Biennale in Venedig: Goldene Löwen und träumende Kentauren

Die Biennale in Venedig überzeugt mit einer fantastischen Fülle, die in den Länderpavillons so schnell kein Ende findet. Ein Überblick
von  Christa Sigg
Erholt sich die schöne Kentaurin nur vom Abenteuer oder ist sie schon tot? Im Dänischen Pavillon breitet Uffe Isolotto ein dystopisches Zukunftsszenario aus, das gefährlich nah am Kitsch vorbeischrammt, aber doch berührt.
Erholt sich die schöne Kentaurin nur vom Abenteuer oder ist sie schon tot? Im Dänischen Pavillon breitet Uffe Isolotto ein dystopisches Zukunftsszenario aus, das gefährlich nah am Kitsch vorbeischrammt, aber doch berührt. © Christa Sigg

Die gute Nachricht zuerst: Alles ist wie früher. Während die meisten Museen auf Diät sind und ihre Programme ausdünnen, wuchert in Venedig die Kunst. Als hätte es Corona nie gegeben, schießen die Events nur so aus dem Boden. Cecilia Alemani hat für die 59. Biennale sämtliche Register gezogen, und man kann sich in dieser Fülle vornehmlich weiblicher Kreativität nicht sattsehen.

Die schlechte Nachricht: Alles ist wie früher. Durch die Stadt wälzen sich Heerscharen von Touristen, die Vaporetti gleichen Sardinenbüchsen, und in Giardini wie Arsenale stehen endlose Schlagen. Das betrifft besonders die Länderpavillons, in denen etwas los ist. Großbritannien und Frankreich laufen sich hier fast den Rang ab, aus beiden Gebäuden dringt herrliche Musik.

Erinnert die Schöne unter Palmen nicht an die Südsee-Ausflüge Paul Gauguins?
Erinnert die Schöne unter Palmen nicht an die Südsee-Ausflüge Paul Gauguins? © Christa Sigg

Bei den Franzosen wird Tango getanzt

Die Künstlerin Zineb Sedira hat sich eine nostalgische Bar-Atmosphäre ausgedacht, die anzieht, und schon landet man in einem Filmset, das die gar nicht so amüsante Geschichte einer Migration erzählt. Sedira mischt Ausschnitte aus Ennio Lorenzinis Doku "Träume haben keine Titel" von 1964 über den Aufbruch der gerade unabhängig gewordenen Algerier mit den Erlebnissen ihrer eigenen Familie.

Die ging damals nach Frankreich, und an Parfümflakons oder Schallplatten zeigt sich, wie das Leben à la française zum Ziel und zur Verankerung in der neuen Heimat wird - aber doch selten zum großen Glück führt. Dazu genügt ein Blick in die Banlieues.

Kuratiert wurde der bewegende wie kritische Beitrag von Till Fellrath und Sam Bardaouil, die kürzlich Direktoren des Hamburger Bahnhofs in Berlin geworden sind und gerade im Münchner Kunstbunker BNKR eine Ausstellung haben.

Einblick in den Französischen Pavillon: Mit Kleidern und Wohnstil kommt man als Migrant der neuen Heimat irgendwie näher. Aber hilft das?
Einblick in den Französischen Pavillon: Mit Kleidern und Wohnstil kommt man als Migrant der neuen Heimat irgendwie näher. Aber hilft das? © Christa Sigg

Goldener Löwe für britische Sound-Video-Installation

Sedira wäre ein Fall für den Goldenen Löwen gewesen. Den gab's allerdings für die Sound-Video-Installation im Nachbarhaus. Sonia Boyce hat den Britischen Pavillon in eine Polit-Disko umfunktioniert. Die afro-englische Künstlerin bringt die Stimmen von fünf schwarzen Musikerinnen zusammen. Das harmoniert und reibt sich, und ganz unwillkürlich beginnt man, in diesen ansteckenden Vibes über den Einfluss der Farbigen etwa auf die Produktionen der Abbey Road Studios zu grübeln.

Die Britin Sonia Boyce wurde mit dem Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon ausgezeichnet.
Die Britin Sonia Boyce wurde mit dem Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon ausgezeichnet. © Felix Hörhager/dpa

Die Biennale-Jury hat gleich noch eine zweite Vertreterin der Black Community ausgezeichnet. Die Amerikanerin Simone Leigh, mit der die Ausstellung im Arsenale beginnt, hat auch den Pavillon der USA gestaltet und mit Stroh eingewickelt. In ihren großformatigen Skulpturen verarbeitet sie Sklaverei und Befreiung und ganz grundsätzlich die Welt schwarzer Frauen.

Einen Goldenen Löwen erhielt auch die Afro-Amerikanerin Simone Leigh für ihre großformatigen Frauen.
Einen Goldenen Löwen erhielt auch die Afro-Amerikanerin Simone Leigh für ihre großformatigen Frauen. © Christa Sigg

Kein Biennale-Preis für den Deutschen Pavillon

Ohne Preis blieb der Deutsche Pavillon, in dem Maria Eichhorn die Monumentalisierung des Gebäudes durch die Nazis freigelegt hatte. Dafür erhielt Katharina Fritsch - ihre riesige Elefantin eröffnet die Biennale-Hautschau in den Giardini - neben der Chilenin Cecilia Vicuña einen Goldenen Löwen fürs Lebenswerk.

Ein dystopisches Zukunftsszenario um drei Kentauren hat Uffe Isolotto im Dänischen Pavillon ausgebreitet. Für Mensch und Tier wird es nicht gut ausgehen, wenn Erstere so weiterwursteln. Das ist zwar hinreichend bekannt, dringt dann aber in diesem Mix aus Mythologie und Memento mori mindestens in die Magengrube. Wobei latente Kitschgefahr besteht. Doch die gefallene oder womöglich nur träumende Kentaurendame ist in ihrer Poesie einfach umwerfend.

Schrill und trashig geht's im Pavillon der Österreicher zur Sache, wo man quasi durch die knallbunte Pop-Welt von Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl irren darf.
Schrill und trashig geht's im Pavillon der Österreicher zur Sache, wo man quasi durch die knallbunte Pop-Welt von Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl irren darf. © Christa Sigg

Klamm wird einem auch bei den Südafrikanern im Arsenale. Roger Ballen malt nicht den Teufel, sondern fotografiert Gespenstisch-Figuratives an die Wand. Aber vielleicht muss man Dämonen wie Corona und Isolation genau so bannen, um wieder "Into the Light", also ans Licht zu gelangen.

Bei den Neuseeländern wird dagegen herzhaft gelacht. Yuki Kihara setzt sich im Rahmen einer trashig-ironischen Fernsehshow mit Paul Gauguins Südseebildern auseinander und lässt dessen paradiesisch unschuldige Mädchen von Transgender-Vertreterinnen nachstellen. Das ist ziemlich gewitzt, während die Österreicherinnen Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl in ihrer surreal durchgeknallten Pop-Welt fast ertrinken. Und mit ihnen das Publikum.

Dann lieber in Autoreifen Müllberge runterrollen, einen mickrigen Drachen steigen lassen, Murmeln über den Lehmboden jagen oder einen Schneehang hinunterrutschen. Der Belgier Francis Alÿs hat überall auf der Welt Kinder beim Spielen gefilmt. Das kann brutal sein, wenn wie im Krieg gekämpft wird, ist aber meistens anrührend. Mehr von dieser Selbstvergessenheit würde uns guttun.

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