Bussi Bussi und Blasmusi
Die beiden Damen auf dem Vaporetto schütteln den Kopf. Muss die denn „grande così“ sein. So groß! Tatsächlich dominiert Marc Quinns weiblicher Koloss das Inselchen San Giorgio Maggiore, vis-à-vis vom Markusplatz. Niemand außer vielleicht ein paar stoischen Architektur-Jüngern hat noch Augen für die fulminante Palladio-Kirche hinter diesem Trumm Frau. Aber wer in Venedig neben der allgegenwärtigen Kunst-Biennale und jetzt auch noch dem ganzen glamourösen Filmtamtam auffallen möchte, muss sich schon etwas einfallen lassen.
Und besser als mit „Alison Lapper Pregnant“ kann man kaum auf sich aufmerksam machen. Bereits vor fünf Jahren hat die (contergan)versehrte Nackerte mit Babybäuchlein am Londoner Trafalgar Square die Passanten verschreckt, sozusagen als Ikone der Paralympics. Jetzt lenkt sie den Blick auf eine der zahlreichen Gegenveranstaltungen zur offiziellen Groß-Schau, die sich im Arsenale, in den Giardini und den unterschiedlichsten Palazzi der Serenissima ziemlich breit gemacht hat. Von zehntausend Quadratmetern ist die Rede, 88 Länder inklusive Vatikan sind vertreten. Ein Kunst-Overkill, keine Frage. Aber es wurde inzwischen genug publiziert, um sich die Highlights herauspicken zu können.
Evita-Hochamt und Versenkspiele
Oder man schlendert drauf los, macht nur da Halt, wo’s einem taugt. Was höchst subjektiv sein muss. Aber das ist das Schöne an diesem Kunst(vergnügungs)park für Erwachsene: Es gibt so unendlich viel Zeugs, dass man unmöglich durchkommen kann. Selbst das gerne gelangweilte Personal an den Infoständen kennt oft nicht einmal die Attraktionen der Biennale. Ragnar Kjartanssons „S. S. Hangover“ etwa – ein Fischerboot, auf dem eine Handvoll Blasmusiker tagtäglich (ab 14 Uhr) durchs Hafenbecken des Arsenale schippert und mit elegischen Klängen eine wundervoll einlullende Performance hinlegt. Gleichzeitig erfrischt sie den in zig Hallen gemarterten Geist. Nach staatlich verordnetem Kulturcrossover bei den Chinesen, Argentiniens Evita-Perón-Hochamt oder Alfredo Jaars überschaubar anregender Giardini-Pavillon-Versenkspielerei für Chile.
pendancen der Giardini muss man sich durchaus um Konzentration bemühen. Aus einigen flutscht man nur wieder so hinaus, hängen bleibt man dagegen im belgischen Pavillon vor Berlinde De Bruyckeres mit Wachs bearbeiteten Bäumen und Ästen („Krüppelholz“), die wie geschundene Körper daliegen. Hängen bleibt man auch immer wieder im enzyklopädisch motivierten Kunstgrenzen-Spreng-Programm von Chefkurator Massimiliano Gioni und mehr noch in den von Cindy Sherman zusammengestellten Kuriositätenkabinetten. Oder am Canal Grande im Irischen Pavillon, wo Richard Mosses grausig-schöne Kriegsaufnahmen aus dem Kongo beklemmen: Das Grün der Natur wird in dieser Mehrkanal-Videoinstallation zum unheilvoll leuchtenden Pink.
Die Pirsch am Rande der Biennale lohnt sich
Dass es von Ai Weiwei in der Kirche Sant’ Antonin Besseres gibt als dessen beliebige Hocker-Deko (mit Spinnweben!) im von Susanne Gaensheimer allzu brav kuratierten deutschen Beitrag, hat sich längst herumgesprochen. Mit dem bitteren Beigeschmack, dass sich Chinas Kunststar durch die minutiöse optische Dokumentation seiner Inhaftierung endgültig zum Heiligen stilisiert. Doch es lohnt sich, am Rande der Biennale weiter auf Pirsch zu gehen. Rudolf Stingel ist im Palazzo Grassi ein bisschen sehr opulent aufbereitet, Altmeister Tàpies dafür im Palazzo Fortuny eine intime Schau gewidmet. Und der eingangs erwähnte Marc Quinn knallt durch die Fondazione Cini. Das muss man mögen.
Biennale bis 24. November 2013, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, www.biennale.org