Das Interim der Villa Stuck öffnet

Das wegen einer Modernisierung geschlossene Museum zieht in das "VS" genannte Provisorium in der Goethestraße
von  Roberta De Righi
Das Interimsquartier der Villa Stuck in der Goethestraße.
Das Interimsquartier der Villa Stuck in der Goethestraße. © Villa Stuck

Das "Bierherz" war eine typisch münchnerische Spezialität, aber keine essbare. Der Pathologe Otto Bollinger (1843-1909) diagnostizierte einst die "idiopathische Herzhypertrophie" durch hohe Bierkonsum und zugleich schlechte Trinkwasserqualität. Bei "jungen, wohlgenährten und körperlich hart arbeiteten Männern" richtete dies "enorme gesundheitliche Schäden" an: Ihr Herz war stark vergrößert.

Nachzulesen ist das in der Ausstellung "Was bisher geschah" im Haus an der Goethestraße 54, in dem heute das Museum Villa Stuck sein Interimsquartier "VS" eröffnet. Da erfährt man, dass Otto Bollinger nicht nur ab 1880 als Pathologie-Professor an der Münchner Uni lehrte, sondern auch der erste Eigentümer des 1890 errichteten Gründerzeitbaues war.

Per Mausklick in intellektuelle Rabbit Holes

Weil die historische Villa Stuck technisch saniert werden muss, bezieht das Museum für rund eineinhalb Jahre sein Quartier in der Ludwigsvorstadt. Das Gebäude, das zuletzt die Deutsche Akademie für Psychoanalyse beherbergte, wurde in nur vier Monaten für die Zwischennutzung vom jungen Münchner Architektur-Duo Ansa Studios minimalinvasiv, aber maximal praktisch ertüchtigt. Das gesamte Inventar wurde aus dem Bestand des Museums - nachhaltig und günstig - zusammengestellt, die Möblierung etwa aus ehemaligen Schautafeln geschreinert.

Auf drei Stockwerken schufen Velychka Dyulgerova und Daniel Dell einfach und wirkungsvoll kompakte Begegnungs-, Arbeits- und Schauräume sowie einen Filmsaal und eine Bibliothek. Alle Räume sind während der Öffnungszeiten ohne Eintrittsgebühr frei zugänglich. In der "Library of Artistic Print on Demand" etwa können Bücherfreunde in faszinierenden Publikationen abseits des Buchmarkts stöbern und per Mausklick in intellektuelle Rabbit Holes ins Netz abtauchen.

Die derzeit in Sanierung befindliche Villa Stuck.
Die derzeit in Sanierung befindliche Villa Stuck. © imago stock&people

Zur Eröffnung ist auf jeder Etage eine Präsentation zu sehen, die sich den verschiedenen Aspekten des Hauses und seiner Umgebung widmet. Der Komplex beherbergte während der NS-Zeit nicht nur im Rückgebäude eine Niederlassung der Geha-Werke - die Zwangsarbeiter beschäftigen. Sondern seit 1932 auch die Pension "Patria": Hier wurden wenig später Münchner Jüdinnen und Juden (auf eigene Kosten!) zwangsweise einquartiert, nachdem man ihre Wohnungen enteignet hatte. Und ehe sie emigrieren konnten oder in die Vernichtungslager deportiert wurden. Einige der Schicksale ehemaliger Bewohner kann man hier nachlesen, etwa das von Gertrud Meyer, die mit ihrem Sohn im Januar 1941 in Kaunas ermordet wurde.

Kongeniale Nachbarn

Zwischen 1981 und 1992 war hier dann der Verein "Rinascità" ansässig, der von italienischen Kommunisten als Beratungsstelle und mit reichem kulturelles Angebot für Arbeitsmigranten gegründet wurde. Weil man hier die antifaschistische Tradition hochhielt, stand auf dem Programm in jedem Jahr auch der gemeinsame Besuch der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Dachau.

Unter dem Motto "Kongeniale Nachbarn" wiederum erfährt man etwas über in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene bemerkenswerte Architekturen der Zeit nach 1900: Die Neue Anatomie des als Theaterarchitekten berühmten Max Littmann sowie das einstige "Kunsthaus Brakl", ein Kleinod, von Emanuel von Seidl erbaut für den Opernsänger, Sammler und Galeristen Franz Josef Brakl, in dem heute die Medizinerbibliothek untergebracht ist.

Am Samstag kommt der lebendige Portraitautomat zum Einsatz.
Am Samstag kommt der lebendige Portraitautomat zum Einsatz. © Anna Kaufmann

Der Umgebungswechsel in die quirlige Goethestraße wirkt sich auf die altehrwürdige Institution der Villa Stuck jedenfalls schon jetzt absolut belebend aus: Am Wochenende kann man jedenfalls in der "VS" nicht nur diverse Führungen und Workshops besuchen, sondern sich auch vom "lebendigen Portraitautomaten" (Anna Kaufmann/Fanny Jacquier/Claudia Lieb/Barbara Yelin) zeichnen lassen (Samstag 17 bis 20 Uhr) oder dem Konzert der Münchner Rapperin Gündalein (Samstag, 20 Uhr) lauschen.

Goethestraße 54, Programm unter www.villastuck.de

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