documenta in Kassel zu Ende – mit größter Wahrscheinlichkeit über eine Million Besucher bejubelt werden, stimmen wenigstens die Zahlen. Auch dafür ist Athen gut.