Ausstellung "Neues Licht aus Pompeji": Im Schein der Nacht

Man fragt sich ja immer, wie die Römer diese endlosen Gelage durchgehalten haben. Also dieses Essen und Trinken in pseudostabiler Seitenlage, gestützt auf den linken Arm. Schon beim Gedanken daran verkrampft sich die Schulter, und vielleicht war mancher Zecher sogar ganz froh, auf einem der hinteren Klinenplätze zu liegen. Auch wenn das für die Unterhaltung nicht sonderlich praktisch war und vor allem ein Licht auf den gesellschaftlichen Status geworfen hat. Das heißt, eher wenig Licht. Denn im Schein der Kandelaber und Lampen sonnten sich der Hausherr mit seinem Ehrengast, dann der Erste unter den Rangniedrigen. Man könnte auch sagen, der Wichtigste unter den Unwichtigen.
Das Leben im Süden Italiens war nicht gleißend hell
Bei allem Vergnügen war die Hackordnung beim Gelage oder der Cena gnadenlos und der Zusammenhang von Licht und Prestige nicht von der Hand zu weisen. Das ist jetzt im virtuellen Triklinium in den Antikensammlungen quasi live und in Farbe zu erleben. Die Ausstellung "Neues Licht aus Pompeji" endet mit diesem Höhepunkt, der noch einmal klar macht, dass das Leben im Süden Italiens lange nicht so gleißend hell gewesen ist, wie man sich das gemeinhin vorstellt. Selbst in den nobelsten Villen wie der minuziös untersuchten, VR-simulierten Casa di Giulio Polibio war es in vielen Bereichen zappenduster, und es herrschte allenfalls Zwielicht. In messbaren Zahlen ausgedrückt: Wenn unter freiem Himmel in der Mittagssonne rund 100.000 Lux gemessen werden, sind es im Eingangsbereich eines Hauses gerade noch 300 und nach wenigen Metern nur mehr 25 Lux. Die prachtvollen Wandbemalungen der Casa mussten Partie für Partie abgeleuchtet werden. In etwa so, als würde man mit der Taschenlampe durch die Höhle von Lascaux gehen, um Stiere und Wildpferde zu suchen.
Pompeji: Hier wurde hier die römische Alltags- und Luxuskultur par excellence gelebt
Gerade in Pompeji hat man bei Grabungen unzählige Lampen gefunden, keine andere antike Stadt brachte diese Mengen an Beleuchtungsgeräten hervor. Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Phänomen nie genauer untersucht wurde – bis vor ein paar Jahren ein fachübergreifendes Forschungsprojekt der Klassischen Archäologen an der Ludwig-Maximilians-Universität in Gang kam. Die Ergebnisse lassen den Nobelort neu begreifen. Denn bis beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 nach Christus das Licht ausging, und das im entsetzlichsten Wortsinn, wurde hier die römische Alltags- und Luxuskultur par excellence gelebt. Und nirgendwo sonst als am Golf von Neapel ist das Dasein so blitzartig durch eine Aschelawine konserviert worden.
Das bringt es mit sich, dass man auch ungewöhnlich viel über die einfachere Bevölkerung weiß. Die war keineswegs nur auf Öllampen aus der Massenproduktion angewiesen, das beweist eine Reihe besonders großer und prächtiger Leuchten, die in schlichten Unterkünften, in Garküchen und Werkstätten gefunden wurden. Die Unterscheidung erfolgte eher über die Nase. Wer nach Fett stank, brannte billigstes oder altes ranziges Olivenöl ab. Da half dann auch kein Parfüm mehr.
Verblüffende Vielfalt an Lampendesigns
Die schlechten Gerüche sind verflogen, geblieben ist die verblüffende Vielfalt, die dem modernen Lampendesign in nichts nachsteht. Man kann das tatsächlich schön vergleichen, denn in die Ausstellung sind immer wieder Objekte des vor drei Jahren verstorbenen Lichtdesigners Ingo Maurer eingestreut. Manchmal etwas willkürlich, doch diese vergleichsweise jungen Lampen unterstreichen den Witz der 2.000 Jahre alten Ideen und das frappierende Know-how hinter dieser frühen Lichtregie.
Das beginnt bei ganz simplen Reflektoren, die aus einem Flämmchen einen tollen Lichtkegel mit Schattenspiel zaubern, und endet bei gerne wohlproportionierten Trägern von Fackeln oder ganzen Stellagen. Die boten Platz für mehrere Leuchten. Der im Dezember 1900 aufgefundene Bronze-Ephebe von Barbatelli ist so ein Lampen- oder Speisenständer in Männergestalt. In die Hände konnte man fein geschmiedete Ranken stecken, die als Halterung für ein Tablett dienten.
