Bronze, Stein und Sinnlichkeit

Die Gemäldegalerie in Berlin feiert den Florentiner Bildhauer Donatello.
von  Christa Sigg
Im Marmor entfaltet Donatello Zärtlichkeit - wie etwa bei der Pazzi-Madonna (um 1422).
Im Marmor entfaltet Donatello Zärtlichkeit - wie etwa bei der Pazzi-Madonna (um 1422). © Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst / Antje Voigt

Ganz schön anmaßend ist dieser Titel: "Donatello. Erfinder der Renaissance". War nicht die Toskana und besonders Florenz der Hotspot des 15. Jahrhunderts, an dem so verblüffend viele Supertalente aufeinandertrafen und sich in fruchtbarer Konkurrenz zu Höchstleistungen angestachelt haben? Müsste man nicht auch die Literatur dazunehmen, also Dante, Petrarca und Boccaccio, die noch vor dem strahlenden Quattrocento in der Antike zu wildern begannen, um die wieder entdeckten Schriften in den Kanon zurückzuholen? Und würde nicht eben dieser Donatello bei der übergewichtigen Ansage der Berliner Gemäldegalerie unwirsch den Kopf schütteln?


Tatsächlich gehört der 1386 in Florenz geborene Donato di Niccolò di Betto Bardi zu den ganz Großen unter den Bildhauern. Doch neben einer Kunstmarkt-Rakete wie Leonardo und dem eigensinnigen Michelangelo mit der Aura des einsamen Genies hat es der Sohn eines Wollkämmers und Schüler des Paradiestür-Meisters Ghiberti nicht leicht. Dabei wäre gerade Michelangelo ohne dessen Neuerungen gar nicht denkbar. Donatello hat Bewegung ins lange Zeit starre Spiel gebracht, sich am Kontrapost zu schaffen gemacht und das ganz exemplarisch am David, also just der Florentiner Symbolfigur, mit der Michelangelo Jahrzehnte später sein bekanntestes Werk in die Öffentlichkeit wuchten sollte. Sehr viel muskulöser, hünenhaft und mit diesem etwas unbedarften Blick.

Donatellos "Amor Attis" (1435-40) aus dem Bargello gibt mit seinen Hosen und dem Satyrschwänzchen bis heute Rätsel auf. Der Pferdekopf aus Neapel, der lange als Werk der Antike galt, konnte dagegen dem Florentiner Meister zugeschrieben werden und entstand 1456.
Donatellos "Amor Attis" (1435-40) aus dem Bargello gibt mit seinen Hosen und dem Satyrschwänzchen bis heute Rätsel auf. Der Pferdekopf aus Neapel, der lange als Werk der Antike galt, konnte dagegen dem Florentiner Meister zugeschrieben werden und entstand 1456. © Bargello

Die Berliner Ausstellung dürfte also nach dem Auftakt in Florenz und mit der dritten Station im Victoria and Albert Museum in London wieder mehr Aufmerksamkeit auf die Innovationsfreude und zugleich die Vielseitigkeit Donatellos lenken. Es ist ja alles da, um dieses Schaffen aus nächster Nähe erfahrbar zu machen - übrigens bewusst in Augenhöhe positioniert, auch wenn die auf Untersicht konzipierten Werke dadurch manchmal eigentümlich gezerrt erscheinen. Dass der Gattamelata, das erste frei stehende Reiterstandbild seit der Antike, in Padua und die Judith in Florenz bleiben müssen, versteht sich von selbst.

Berliner glänzen mit tollen Bronzen

Stattdessen glänzen die Berliner mit tollen Bronzen just aus Padua wie zum Beispiel dem nahezu schwerelos wirkenden Gekreuzigten mit zart aufgewirbeltem Lendenschurz (ehemals) aus der Basilika Sant' Antonio oder dem "Eselswunder", einem zentralperspektivisch minuziös ausgetüftelten Altarrelief.

Ein Pferdekopf, der früher als Werk der Antike galt und heute Donatello zugeschrieben wird.
Ein Pferdekopf, der früher als Werk der Antike galt und heute Donatello zugeschrieben wird. © Museum Neapel

Genauso ist der gigantische wie mysteriöse Pferdekopf aus Neapel zu sehen - Goethe und Winckelmann mussten das Fragment noch für ein antikes Meisterwerk halten. Und man hat den Mut, Objekte aus der herausragenden Abgusssammlung des Bode Museums zu zeigen: gleich zum Auftakt den Heiligen Georg, mit dem sich Donatello um 1417 endgültig einen Namen gemacht hat, und den versonnenen David aus den 1430er-Jahren, dessen Splitterfasernacktheit noch von einem maulbeerbekränzten geckigen Hut unterstrichen wird. Und nicht nur die David-Kopie ist so qualitätvoll, dass sich die Italiener bei Restaurierungsarbeiten gerne an den Berliner Exemplaren orientieren. Wilhelm Bode, der vorausschauende Museumsmann, hat gekauft, was der Renaissance-Markt an Originalen hergab, und genauso "Wunschobjekte" für die preußischen Sammlungen abformen lassen.


