Ausstellung in der Villa Stuck: Die Flügel der Freiheit

Wie Ikarus wollte er fliegen - jetzt erinnert die Villa Stuck an den oberschwäbischen Tüftler Gustav Mesmer, der sich fantastische Flugfahrräder ausgedacht hat.
von  Christa Sigg
Lächelnd stand Gustav Mesmer auf einer Anhöhe und hat mit seiner Flügelkonstruktion versucht, wie die Vögel zu fliegen.
Lächelnd stand Gustav Mesmer auf einer Anhöhe und hat mit seiner Flügelkonstruktion versucht, wie die Vögel zu fliegen. © Stefan Hartmaier

München - Im Württembergischen scheinen sie gerne zu fliegen. Vor allem mit kuriosen Gerätschaften.

Das mag damit zu tun haben, dass die Anhöhen und damit auch die Gefahren überschaubar sind, von richtigen Bergen darf man im Vergleich zu Bayern, Österreich oder zur Schweiz sowieso nicht sprechen.

Also sehnen sich die Schwaben neben dem genuinen Hang zum Erfinden nach dem Blick "von ganz weit oben", wie das etwa beim Schneider von Ulm und knapp 100 Jahre später beim Grafen Zeppelin am Bodensee der Fall war.

Für die meisten war Mesmer einfach nur versponnen oder verrückt

So ungefähr auf halber Strecke dazwischen hat noch einer sein Leben lang vom Fliegen geträumt: Gustav Mesmer, der vielleicht Fantasievollste von allen, an den jetzt eine zauberhafte Ausstellung in der Villa Stuck erinnert.

Wobei das mit der Fantasie ganz unterschiedlich ausgelegt worden ist. Für die meisten war Mesmer einfach nur versponnen oder verrückt, zurückgeblieben und in der Folge gleich noch ein Fall für die Psychiatrie mit den Diagnosen Schizophrenie und - eigentlich eine Auszeichnung - Erfinderwahn.

In der Dorfkirche schreit sich Gustav Mesmer seine Zweifel von der Seele

Solche hat man weggesteckt, und wenn sie nicht gar zu schmächtig oder aufsässig waren, als Verdingbuben zum Arbeiten geschickt. Gustav, der 1903 als sechstes von zwölf Kindern in Altshausen zwischen Saulgau und Ravensburg geboren wurde, kommt von seinem elften Lebensjahr an auf verschiedene Bauernhöfe.

Dort gibt es auch während des Krieges genug zu essen. Und als er dann im Gut von Kloster Untermarchtal landet, finden die Schwester, der Gustav würde doch ein schönes Päterle abgeben. An religiösem Überschwang mangelt es keineswegs, und der junge Mann tritt bald schon ins Kloster Beuron ein. Doch spätestens nach sechs Jahren ist für Pater Alexander, wie er genannt wird, "alle Himmelsherrlichkeit zerfallen". Krank, "halb geistesgestört", wie er selbst notiert, wird er "fortgewiesen".

"Religiöser Unfall" bringt Mesmer in die Psychiatrie

Während einer Schreinerlehre im Heimatort stellt sich Gustav wieder ziemlich gut an, und so hätte es gemächlich weitergehen können. Aber dann stürmt er 1929 bei einem Spaziergang in die Altshausener Dorfkirche und schreit sich seine Zweifel an der Eucharistie von der Seele.

Es ist vermutlich nicht nur dieser "religiöse Unfall" - so kommentiert es Mesmer im Nachhinein -, der ihn in die Psychiatrie bringt. Das ist eine Katastrophe, keine Frage. Allerdings kommt er in dieser Abgeschiedenheit auf die Fliegerei und beginnt zu zeichnen und Modelle zu bauen.

Auf Sprungfedern oder Rollen sitzende alte Schuhe verblüffen 

In der Stuckvilla ist das jetzt im Ateliertrakt auf zwei Ebenen nachzuverfolgen, und man staunt nicht schlecht vor diesen tollkühnen Ideen und vor Konstruktionszeichnungen von den irrsten Tragflächen, von Flügeln, Unterbauten und Rädern, die man sich allesamt selbst an die Wand hängen möchte.

