Ausstellung: Jessica Lange schaut mit ihrer Leica auf das verlorene Amerika
München - Es war 1976 – sie ist 27 Jahre, als ein Riesengorilla die blonde Jessica Lange in seiner Pranke hält und am Empire State Building hochklettert – in Dino De Laurentiis' "King Kong". Das Debüt von Lange. 45 Jahre später – Jessica Lange lebt seit gut zwanzig Jahren in New York – nimmt sie ihre Kamera und schlendert durch ihre Stadt. Die hat sich innerhalb kürzester Zeit komplett verändert: "Der Lockdown. Wer raus konnte, ist gegangen", erzählt Lange als Einführung in ihre Ausstellung im Deutschen Theatermuseum. Die medizinische Versorgung war zusammengebrochen, die Stadt menschenleer – fast: "Die Obdachlosen waren alle noch da. Und das war auffällig, weil es ja die Menschen sind, über die man achtlos in der Hektik des Alltags einfach rübersteigt und wegschaut."

Mit Obdachlosen im Gespräch
Sie sei dann eben stehengeblieben und habe mit ihnen geredet. Es sei eine Zeit des intensiven Austauschs gewesen, wie sie so wohl nicht wiederkommen wird.
Sam Shepard hat ihr die Leica M6 geschenkt
Und weil alles zum Stillstand gekommen war, "das tägliche Chaos sich ins Nichts aufgelöst hatte", hat sie ihre Kamera genommen. Ihr früherer Mann, Sam Shepard, habe sie ihr geschenkt: eine Leica M6. Mit ihr umherzugehen ist "wie einen Cadillac fahren". Aber den Obdachlosen in New York sei das natürlich egal gewesen.
Ein gutes Dutzend Fotoabzüge aus New York sind in der Galeriestraße aufgehängt, sie hat sie in einem Karton vorausgeschickt. Sie lasse immer den schwarzen Negativrand dran, weil das zu ihrem analogen, hochkontrastierten, unbearbeiteten Stil passe.
Wim Wenders empfahl das Labor
Die andere Serie, "Highway 61", aus der ebenfalls so viele Bilder an der Wand gegenüber hängen, habe sie noch selbst in ihrer Dunkelkammer entwickelt und abgezogen. Mit dem Umzug nach New York sei dann die Dunkelkammer weggefallen. "Jetzt habe ich ein Labor, das mir von Wim Wenders empfohlen wurde."
Langes Bilder sind nicht lange komponiert, es sind Schnappschüsse, die dann aber doch in ihrer Perfektion überraschen, gerade auch, weil sie eben nicht digital nachbearbeitet sind oder der Ausschnitt verändert wurde. "Nichts ist arrangiert, niemand ist in Pose". Das sei eine Schule der Aufmerksamkeit, weil ein verpasster Moment eben verpasst sei.
Evans, Levitt und Koudelka gesammelt
Lange selbst sammelt auch Fotografien – von Walker Evans oder Helen Levitt. Der Tscheche Josef Koudelka ist ihr Liebling, der mit Fotografien 1968 über die Niederschlagung des Prager Frühlings weltberühmt wurde.
"Kennen Sie Guy Debord?", fragt Jessica Lange am 1. Juli die geladenen Gäste bei der Ausstellungseröffnung. Der französische Schriftsteller und Aktivist war ein Kapitalismus- und Konsumkritiker, der in Langes Studentenzeit in Paris während der Revolution gewirkt hatte. "Von ihm stammt der Titel meiner New-York-Serie: ,Dérive'": das Haus verlassen und rumwandern, um die Gesellschaft und die Menschen zu verstehen. "Und diese Zeit der Verlassenheit war einzigartig, ich habe sie genossen." Sie sei dann ziel- und grundlos durch New York gestreift: "Eine Zeit großer Befreiung und Freiheit - auch weil alle, die mich auf der Straße hätten erkennen können, gegangen waren".
Bob Dylan verweigert den Titel "Revisited"
Auf einer Bank bei einem Spielplatz sitzt ein Paar, vertraut, entspannt auf einem Foto festgehalten, seltsam kostümiert, angezogen wie aus den 40er-Jahren. "Ich saß ihnen eine Weile gegenüber. Und das Amüsante war, dass ich sie einige Wochen später noch einmal getroffen habe, da waren sie anders kostümiert aus einer anderen Epoche, als ob sie sich selbst in dieser Ausnahmezeit entertainen wollten."

Auf der gegenüberliegenden Seite ist das frühere Projekt gehängt: "Highway 61", veröffentlicht 1999 – ein weiteres Dutzend Bilder. Bob Dylan hat dieser Strecke 1965 ein Album gewidmet: "Highway 61 Revisited".
Dylan habe ihr aber untersagt, den gleichen Titel für ihr Fotobuch zu verwenden, aber in der nächsten Auflage oder einer Neuausgabe würde sie es einfach tun, weil es genau ihr Thema sei: "Revisited" – immer wieder besucht.
Geisterstädte und das Geisterhaus
"Ich wurde hier geboren, am Highway 61, der meine Heimat Minnesota mit New Orleans und dem Mississippi-Delta verbindet", erzählt sie. Und es war ihre Intention mit der Kamera die "Verluste" festzuhalten: "Amerika ist in einem ständigen Transformationsprozess und da gibt es ständig Verlierer. Der Highway 61 ist so eine niederschmetternde Linie der Verlierer – mit verlassenen Farmhäusern, ja ganzen Geisterorten, als ob hier Aliens gelandet wären und die Leute geflohen. Es sind Orte der Reflexion, der Einsamkeit, der Migration. Das ist es, was mich anzieht."
Die Reise geht von Nord nach Süd. "Das Mississippi-Delta ist ein seltsam heimgesuchter, aber magischer Ort". Auf einem Foto brennt ein Wohnhaus. Eine alte Frau steht davor, als ob sie gerade erst herausgekommen ist. Zwei Bilder weiter hängt das Foto einer Bar, die komplett verlassen wurde. Oder daneben das ärmliche, verfallende Haus. Ein Mann hat es für die Puppensammlung seiner Mutter zum Museum umfunktioniert und so doppelt zu einer Art Geisterhaus gemacht.
"Through her Lens – Photographs by Jessica Lange": bis 8. September, Galeriestr. 4a / Hofgarten, 5/4 Euro, täglich außer Mo, 10 - 17 Uhr
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