Das Schweigen klingelt in den Ohren

Die Ausstellung „Wenn sich die Farbe ändert“ mit Arbeiten von Mel Bochner im Haus der Kunst
Roberta De Righi |
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"Kibbitzer Kuetcher, Nudnick, Nebbish, Nudzh, Meshugener“ – in großen gelben Lettern auf schwarzem Grund sind insgesamt zehn jiddische Wörter im Fries der Fassade des Hauses der Kunst lesen. Der US-amerikanische Künstler Mel Bochner, geboren 1940, will mit der Arbeit „The Joys of Yiddish“, die er ursprünglich 2006 für Chicago schuf, der „deutschen Kultur die jüdische Stimme zurückbringen“.

Die Assoziation an das Gelb und Schwarz des „Judensterns“ werden im Kontext des Nazi-Baues sofort deutlich, die Sprache der Opfer erscheint im Gewand der Stigmatisierung durch die Täter. Dass Gelb und Schwarz auch die Farben Münchens sind, macht den Schriftzug noch ein Stück irritierender.

Unter dem Titel „Wenn sich die Farbe ändert“ zeigt das Haus der Kunst jetzt eine sehenswerte Ausstellung, die sich auf Bochners lebenslange Reflexion über die Malerei konzentriert. Die Präsentation beginnt mit einer Art Triptychon: „Blah Blah Blah“ tönt es dem Besucher von den drei Wänden im ersten Raum hundertfach, bunt und dick aufgetragen entgegen.

Bochner gilt als einer der Begründer der Konzept-Kunst, obwohl er selbst dies stets vehement verneinte, weil diese „den Körper negiere“. Wichtig ist ihm nicht nur die Idee, sondern ebenso das Kunstwerk selbst. Er reflektiert sogar explizit dessen sinnliche Wirkung, Entstehungsprozess und Material spielen ebenso eine Rolle wie der Betrachter. Für Bochner, der aus einer traditionellen jüdischen Familie stammt, und dessen Eltern Jiddisch sprachen, wenn sie wollten, dass die Kinder sie nicht verstehen, wurde zudem die Sprache ein Hauptelement.

Farbe und Inhalt, emotionale und rationale Ebene arbeiten jedoch oft gegeneinander. Exemplarisch wird das in dem Titel gebenden „If The Colour Changes“ vorgeführt, das Wittgensteins „Bemerkungen über die Farbe“ illuminiert. Weil es unmöglich ist, gleichzeitig zu lesen und zu schauen, kann man sich entweder nur auf die Wörter oder auf die Farben konzentrieren.

Seine Kunst ist auch ein Wahrnehmungs-Experiment, in dem der Betrachter zwangsläufig die Rolle des Versuchstieres einnimmt. In „Ereignishorizont“, einer langen Reihe 83 monochromer Leinwände, in Standard-Farben und -Maßen, auf Augenhöhe eines Durchschnitts-Mannes an der Wand angebracht. Man muss sich bewegen, denn ohne Abstand ist das Ganze nicht erfassbar, aus der Entfernung nicht das Einzelereignis.

In den „Thesaurus“-Schriftbildern wird ein Schlüsselwort mit allen Synonymen ergänzt, die das Wörterbuch zu bieten hat – bis hin zu derbster Umgangssprache. Aus „Master Of The Universe“ wird „Gotcha By The Balls“, aus „Amazing“ ein „YESSS!“. So dokumentiert Bochner zugleich den Verfall der Sprache, da das Wörterbuch, wie er feststellte, heute wesentlich mehr umgangssprachliche Begriffe aufzählt als vor 40 Jahren. Passenderweise endet die Schau mit dem Thesaurus-Bild „Silence“. Die Bitte um Stille ist in gelbliches Weiß und gräulich-pastose Buchstaben gehalten. Was distinguiert aussieht und höflich klingt, endet im wütenden Fluch „Shut The Fuck Up!“. Mel Bochners Werke sind der künstlerisch perfekt konzipierte Widerspruch in sich: Die Leere des „Blah Blah Blah“ bordet über und das Schweigen klingelt einem schließlich in den Ohren.

Bis 23. Juni, 10 bis 20, Do bis 22 Uhr: Katalog (Hirmer) 30 Euro

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