Und dann erst die Umsetzungen, die - heute hat das noch einen ganz anderen, sympathischen Gout - aussehen, als hätte einer den Wertstoffhof auf das Originellste zusammengestückelt: Über einem klapprigen alten Fahrrad sind Holzstangen mit Plastikplanen aus Düngersäcken montiert. Dann gibt es eine wilde kleine Werkstatt mit Bohrer, Hammer, Drähten und viel Krimskrams. Und schließlich verblüffen alte Schuhe, die auf Sprungfedern oder Rollen sitzen, Gehhilfen mit Rädern und immer wieder Flugobjekte.

Unwillkürlich muss man an den 72-jährigen Hans-Georg Georgi denken, der seit Ewigkeiten Flugzeuge aus Pappresten bastelt. Herrliches Zeug, auch das wurde erst spät erkannt - auf Herrenchiemsee waren die Flieger im Rahmen der "Königsklasse" zu sehen. Und wie Mesmer ist auch Georgi durch verschiedene Anstalten geschubst worden, bis man sein Talent im Frankfurter Atelier Goldstein für sogenannte Outsider Art erkannt hat.

Teil der Ausrüstung: Brustpanzer mit flexiblem Rückgrat 

Sicher, Gustav Mesmer war noch eine gute Spur schräger, im Grunde voller Selbstironie - anders hält man das Leben in der "Geschlossenen" wohl nicht aus - und Poesie. Das vermitteln allein die Titel seiner Objekte. Vom Drachen-Raumschiff ist da die Rede, vom "Doppel Maikäfer Flügel Flugrad", und zur Ausrüstung dieses schwäbischen Bruchpiloten gehört genauso ein Brustpanzer mit einem flexiblen Rückgrat und einem Helm aus Rosshaar und Schaumstoff.

Batterien und überhaupt Strom haben hier nichts zu suchen. Nur durch die eigene Muskelkraft sollten die Menschen mit dem Flugfahrrad von Dorf zu Dorf fliegen können. Ökologischer geht's nicht. Aber mehr als ein paar Hopser waren halt auch nicht drin. Das konstatiert Mesmer erstaunlich trocken, und man kann sich leicht vorstellen, wie er dabei die kleinen freundlichen Augen noch ein bisschen mehr zusammengekniffen hat.

Erst im Rentenalter darf der Bruchpilot die Anstalt verlassen

Am Träumen konnte ihn trotzdem keiner hindern, und manches hat ja doch irgendwie funktioniert. Aus seinen schrappligen Musikinstrumenten kommen immerhin Töne. Vielleicht nicht die allerschönsten, aber man hört etwas, wenn jemand die Trompetengitarre bearbeitet, die Blechbüchsentrommel, allerlei Tröten oder eine Art Kniegeige, die an die modernen E-Celli erinnert.

Mesmer hat sich verwirklicht und doch gelitten, das darf man nicht vergessen. Seine Anträge auf Entlassung ziehen sich jahrzehntelang hin, und als es dann 1964 endlich so weit ist, hat er die 60 längst überschritten.

Doch ihm bleiben noch einige Jahre, um weiter zu tüfteln. Sogar eine Ausstellung mit seinen Flugobjekten hat dieser schrullige Held der Lüfte noch erlebt, bevor er 1994 an Weihnachten in einem Altersheim auf der Schwäbischen Alb gestorben ist. Hinter Münsingen wird es hügeliger, der "Ikarus vom Lautertal", wie er auf seiner letzten Etappe genannt wurde, hätte es am Ende vielleicht doch noch geschafft. Ein paar Hopser mehr wären jedenfalls drin gewesen.


"Gustav Mesmer. Der Ikarus vom Lautertal" bis 10. Juli im Museum Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, Di bis So 11 bis 18 Uhr

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.