Bücher, Beuys und Isabella Rossellini

Überall Papier, stapelweise und aufgetürmt, sodass der Tisch wie eine Berglandschaft ausschaut. Dazwischen einige Bücherinseln und mittendrin: Lothar Schirmer. Genau so stellt man sich einen Verleger vor. Und schön, er macht mit 79 Jahren unverdrossen weiter. Wenn man ihn besucht, liegen immer neue Manuskripte vor ihm. Mit dieser Leidenschaft konnte der Schirmer/Mosel Verlag 50 Jahre alt werden. Wobei in diesem Fall Kunst und Buch eine wunderbare Liaison eingehen.
AZ-Interview mit Lothar Schirmer
Der 1945 in Schmalkalden geborene Betriebswirt hat 1974 mit Erik Mosel den Schirmer/Mosel Verlag gegründet. Er gehört zu den renommiertesten Kunstbuchverlegern und besitzt eine bedeutende Kunstsammlung mit Werken von Joseph Beuys, Gerhard Richter, Jeff Wall und anderen.
AZ: Herr Schirmer, lesen Sie auf dem Tablet?
LOTHAR SCHIRMER: Wenn ich auf Reisen bin, lese ich meine Tagespost auf dem Tablet. Ab und zu habe ich auch ein Manuskript geladen, das ich dann zu nächtlicher Stunde in südlichen Gärten lesen kann. Es können auch Hotelzimmer sein, die heutzutage ja nur noch sparfunzelig beleuchtet sind. Man könnte eher von Verdunkelung sprechen.
Macht Sie die Entwicklung weg vom Papier traurig, oder sind Sie da ganz pragmatisch?
Die Entwicklung weg vom Papier macht mich keineswegs traurig. Papier wird nur noch für die wertvollsten Informationen verwendet. Mir als Papierfetischist kommt das sogar sehr entgegen.
Mit Ihrem Verlag feiern Sie 50-Jähriges, das ist heute auch nicht mehr selbstverständlich.
Ich kann es nicht ändern.
War es schon mal schwieriger? Oder sind die digitalen Zeiten und steigenden Papierpreise die größte Herausforderung?
Ach, wissen Sie, Konjunktur und Wirtschaftsdaten schwanken. Das ist ja nichts Neues. Jetzt kommen die Schwierigkeiten des Lebensalters dazu. Das ist nichts für Feiglinge.
Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, sich mit Herrn Mosel verlegerisch zusammenzutun?
Wir waren befreundet und gehörten der damals in München sehr kleinen Gruppe von Aficionados der Gegenwartskunst an. Da gab es ein Zusammengehörigkeitsgefühl wie bei den Taubenzüchtern. Ich war auf der Suche nach einem vernünftigen Beruf, und Erik Mosel war es auch. Da wir uns gegenseitig für Fachleute hielten, bot sich die Zusammenarbeit sozusagen an.

