Das Ruhrgebiet, gesehen von Albert Renger-Patzsch

Pinakothek der Moderne: Albert Renger-Patzschs eindringliche Fotografien der Ruhrlandschaften sind erstmals in einer umfassenden Ausstellung zu sehen
von  Christa Sigg
Bohrerstraße und Zeche Victoria Mathias, Essen, 1929.
Bohrerstraße und Zeche Victoria Mathias, Essen, 1929. © Albert Renger-Patzsch / Archiv Ann und Jürgen Wilde / VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Der Mann muss dauernd durch die Gegend kutschiert sein, so viele Aufnahmen gibt es. Aber auf den Fotografien findet sich kaum ein Auto und schon gar nicht das, was man als Verkehr bezeichnen würde. Auch Menschen tauchen eher selten auf zwischen einsamen Straßenlaternen und schmalen Schloten, die wie Pfeile in den Himmel schießen.

Albert Renger-Patzsch (1897 – 1966) hat das Ruhrgebiet minutiös durchstreift und porträtiert. Mit über 80 Exemplaren sind die Pottlandschaften zwischen Dortmund und Duisburg jetzt erstmals in einer umfassenden Ausstellung präsentiert – ausgerechnet in München in der Pinakothek der Moderne. Und das ist bemerkenswert. Denn von Renger kennt man in erster Linie die Werbeaufnahmen für Unternehmen wie die Jenaer Glaswerke oder das Kaffeetassen-Arrangement für die Firma Hag und natürlich die Schuhbügeleisen der Fagus-Werke, die zu den Ikonen der Lichtbildgeschichte zählen.

Die Welt ist schön

Überhaupt hat der distanziert spröde Fotograf aus Würzburg den Reiz gestapelter Kochtöpfe für uns entdeckt. Oder die Eleganz fein gereihter Scheibenisolatoren an einem Hochspannungsmast. Solches ist in der 1928 erschienenen Bibel fotografischer Ästhetik unter dem etwas schlagerhaften Titel „Die Welt ist schön“ zusammengefasst. Und Renger war gut im Geschäft. Wirklich „frei“ arbeiten konnte er eigentlich nur auf dem Weg zum nächsten Termin, und tatsächlich bilden seine zwischen 1927 und 1935 entstandenen Ruhrgebietslandschaften die einzige Werkgruppe, die ohne Auftrag entstanden ist.

Renger-Patzsch bleibt auch hier der auf Perfektion bedachte Dokumentar. Wenn sich auf dem Hellweg zwischen Essen-Steele und Bochum dürre Herbstbäume auf der regennassen Landstraße spiegeln, interessiert ihn neben der Stofflichkeit vor allem der Rhythmus – so, wie bei den Schornsteinen, die sich hinter einer Wiese formieren, deren Grashalme fast greifbar scheinen. Und dann sind da diese leeren Gassen einer Bergmannssiedlung, in der sich Haus an Haus reiht, oder die Wäschestücke, die sich an einer Leine durch den kargen Vorgarten ziehen. Menschen spielen nur indirekt eine Rolle. Dabei ist jeder Quadratmeter geprägt von der Veränderung und einer im Eiltempo fortschreitenden Industrialisierung. Er selbst spricht vom „Einbruch des Menschen in die Natur“.

Neue Sachlichkeit

Doch was wir heute als kritischen Kommentar begreifen möchten, kommt nüchtern daher. Allerdings nicht ohne jede Emotion, wie man es diesem neben August Sander und Karl Blossfeldt wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit gerne unterstellt. Und er hat nie Sehenswürdigkeiten im Visier. Statt dessen führt Renger die Randzonen der wachsenden Städte vor Augen, die allgegenwärtigen Zechen mit ihren Fördertürmen, die sich wie bedrohliche Drachen über den Dächern erheben, und genauso die düsteren Hinterhöfe und verlassene Plätze, die bereits an die amerikanische Fotografie der 1960er und 70er Jahre denken lassen.

Die Neutralität und die kompositorische Klarheit machen diese Aufnahmen zeitlos. Deshalb sind es nicht die pathetischen Rheinlandschaften (1926 – 1946) Sanders, noch Heinrich Hausers engagierte Reportage vom „Schwarzen Revier“ (1928), die den Arbeiten von Bernd und Hilla Becher vorausgehen, sondern die Ruhrgebietsfotografien Renger-Patzschs. Dass sie ausgerechnet in München gezeigt werden, hängt damit zusammen, dass das Galeristenpaar Ann und Jürgen Wilde seine hochkarätige Fotokollektion den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen vermacht hat.

Mit der Holzkastenkamera

Dem kompromisslosen Künstler waren just diese Landschaften besonders wichtig. Das demonstriert das hochwertige Chamoispapier, das er für die oft großformatigen Abzüge (30 x 40 cm) verwendet hat. Andeutungen in Briefen legen eine geplante Ausstellung in den späten 1930er Jahren nahe. Doch genauso hat Renger, der im Krieg weite Teile seines Archivs verlor, auf die Qualität der kleineren Formate dieser Serie geachtet. Der Mann, der noch in den sechziger Jahren mit einer alten Holzkastenkamera unterwegs war, überließ nichts dem Zufall. Egal, wie beschwerlich das Fotografieren zwischen den rasanten Autofahrten ausfiel.

„Renger-Patzsch. Ruhrgebietslandschaften“ bis 23. April in der Pinakothek der Moderne, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Magazin zum Preis von 16 Euro erschienen.

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