Das Brett vorm Bauch war zwar eine stilistische Sünde, die Figur allerdings perfekt für den Einsatz beim Gastmahl – und ein Sklave der besonders standhaften Art, während sein lebendiges Bankett-Pendant mächtig zu tun hatte.
In der pompejanischen Casa del Triclinio hat man ein Fresko gefunden, das eine solches Szenario wiedergibt. Und neben Wein und erlesenen Häppchen wurde genauso die erotische Attraktivität dieser Bankettdiener und Dienerinnen goutiert. Mehr möchte man gar nicht wissen, Sklaven waren bekanntlich Besitz, mit dem man tun und lassen konnte, wonach einem der Sinn stand. Bei den abendlichen Gelagen mit Geschäftspartnern oder Freunden lagen auch nicht nur Männer auf den Klinen, (Ehe)Frauen und Töchter gehörten bei diesem Netzwerken ganz selbstredend dazu.
Bronzeständer waren das Must-have
"Carpe noctem" lautete die Devise, und um da halbwegs sicher durchzukommen, brauchte es gute Lampen. Nicht nur beim weinbeseelten Torkeln auf den Gassen, sondern genauso für die nächtliche Arbeit im Studierzimmer mit der schönen Bezeichnung "lucubratio". Schenkt man Redenschwingern und Vielschreibern wie Cicero, Plinius oder Seneca Glauben, dann griffen die Herren ausschließlich nachts zur Feder. Sowieso war die Ausstattung mit formschönen Lichtspendern zu deren Lebzeiten, also im ersten Jahrhundert, bereits gang und gäbe.
Denn mit der Einnahme des griechischen Ostens im zweiten Jahrhundert vor Christus kamen Bronzeständer auf den römischen Kunstmarkt und wurden sofort zum Must-have. Zu astronomischen Preisen: "Man genierte sich nicht, die Kandelaber für das Jahresgehalt von Kriegstribunen zu erwerben", liest man bei Plinius, der 79 vor Ort über den Vulkanausbruch berichtete und dabei sein Leben ließ. Kein Wunder, dass sich damals bereits die ebenfalls bronzenen, aber schlanken Schilfrohrkandelaber im Alltag durchgesetzt hatten.
Sie waren ja auch ungemein praktisch. Denn das Licht einer Öllampe kam mit 1,20 bis 1,50 Metern fast auf Augenhöhe zum Leuchten. Manche Kandelaber der letzten Phase Pompejis besaßen sogar einen ausziehbaren Stab, der für eine passgenaue Beleuchtung sorgen konnte. Auch beim Sex.
"Es stört die Lust, wenn man die Bewegung nicht sieht", fand Properz. Und damit war der Dichter erotischer Elegien keineswegs allein. Genauso zeigte sich beim Lampendekor eine intensive Verbindung von Licht und amouröser Leidenschaft.
Beliebte Motive auf Tonlampen: Sexstellungen, Gladiatoren und besondere Tiere
Mag sein, dass es in Pompeji ziemlich wild zuging, ausgefallene Sexstellungen zählen hier zu den bevorzugten Motiven auf Tonlampen. Häufiger sind nur Gladiatoren und besonders Tiere zu finden: Raubkatzen beim Sprung, eine Gans, deren Hals einen eleganten Griff bildet, Stierschädel und Schnecken, selbst ein gerupfter Vogel oder Pferdeköpfe.
Und schließlich sind größere Ansammlungen superpotenter Burschen mit Riesenphallus oder Lampen in Phallusform erhalten. Sie waren lange Zeit im "geheimen Kabinett" des Archäologischen Museums von Neapel nur sehr eingeschränkt zu sehen. Die Bewohner unterm Vesuv würden sich darüber ganz sicher amüsieren, zumal sich damit doch Unheil im großen Stil abwehren ließ. Den Vulkan hat das freilich nicht beeindruckt.
"Neues Licht aus Pompeji" bis 2. April 2023, Staatliche Antikensammlungen, Di - So, 10 bis 17, Mi bis 20 Uhr, Katalog (Nünnerich-Asmus Verlag, 512 Seiten, 35 Euro); Samstag 14 Uhr: Führung, Sonntag: Kindertag zur Ausstellung