Das Haus der Satire: Heimat des Humors

Vor 50 Jahren eröffneten Meisi und Helmut Grill in der Wurzerstraße beim Vier Jahreszeiten den extravaganten Laden Etcetera - und hier trafen sich zwischen satirischen Objekten, patriotischen Bavarica und Kaffeehausmöbeln die Münchner und Wahlmünchner - von Loriot über Peter Lohmeier bis Uschi Glas und Margot Hielscher.
1975 kam in der Villa Stuck die Galerie der Zeichner mit den Satirezeichnungen von Janosch, Flora, Ungerer, Helnwein, Haderer, Buchholz und Hurzlmeier hinzu. Diese Galerie zog dann 1987 ebenfalls ins Etcetera ein. 2012 war dann endgültig Schluss. Seit Jahren kämpfen Meisi und Helmut Grill für ein Haus der Satire für München. Ihre Sammlung satirischer Zeichnungen und Etcetera-Kultobjekte sind in der Pasinger Fabrik zu sehen.
AZ: Wenn man in der Pasinger Fabrik jetzt viele der Etcetera-Produkte sieht, könnte man nostalgisch werden.
MEISI GRILL: Aber Lebenskunst besteht darin, mit dem Kopf in der Gegenwart zu bleiben.
HELMUT GRILL: Der André Heller hatte unseren Etcetera-Laden als "Spezialitätenhandlung" bezeichnet.
MG: Und das ist die wunderbare halbe Wahrheit. Es stimmt, dass man in der Wurzerstraße Besonderes bekam: vom Spültuch "Eine Hand wäscht die andere", Schallplattenbücher wie das über die Wirtshauskultur mit Texten vom Rosendorfer und Illustrationen vom Janosch.
HG: Aber das Etcetera war darüber hinaus noch eine Galerie für die größten Satirezeichner und Treffpunkt für Münchner und welche, die es gerne werden wollten, ein Ort der Liberalitas Bavariae, was ja immer falsch übersetzt wird. Liberalitas meint Freigiebigkeit. Aber natürlich haben wir auch die Liberalität gepflegt, gefeiert und gelebt - ab 1968, dem unglaublichen Jahr.
Der "Wilderer-Stammtisch" sorgte für Aufmerksamkeit
War es eine weniger biedere Zeit als heute?
MG: Man muss sich die Atmosphäre in München der 70er und 80er noch völlig anders vorstellen. Oder kann man sich vorstellen, dass das Kommunalreferat heutzutage akzeptiert, dass da einfach mal eine Straße über Nacht mit 30 Fichten zugestellt wird, der Polizeipräsident noch "Wildwechsel"-Verkehrsschilder zur weiteren Deko erlaubt und selbst mitfeiert?
HG: Es war das Wilderfest mit dem Jagdgeschirr der Sis Koch, mit gehörnten Hasen und Gämseneiern. Und nach diesem Fest haben wir den "Wilderer-Stammtisch" gegründet.
War der ironisch, spießig, patriotisch?
HG: Wir hatten durch unseren humoristischen Laden wie über Nacht alle wichtigen Journalisten auf uns aufmerksam gemacht. Plötzlich waren wir Magnet einer bestimmten bayerischen Szene: patriotisch wie der Georg Lohmeier, stolz wie der Kurt Wilhelm, dichterisch wie der Helmut Zöpfl und die Turmschreiber, frech wie Pepsch Gottscheber und der Luis Murschetz, und so jemand wie der Dieter Wieland wollte, dass unser Millionendorf wieder schöner wird und geißelte die Verschandelung Bayerns.
MG: Zu alledem passten auch unsere Produkte wie das Taschenmesser "Verteidigt Bayern" oder der Eimer mit Schweine-Aufdruck "Haltet Bayern sauber" oder das Schachspiel Bayern gegen Preußen mit Ludwig als König und wahlweise Sissi oder Wagner als Dame und sauwütende Gamsbartbauern. Preußischerseits herrschte Zackigkeit mit Wilhelm und Bismarck. Das Schlachtfeld war weißblau kariert. Es war die Revanche für 1866.
Wie die Villa Stuck zum Flop wurde
1985 kam die Galerie der Zeichner in der Villa Stuck dazu - und wurde ein Who-is-Who der Satirezeichner. Wie kam es dazu?
HG: Ich suchte mit meinem Werbeagentur-Partner eine neue Location. Da habe ich erfahren: Oben in Bogenhauen, in der Villa Stuck wird was frei. Besitzer war ein steinreicher Münchner, Herr Ziersch. Ich habe auf ihn wohl einen ganz guten Eindruck gemacht, weil er sagte: "Alles schön und gut!" Aber dann kam das Aber: "Aber das Objekt ist ein Haus der Kunst. Sie müssen da ausstellen, sonst kann ich ihnen es nicht geben." Uns fiel sofort der Diogenes-Verlag ein.
MG: Den Verleger Daniel Keel haben wir dann in Zürich getroffen mit dem Tomi Ungerer am Tisch. Der Name Villa Stuck zog. Und weil Ungerer uns auch noch sympathisch fand und zu einer Ausstellung zusagte, wurden wir von diesem Tag an auch Galeristen.
Dann war der freche Ungerer die Initialzündung für Ihre Sammlung?
MG: Ja, die Ungerer-Vernissage verlief so glänzend, dass uns am nächsten Morgen schon klar war: Das ist ja noch amüsanter als Werbung! Ein halbes Jahr später kam wieder Ernüchterung, weil dem Publikum der Roland Topor zu krass war. So war schon die zweite Ausstellung finanziell ein Flop.
