Bilder von Michael Armitage: Im Paradies ist die Hölle los
Schaut so das Paradies aus? Eine zartblaue Hügelkette zieht sich am Horizont entlang. Davor breitet sich eine grüne Waldlandschaft aus Palmen, Sträuchern und Affenbrotbäumen aus. Im Vordergrund reißt ein Krokodil das Maul auf, doch das gehört noch zu den harmloseren Zutaten dieses Garten Eden, der sich bei näherer Betrachtung schnell in einen Albtraum verwandelt. Da werden Menschen an den Beinen gepackt und auseinandergerissen, Schlange dringen aus den Körpern. Ein Gesicht, das aufs Erste wie eine blaue Blume anmutet, scheint den puren Schmerz hinauszuschreien. Und über allem schwebt eine bleiche Göttin im giftig gelben Kleid.
Es könnte aber auch ganz anders sein. Michael Armitage findet es wunderbar, wenn man sich lustvoll suchend durch seine Bilder wühlt und nicht gleich aufgibt, weil alles ständig noch eine Spur kryptischer wird. "Das Geheimnis ist mein Komplize", sagt der britisch-kenianische Maler, dem das Haus der Kunst in München jetzt die erste große Überblicksschau überhaupt ausrichtet. Übrigens unter dem Titel "Paradise Edict", also Paradies-Verordnung. So lautet auch der Titel des eingangs beschriebenen Gemäldes aus dem Jahr 2019. Und vom Paradies und seinen Gesetzen habe doch jeder eine ganz eigene Vorstellung, erklärt Armitage.
Seine farbintensiven Bilder sollen überall funktionieren, in Afrika und konkret in Kenia, wo er 1984 in der Hauptstadt Nairobi geboren wurde und aufgewachsen ist, genauso wie in der westlichen Welt. Seit seinem Kunststudium hält er sich überwiegend in London auf. Dort hat er sein Atelier, dort wird er mittlerweile von der White Cube Gallery vertreten. Das ist eine der besten Adressen im Königreich, und das markiert auch Michael Armitages bemerkenswerten Karrieresprung in den letzten Jahren.
Vor ein paar Tagen erst wurde er im Sprengel Museum in Hannover mit dem Ruth Baumgarte Preis ausgezeichnet, 2019 zählte Armitage zu den Entdeckungen der Kunstbiennale in Venedig. Und besonders die Arbeit "#mydressmychoice" hat sofort deutlich gemacht, wie beeindruckend dieser Künstler ganz unterschiedliche Welten zusammenbringt, um daraus neuen Reiz-Stoff zu entwickeln: Mehrere Männer - zu sehen sind nur deren Schuhe und Beine - stehen um eine dunkle Nackte, die am Boden liegt und offenkundig von Diego Velázquez' Rokeby-Venus inspiriert ist.
Es geht um Machtverhältnisse, natürlich. Aber zwischen ungleichen Geschlechterrollen und kolonialen Anmaßungen liegen noch ein paar weitere Lesarten. Wobei das Spiel mit der europäischen Kunstgeschichte in weiten Teilen dieses Werks auszumachen ist. Es gibt zahlreiche Verweise auf Tizian, Manet, Cézanne und immer wieder auf Goya und Gauguin. Alle hat er sie in den Museen studiert, und ob der ausgesprochen höfliche Maler nun ehrfürchtig den Hut zieht oder nicht doch zwischendurch einen delikaten unterschwelligen Bildersturm vor Augen führt, auch das bleibt offen.
Seinem Publikum auf der Nordhalbkugel mögen diese Anklänge ein wohliges Gefühl des Wiedererkennens bescheren. Dabei werden Armitages überbordende Kompositionen dadurch keineswegs durchschaubarer. Denn letztlich dominiert in seinem Reigen aus Gewalt, Sexualität, Alltäglichkeiten und Traumfantasien das Vokabular seiner Heimat; die Tier- und Pflanzenwelt ist geradezu symbiotisch verbunden mit dem Bildpersonal. Paviane, Giraffen, Schlangen und allerlei Symbole tauchen auf, mal gehen Tiere in Menschen über und umgekehrt, dann verwebt er wieder ostafrikanische mit europäischen Allegorien zu mythisch aufgeladenen Landschaften und Historiengemälden.
Armitage ist ein Grübler, einer, der zwar überall seine Eindrücke zeichnet, und dieser kammermusikalische Teil der Ausstellung ist vielleicht der eindringlichste. Dann kann es aber Monate und Jahre dauern, bis sein "Material" zu einem Gemälde führt, das die konkreten Erlebnisse nurmehr als Stichwortgeber aufleuchten lässt.
Die unverkennbar politischen "Kenyan Election Series" etwa nehmen Bezug auf die umstrittenen Parlamentswahlen von 2017 und die damit verbundenen Unruhen. Armitage hat damals an Kundgebungen im Uhuru-Park teilgenommen und Zuhörer beobachtet, die auf Bäume geklettert sind, um besser zu sehen. Das ist so auf dem Gemälde "The Fourth Estate" gelandet. Nur weiß man nicht so recht, was das für komische Vögel sind, die neben einer Kröte auf den Ästen das eigentümliche Treiben im Unteren verfolgen. Und dann ist man auch schnell wieder bei Francisco de Goyas "Caprichos" und den "Disparates", die die menschlichen Schwächen und Abgründe so unerbittlich auf den Punkt bringen.
Zu einem "Gelobten Land" (2019) ist es jedenfalls noch nicht gekommen. Unter dem ironischen Titel werden Steinschleudern geschwungen, und Molotowcocktails fliegen durch die Luft. Die Gesellschaft in Kenia sei zwar offener geworden, doch es herrschten nach wie vor großen Spannungen, erzählt Armitage. Dass er noch nie dort ausgestellt hat, ist tatsächlich ein Kuriosum. Immer sei etwas dazwischengekommen, sagt der 36-Jährige. Dabei hat er gerade das Publikum seiner Heimat im Blick. Ihm sei wichtig, dass die Menschen in Nairobi sofort etwas mit seinen Bildern anfangen könnten.
Er malt übrigens auf Lubugo. Das sind hauchdünne Matten, die in Uganda aus der Rinde einer Feigenbaumart gewonnen und so lange gewalkt werden, bis man sie etwa als Leichentuch oder bei heilenden Ritualen nutzen kann. Armitage arbeitet dann allerdings mit Ölfarben, trägt mehrere Lasuren auf, und es treffen wieder verschiedene Welten aufeinander. Aber genau an diesen Nahtstellen entfaltet sich die Stärke dieser Malerei. Christa Sigg
"Michael Armitage. Paradise Edict" bis 14. Februar im Haus der Kunst, Mo/Mi/So 10 bis 18, Do 10 bis 22, Fr/Sa 10 bis 20 Uhr, Dienstag geschlossen. Ein Katalog erscheint im November.
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