Ausstellung "Tanz auf dem Vulkan" in Freising: Warten auf den Untergang

Das Diözesanmuseum in Freising zeigt die Ausstellung "Tanz auf dem Vulkan" mit Objekten aus Neapel.
von  Josef Tutsch
Der Golf von Neapel, mit Fischerbooten im Vorder- und dem friedlich rauchenden Vesuv im Hintergrund.
Der Golf von Neapel, mit Fischerbooten im Vorder- und dem friedlich rauchenden Vesuv im Hintergrund. © Diözesanmuseum Freising/Walter Bayer

Freising - "Sodom Gomorra" ist auf einem Stuckfragment zu lesen, das in Pompeji gefunden wurde. Wollte sich da ein Jude oder Christ über die losen Sitten in der heidnischen Stadt erregen? Die Katastrophe des Vulkanausbruchs im Herbst des Jahres 79 nach Christus könnte in dem Schreiber eine Erinnerung an den Untergang der biblischen Städte Sodom und Gomorrha wachgerufen haben.

Der Glaube an die Wunderkraft des Stadtheiligen San Gennaro

Das Wandstück, sonst im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel aufbewahrt, ist jetzt in die Ausstellung "Tanz auf dem Vulkan" nach Freising gekommen. Seit der Wiedereröffnung des sanierten Gebäudes zeigt das Diözesanmuseum am Domberg eine Ausstellung über "Leben und Glauben im Schatten des Vesuv". Zu den Kulturtechniken der Bewohner im Umgang mit der Gefahr zählen nicht nur weltweit führende Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der Vulkanologie, sondern auch der Glaube an die Wunderkraft des Stadtheiligen San Gennaro, der unter Kaiser Diokletian als Märtyrer starb.

Als der Vesuv nach Jahrhunderten der Ruhe im Winter 1631 wieder Lava spuckte und eine tiefschwarze Wolke von Osten auf die Stadt zurollte, beschloss der Erzbischof, zur Abwehr ein Reliquiar mit dem Blut des Heiligen durch die Stadt zu tragen. Wunderbarerweise hatte es sich verflüssigt, wie es seit dem 14. Jahrhundert immer wieder vorgekommen war – was als Unterpfand göttlicher Gnade gedeutet wurde.

Auch das "Haupt der Medusa" von Caravaggio (1597) ist im Diözesanmuseum ausgestellt.
Auch das "Haupt der Medusa" von Caravaggio (1597) ist im Diözesanmuseum ausgestellt. © Sven Hoppe/dpa

Das Schaugefäß "Ostensorium" ist religionshistorisch bedeutsam 

Nachdem der Erzbischof das Reliquiar dem brennenden Berg entgegengehalten hatte, "duckten sich die Wolken voll brennender Materie und nahmen einen anderen Weg", so eine Chronik. Ein Gemälde von Micco Spadaro (um 1660) zeigt das rettende Eingreifen des Heiligen: Begleitet von Engeln schwebt er auf einer weißen Wolke über der betenden Volksmenge.

Religionshistorisch bedeutsamer ist das "Ostensorium", ein Schaugefäß, in dem die Ampulle mit dem Blut des Heiligen gezeigt werden kann. An drei Tagen im Jahr bringt der Erzbischof die Ampulle in die Nähe von Gennaros Haupt. Eine dicht gedrängte Menge wartet gespannt darauf, ob sich das Blut in der Ampulle verflüssigt.

Das Diözesanmuseum widersteht der Versuchung, Spekulationen anzustellen

Manchmal bleibt das Wunder aus, zum Beispiel 1860 nach dem Einzug der Truppen des Königreichs Italien in Neapel – für die Anhänger der gestürzten Bourbonen ein klares Zeichen, dass die neuen Machthaber nicht den Segen Gottes hatten.

Ein Schaugefäß mit dem Blut von San Gennaro.
Ein Schaugefäß mit dem Blut von San Gennaro. © Diözesanmuseum Freising/Walter Bayer

Aber was ist das – ein "Wunder"? Ein Vorkommnis, das es eigentlich gar nicht geben kann, möchte man als naturwissenschaftlich vorgebildeter Mensch definieren. Das Diözesanmuseum hat der Versuchung widerstanden, Spekulationen anzustellen, wie die Blutverflüssigung in Neapel zustande kommt. Eine Spektroskopie, so berichtet der Anthropologe Marino Niola im Katalog, hat bestätigt, dass die Ampullen tatsächlich Hämoglobin enthalten. Alles Weitere muss offenbleiben.