Zwölf Jahre sind Sie in der Villa Stuck geblieben, dann wurde das Haus städtisch und Sie mussten umziehen.
HG: Aber die Künstler haben das alle mitgemacht, obwohl es von der Malerfürsten-Residenz in den wilden Etcetera-Laden ging: von Paul Flora, dem Waechter, Janosch, Helnwein, Zimnik, Klama. Alle waren immer auch selbst zu den Vernissagen da, wurden Freunde - und einen Stammgast hatten wir in Loriot.
MG: Vicco von Bülow war ein Ammerländer wie wir am Starnberger See. In seinem Haus zeigte er uns auch seinen kleinen Tisch von vielleicht 90 mal 90 Zentimetern mit Stiften, Papier, Pinseln, Schreibunterlagen, Füller. "Hier ist alles entstanden", sagte er.
HG: Unser erster gemeinsamer Abend war vom Diogenes-Verleger Daniel Keel aus der Ferne eingefädelt worden, der Loriot zu uns ins Haus schickte, um zu testen, ob wir seriöse Galeristen werden könnten. Wir wurden es, und die Freundschaft mit Loriot blieb.
Nachahmer versauten das Geschäft
Von Loriot soll die Idee stammen, ein zukünftiges Haus der Satire in München "Komische Pinakothek" zu nennen.
MG: 2010, kurz vor Weihnachten, waren wir noch einmal bei Vicco zum Tee. Hier entstand die Idee, das Projekt eines Hauses für die Satire in München "Komische Pinakothek" zu taufen. Aber er bedauerte, zu alt zu sein, um uns noch richtig unterstützen zu können.
Warum kam das Etcetera 2004 an ein Ende?
HG: Unser Geschäftsmodell mit den Bavarica, Kuriosa und Geschenkartikel hatte da bereits viele Nachahmer, die uns das Geschäft versaut haben. Auch hatten wir der Wurzerstraße Glanz gegeben und sie so wertvoll gemacht, dass wir Opfer des eigenen Erfolgs wurden, weil dauernd die Miete erhöht wurde.
MG: Da hat der Helmut kurz vor der Jahrtausendwende gesagt: "Meisi, Du musst Schluss machen, wenn Du noch Kraft hast, es gut läuft und die Leute über uns reden!" Ab da wurde ich fünf Jahre lang tyrannisiert von meinem lieben Mann. Aber er hat Recht gehabt.
Aber dann ging es doch immer weiter: In der Herzog-Rudolf-Straße, eine Straße weiter.
HG: Ja, weil es gibt nichts Lebensvergiftenderes als zu Hause eine unzufriedene Frau zu haben, die man auch noch liebt. Und weil ich wusste, dass die Meisi zwar eine gute Köchin und Gärtnerin ist, aber verrückt wird, wenn sie nicht unter Leute kommt, kein großes Projekt hat, war klar: Das Etcetera ist vorbei! Aber die Galerie der Zeichner muss weitergehen!
Mit wem haben Sie den Neuanfang gewagt?
HG: Wieder mit Tomi Ungerer. Und unser altmeisterlicher Großsatiriker Rudi Hurzlmeier war natürlich auch schnell hier zu sehen. Außer unseren "alten Bekannten" waren hier zum ersten Mal bei uns der Quint Buchholz, die Gertraud Funke, der Egbert Greven, Hans Reiser, Horst Haitzinger und der Pepsch Gottscheber.
MG: Wir haben in den acht Jahren hier noch einmal 17 Ausstellungen gehabt. Und weil das Trottoire vor unserem gelben Haus fünf Meter breit ist, haben wir unsere Innenhof-Feste in den öffentlichen Münchner Raum ausgeweitet, weil wir sonst wegen Überfüllung hätten schließen müssen.
2012 war dann wirklich Schluss. Aber wieder nicht so ganz, weil Sie das Projekt eines Hauses der Satire für München angepackt hatten.
MG: Ja, das hatte sich bei Gesprächen mit dem Rudi Hurzlmeier ergeben.
HG: Aber schon Stadtmuseumsdirektor Christoph Stölzl und Kulturreferent Jürgen Kolbe hatten 1987, als ich aus der Stuckvilla raus musste, mich bestärkt, ein Satiremuseums-Projekt anzudenken! Das Ignaz-Günther-Haus am Jakobsplatz war kurz als Ort im Gespräch. Dann kam das Palais Dürckheim hinter der Landesbank und die Paul-Heyse-Villa hinter der Glyptothek. Alles scheiterte. Jetzt heißt das Projekt "Forum Humor und komische Kunst" und könnte sich im Schlachthofviertel in der alten Viehbank verwirklichen.
MG: Und ein großer Aspekt sind satirische Zeichner. Einen großen Teil unserer Sammlung, die wir dafür stiften würden, zeigen wir in der Pasinger Fabrik. Und ein Extraraum ist dem Etcetera gewidmet.
"München lächelt - Humor und komische Kunst aus der Sammlung Helmut und Meisi Grill": Pasinger Fabrik (direkt am Pasinger S-Bahnhof), Vernissage, Mittwoch, 07.02.2017, 19 Uhr.
Ausstellung in allen drei Galerieräumen bis 22. April, 4 Euro, täglich außer Mo, 16 - 20 Uhr