Ihr fast 500 Seiten starker Jubiläumskatalog mit sämtlichen Schirmer/Mosel-Büchern unterstreicht, dass Ihr Programm ein sehr persönliches ist. Hat es deshalb so gut funktioniert?
Es hat eher funktioniert, weil es mir gelungen ist, meine eigene Faulheit zu überwinden und meine Energien zu aktivieren. Bücher zu machen, setzt einen großen Einsatz voraus, weil die Partner - meistens Künstler - in der Regel ganz andere Vorstellungen von sich haben. Das passt nicht unbedingt zu dem, was Sie als Verleger in die Welt tragen können. Aber ich habe mir auch einen Traum erfüllt, und es ist immer noch nicht zum abrupten Erwachen gekommen, von dem man ab und zu träumt, wenn man träumt.
Wird man nicht entspannter?
Nein, die Stunde um vier Uhr nachts ist immer die schlimmste. Büchermachen ist jedes Mal eine Terminsache, egal wie lange ein Projekt dauert. Und dann muss es a) schön sein, und b) muss alles richtig sein.
Lagen Sie mit einem Titel schon einmal richtig daneben?
Man spricht darüber nicht, weil man es sofort verdrängt. Und wenn nicht, dann war alles richtig, nur der Zeitpunkt der falsche… Aber es gibt auch Dinge, die einfach in technischer Hinsicht misslingen. Es geht ja darum, etwas in die Buchform zu übertragen, das in anderer Form vorliegt wie etwa Malerei. Das ist immer eine Interpretation. Würde das ständig funktionieren, wäre man steinreich geworden. Wobei Erfolg immer relativ ist. Manchmal ist man froh, wenn man 1200 Stück verkauft hat, manchmal bei 20 000.
Welches sind Ihre Zugpferde?
Das erste Buch mit Isabella Rossellini war ein ganz großer Erfolg. Von ihrer Autobiografie "Some of Me" hatten wir 40 000 Bücher in sechs Wochen verkauft. Als sie 1997 nach München kam, war das ein Medienereignis. 26 Interviews in drei Tagen! Aber gleich Heinrich Zille, das erste Buch im Jahr 1975, war ein riesiger Erfolg. Und anstatt mit einem Berg Schulden dazusitzen, waren wir relativ flüssig, um weiter zu machen. Wegen Zille kam dann auch Helmut Newton zu uns. Und genauso hat Helmut wiederum viel ermöglicht.
Zum Beispiel?
Newton hat die Bücher der Becher-Schule finanziert. Ich will da ganz offen sein: Wenn Sie 1200 Exemplare "Hochöfen" oder "Fördertürme" von Bernd und Hilla Becher verkaufen, liegt der Umsatz nicht im fünfstelligen Bereich. Was die Zahlen betraf, wurden wir wieder demütig. Wir hatten ja nichts, das für Stabilität sorgen konnte.
Irgendwann gab es doch noch mehr Bestseller?
Nach Zille und Newton kamen Edward Hopper und Frida Kahlo. Oh ja.
Gibt es etwas, das Sie lieber nicht verlegt hätten? Oder etwas, dass Sie sich durch die Lappen gehen ließen?
Es gibt eigentlich nichts, was wir bereuen müssten. Aber natürlich gibt es das eine oder andere Projekt, das in die Welt zu bringen uns nicht gelungen ist. Ein Buch zum Kino-Meisterwerk, "Poor Things" mit Emma Stone, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen.
Sie bringen wacker weitere Bücher heraus. Damit kann man wohl nicht einfach aufhören?
Solange mir Dinge durch den Kopf gehen, müssen sie auch wieder raus.
Wie hat sich der Geschmack im Laufe der Jahre verändert?
Wir sind kunstaffiner geworden und haben Teile der Fotografie mitgenommen.
Gibt es Kunst- oder Buchthemen, die Sie früher bescheuert fanden und jetzt anders betrachten?
Ich hänge am monografisch strukturierten Kunstbuch und fand die zu Büchern mutierten Doktorarbeiten aus der akademischen Welt eher schwierig. Aber auch heute noch würde ich die primären Phänomene den sekundären vorziehen.

Sie haben früh auf die Fotografie gesetzt. War Ihnen klar, wie wichtig das wird?
Wie schön, dass Sie die Fotografie so wichtig finden. Und ich fürchte, sie wird noch viel wichtiger werden.
Wir leben zumindest ein einer Flut von Bildern.
Von Jean-Luc Godard stammt der schöne Satz: "Das Gesagte kommt vom Gesehenen." Da kann man eigentlich nicht klagen.
Interessiert Sie so etwas wie KI - und KI-gesteuerte oder geprägte Fotografie?
Ich will neugierig darauf warten, ob etwas entsteht, das mich erstaunt oder gar begeistert. Bisher scheinen sich vor allem die Werbeagenturen mit KI zu beschäftigen.
Sie haben es geschafft, 50 Jahre lang unabhängig zu bleiben. Gibt es Interessenten, die sich den Verlag gern einverleiben würden?
Betriebsgeheimnis!
Wie steht es um Ihre Sammlung?
Ich habe ein neues Sammelgebiet begonnen. Ich sammle Zeitungsseiten, die besonders schön sind, eindrucksvolle Bilder oder interessante Worte enthalten. Das wird à la longue eine absolute Rarität werden.
Kaufen Sie noch?
Von Zeit zu Zeit.
Sie sind ja auch am Veräußern oder Schenken, so genau lässt sich das von außen nicht immer sagen.
Die Zeit für Trennungen kommt näher, und man kann ja nichts mitnehmen, leider. Weder gute Kunst noch schlechtes Geld.
Sie haben an die Staatsgemäldesammlungen verkauft, das Lenbachhaus besitzt einige Beuys-Werke aus Ihren Beständen. Verteilen Sie nach einem bestimmten Schema?
Ja, physische Nähe ist ein Kriterium.
Also eher Münchner Häuser?
Es sind immer Häuser, die mir auch inhaltlich nahestehen.
Was haben Sie vor?
Gute Frage. Wenn ich es wüsste, würd' ich's Ihnen sofort sagen.