Brücke und Blauer Reiter im Buchheim Museum: Kennen, Neiden, Lieben

Bernried - Knallrot ist die Brücke, tiefblau der Blaue Reiter. Zumindest auf den beiden ins Auge stechenden Stellwänden, die den Auftakt zur neuen großen Sommerausstellung des Buchheim Museums markieren, ist die Welt des deutschen Expressionismus und seiner herausragenden Künstlergruppen so klar.
Unter dem Titel "Brücke + Blauer Reiter" sind 200 Werke zu sehen, darunter 100 Gemälde, die keinerlei Vergleiche zu scheuen brauchen. Das allerhöchste Niveau, das diese farbenfrohen Schöpfungen demonstrieren, kam auch nur zustande, weil die von Museumsdirektor Daniel Schreiber erdachte Präsentation in Kooperation mit den Kunstsammlungen Chemnitz, die die Sammlung Gunzenhauser beherbergen, und dem Von der Heydt-Museum Wuppertal realisiert wurde.
Natürlich wäre es nichts Besonderes, grandiose expressionistische Meisterwerke in einer von überbordender Farbenpracht charakterisierten Mammutschau auszustellen. In Bernried wollte man aber mehr. Vielleicht nicht gerade die ganze Kunstgeschichte umschreiben, aber ihr doch ein bisschen was Neues hinzufügen.
Eine "Neusichtung des deutschen Expressionismus" soll entstehen
Bislang hieß es: Die 1905 gegründete Brücke gilt als figurative Vorstufe des 1911 entstandenen Blauen Reiter, der dem Expressionismus dank Kandinsky und Marc abstrakte Chiffren hinzufügte. Diese Einschätzung insinuieren die Wände Rot und Blau am Zugang als eine Art Scheinbeweis, der zu überprüfen wäre: Auf der blauen Wand hängt Wassily Kandinskys abstrakte "Improvisation 33 (Orient I)" (1913), auf der roten Ernst Ludwig Kirchners gegenständlich-frivoler "Akt auf blauem Grund" (1911). Das ist erstmal eine Konfrontation.
Allerdings setzt die Schau auf Dialog. So soll eine "Neusichtung des deutschen Expressionismus" entstehen - und zwar unter "Berücksichtigung jüngster Erkenntnisse aus Kunstgeschichte, Zeitgeschichte, Gender Studies und Nationalismus-Forschung" wie Schreiber sagt. Deshalb sind alle anderen Wände weder rot noch blau - sondern in unterschiedlichen lila Mischtönen.
Auf jeder Wand befinden sich zwei Gemälde, einmal Brücke, einmal Blauer Reiter. Wobei schnell deutlich wird, dass die Unterscheidungen nicht so klar sind, wie die Kunst-Exegeten einem früher weismachen wollten. Schaut man sich etwa den "Dorfweg" (1910) von Karl Schmidt-Rottluff und daneben "Das gelbe Haus" (1908/09) von Alexej von Jawlensky an, so fällt es einem schwer, in einer Komposition mehr und in der anderen weniger Abstraktion zu entdecken.
Brücke und Blauer Reiter: Trennendes und Verbindendes
Und mitunter ist es bei den beiden sogar umgekehrt: Die "Lesende" (1912, Modell: Else Lasker-Schüler) vom Brücke-Künstler Schmidt-Rottluff ist deutlich mehr von einer (wohl von Picassos präkubistischen "Les Demoiselles d'Avignon" inspirierten) Zersplitterung der Figur charakterisiert als Jawlenskys traditionellerer "Kopf in Blau" (1912). Sehr ähnlich sind sich dann Erich Heckels Vorstadt (1910) und Kandinskys "Häuser in München" (um 1908) oder auch Heckels "Landschaft bei Rom" (1909) und "Landschaft mit Hütte im Abendrot" (1908) von Gabriele Münter.
Der Betrachter, so die Intention, darf sich selber überlegen, wo er Trennendes oder eben auch Verbindendes erkennt. Dieses Verbindende machen die Kuratoren auf einer großen Tafel sichtbar, die die Kontakte zwischen den Künstlergruppen und ihre Ausstellungen zu dieser Zeit auflistet. Denn man kannte sich, liebte sich, verachtete sich. Man stellte in den gleichen Galerien aus: etwa bei Gurlitt und Goltz in München oder bei Herwarth Waldens "Der Sturm" in Berlin.

Auffassungen der heftig streitenden Marc und Kandinsky liegen zu weit auseinander
Und im legendären Almanach "Der Blaue Reiter" sind auch Werke von Brücke-Künstlern abgebildet. Diese hatte Franz Marc, der die Brücke mehr schätzte als der zurückhaltendere Kandinsky, bei einem Besuch im Januar 1912 in Berlin ausgewählt. Wobei das bayerische Ehepaar Marc von den Lebensverhältnissen dort nicht wirklich angetan war. In Kirchners Dachstuben-Wohnatelier brach unter Maria Marc der Hocker zusammen. Der gemeinsamen Aktion tat es keinen Abbruch.
Nach Erscheinen des programmatischen Almanachs im Mai 1912 entwickelten sich rege Briefwechsel zwischen Marc und Heckel sowie Kirchner, der wiederum auch mit Kandinsky korrespondierte. Es ging um gemeinsame Projekte. Allerdings lagen die Auffassungen der heftig streitenden Marc und Kandinsky zu weit auseinander. Kandinsky ist die Brücke zu impressionistisch, erotisch und reißerisch. Marc lobt ihre Ausdrucksstärke und Lebensnähe.
Ausstellung macht riesigen Spaß - auch ohne alle Theorie
Auch mit der Rolle der Frauen beschäftigt sich die Schau. Die Brücke-Künstler sind alle Männer. Frauen kommen als Gefährtinnen und Modelle vor. Zum Blauen Reiter gehören mit Marianne von Werefkin, Gabriele Münter und Maria Marc zwar auch Künstlerinnen, die jedoch als ihren männlichen Kollegen nachgeordnet gelten.
Letzte Studien und die Werke zeigen anderes. Die wohlhabende Werefkin war mit ihrem eigenständigen expressionistischen Stil Vorbild und bewusste Förderin ihres Lebensgefährten Jawlensky, den sie mitunter als ihr ausführendes Organ begriff, weil Männer in der Kunst schneller und mehr Gehör finden. Gilt das heute noch? Bei Münter und Kandinsky hat es mitunter auch den Anschein, als ob sie ihm hie und da ein Stück vorauseilte.
Wie wichtig das alles für den Besucher ist, darf er übrigens ebenfalls selber entscheiden. Die Ausstellung macht jedenfalls riesigen Spaß - auch ohne alle Theorie.
Bernried, bis 13. November, Dienstag bis Sonntag & Feiertage, 10 bis 18 Uhr, Führungen: Samstags, 16 Uhr, Sonntag, 14.30 Uhr und 16 Uhr (Katalog: Wienand Verlag, 288 S., 29 Euro)