Donatello selbst würden die sehr unterschiedlichen Materialien keineswegs irritieren, er hat neben Holz, Marmor und Bronze auch häufig mit Terrakotta gearbeitet. Diese Vielfalt, die Lust, ständig etwas Neues auszuprobieren, zu variieren, nie an einer Technik festzukleben, zeichnet ihn aus. Donatello ist ein Beobachter, Ideensammler, ein Macher, und das ohne intellektuellen Überbau. Vielmehr müssen seine Bildlösungen funktionieren.

Das betrifft zum Einen den Raum, den er bis aufs Äußerste verdichtet. Donatello gilt als Erfinder des "rilievo stiacciato", des gequetschten Reliefs, das den Betrachter eine erstaunliche Tiefe wahrnehmen lässt. Diesen Effekt erreicht er zudem durch das Einfügen rahmender Strukturen und versierte Verkürzungen wie er überhaupt die Überlegungen seines lebenslangen Freunds Filippo Brunelleschi - mit ihm geht er in Rom auf Antikensuche - zur Perspektive übernimmt. Dass Donatello zum Teil die Oberflächen aufraut, steigert das Spiel des Lichts und damit auch die Raumillusion.

Innige Beziehung zwischen Mutter und Kind

Man kann das besonders schön an der Pazzi-Madonna, dem Berliner Hauptwerk von 1422, verfolgen, das allerdings noch etwas ganz anderes, Bahnbrechendes vor Augen führt: die innige Beziehung zwischen Mutter und Kind. Die Gesichter schmiegen sich liebevoll aneinander, der Kleine gräbt die Fingerchen in Marias Halstuch, während sie voller Melancholie an sein grausiges Schicksal denken wird.

Eine Madonna von Donatello aus gebranntem Ton.
Eine Madonna von Donatello aus gebranntem Ton. © Staatliche Museen zu Berlin

 

Ausgerechnet im kühlen Marmor entfaltet Donatello eine unbeschreibliche Zärtlichkeit, lässt in die Seele blicken und formt Gefühle, die bis heute berühren. Und das ist kein Einzelfall: Im Relief des toten Christus' (um 1435) weinen die Engel, der linke hält sich vor lauter Schmerz die Hand vors Gesicht. Wer will sich dem verschließen? Und mit der hyperrealistisch ausgezehrten Büßerin Maria Magdalena beginnt man mitleidig zu frieren. Solche Verwahrlosung darzustellen, muss man sich trauen. Das ist verstörend und radikal in einem Jahrhundert, das wie kaum ein anderes das körperliche Ideal und das Ebenmaß feiert - bis zum Nonplusultra, das unweigerlich in die Verzerrung kippen muss.

Und dann gibt dieser von Cosimo de Medici geförderte Künstler immer wieder Rätsel auf. Seine Spiritelli - kleine Geister oder geflügelte Putten - sind manchmal so aufgekratzt, dass mit allem zu rechnen ist. Sowieso, wenn sie maliziös grinsen. Einer freilich stielt allen die Show und darf für sich einen eigenen Raum beanspruchen: der sogenannte Amor-Attis aus dem Bargello in Florenz, entstanden in den späten 1430er-Jahren.

Fast wie Alexis Sorbas hebt er die Arme zum Tanz und steckt in Hosen, die wie die Chaps der Rodeo-Reiter nur Beine haben. Der phrygische Gott Attis, Geliebter der Kybele und aus deren Genitalien geschaffen, hat solche "Anaxyriden" getragen. Hier geben sie am Popo ein Satyr-Schwänzchen frei, und selbst der nie um einen Kommentar verlegene Künstlerbiograf Giorgio Vasari berichtet etwas nebulös von einem "Merkur … auf eine gewisse eigentümliche Weise gekleidet". An Füßen und Rücken sitzen Flügelchen, doch warum tritt der Bursche wie der kleine Herkules auf eine Schlange?

Die Forschung tappt im Dunkeln, und vielleicht hat sich Donatello auch einfach einen Spaß erlaubt. Sicher ist nur, dass dieser 1466 nach einem arbeitsreichen Leben abgetretene Meister der Mehrdeutigkeiten und der nie versiegenden Neugier alle Aufmerksamkeit verdient. Wenn sich der 1475 geborene Michelangelo, sehr viel später dann Rodin und selbst einige Bildhauer des 20. Jahrhunderts auf Donatello beziehen, hat das epochenübergreifende Gründe. So ganz unangemessen ist der Ausstellungstitel also nicht.


"Donatello. Erfinder der Renaissance", bis 8. Januar 2023 in der Berliner Gemäldegalerie, Katalog (Hrsg. Neville Rowley, E. A. Seemann Verlag, 344 Seiten, 39 Euro)

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