Die Philosophen des ersten Jahrhunderts n. Chr. standen einer religiösen Deutung distanziert gegenüber

Nach der Reformation war der Wunderglaube in den Strudel der interkonfessionellen Polemik geraten. In Freising ist eine sächsische Schrift aus dem Jahr 1632 zu sehen. Statt das Haupt eines Heiligen, von dem die Bibel nichts wisse, dem Feuer entgegenzutragen, so forderte der anonyme Verfasser, solle man die Rettung in "wahrer Bußfertigkeit" suchen.

Fühlte der eine oder andere Bewohner der Vesuvstädte, die im Herbst 79 untergingen, sich tatsächlich wie bei jenem sprichwörtlichen "Tanz auf dem Vulkan"? Eine Wandmalerei zeigt drei Paare, die miteinander speisen und sich vergnügen. Zwei kleine Gartenstatuen aus Herculaneum stellen trunkene Halbgötter dar. Ein Bewusstsein von der nahen Gefahr ist da nicht zu erkennen.

Eine Silberbüste des Emygdius, der in Süditalien als Schutzheiliger gegen Erdbeben angerufen wird.
Eine Silberbüste des Emygdius, der in Süditalien als Schutzheiliger gegen Erdbeben angerufen wird. © Diözesanmuseum Freising

Die Philosophen des ersten Jahrhunderts n. Chr. standen einer religiösen Deutung ohnehin distanziert gegenüber. Bei dem Naturforscher Plinius d. Ä. weckten die ersten Anzeichen einer Eruption die Neugier, sich das Ereignis aus der Nähe ansehen zu wollen. Er bezahlte seinen Forscherdrang dann mit dem Leben. Aus der Menge der Verzweifelten sei der Ruf zu hören gewesen, es gebe keine Götter mehr, berichtete später sein Neffe. Im Europa der Neuzeit riefen die Ausgrabungen in Pompeji von 1748 an eine riesige Welle des Interesses am Vulkanismus hervor.

Für jene, die es sich leisten konnten, wurde der Vesuv zum Wallfahrtsort – nur dass viele vergeblich warteten. "Noch ist die Eruption schwach", notierte 1818 die Schriftstellerin Friederike Brun, "allein wir hoffen auf Gott". Eine makabre Hoffnung, wenn man bedenkt, dass 1794 ein Lavastrom große Teile der Stadt Torre del Greco verschüttet und Tausende Tote gefordert hatte.

Schwer zu sagen, inwieweit die moderne Wissenschaft einerseits, der Massentourismus andererseits heute die Volksbräuche überlagern. Sicher ist: Die alten Bräuche leben fort, und zwar nicht nur, wenn der Erzbischof das Blut des hl. Gennaro zur Verflüssigung bringt.

Inzwischen ist San Gennaro im Internet angekommen

Die Kirche hat gelegentlich versucht, im Sinne eines aufgeklärten Glaubens archaisch anmutende Bräuche zu bekämpfen. Ohne viel Erfolg. Der bleibt erst recht aus, wenn der Wunderglaube sich mit der Leidenschaft der Neapolitaner für den Fußball verbindet. Vor einigen Jahrzehnten waren Poster beliebt, auf denen San Gennaro mit einer anderen Kultfigur kombiniert wurde: dem Fußballer Diego Maradona, zu dessen Zeiten die Società Sportiva Calcio Napoli gleich zweimal die italienische Meisterschaft gewinnen konnte – nicht nur durch Maradonas Künste, sondern ebenso durch den Beistand des Heiligen.

Inzwischen ist San Gennaro im Internet angekommen. Es gibt eine App, mit der man eine virtuelle Kerze anzünden kann, eine andere, die Blut zunächst in geronnenem Zustand zeigt. Wenn man das Handy geschickt bewegt, lösen sich die Kristalle auf und es erscheint das Wort "Miracle!" Eine etwas respektlose Spielerei, die jedoch durchscheinen lässt, wie populär der Heilige weiterhin ist. Zumindest so lange, wie seine Abwehrkraft gegen den Vulkan nicht versagt.


Tanz auf dem Vulkan. Leben und Glauben im Schatten des Vesuv, bis 29. Januar 2023, Diözesanmuseum Freising, Domberg 21, Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Tel.: 089 / 21377 4240, Katalog: Deutscher Kunstverlag, 42 Euro

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