Ausstellung in der Monacensia: Die bittere Seite der Freiheit

Die Ausstellung "Frei Leben! Die Frauen der Bohème" im Münchner Literaturarchiv Monacensia.
von  Roberta De Righi
Franziska zu Reventlow mit ihrem Sohn auf Samos.
Franziska zu Reventlow mit ihrem Sohn auf Samos. © Monacensia

München - Es liegt nunmal tief in meiner Natur, dieses maßlose Streben, Sehnen nach Freiheit, ich muss gegen alle Fesseln, alle Schranken ankämpfen, anrennen." Voller Idealismus erklärte sich Franziska zu Reventlow 1890 in einem Brief einem Freund. Doch der war bitter erkauft: "Wenn nur die verdammten Existenzsorgen nicht wären", vertraut sie 1908 ihrem Tagebuch an.

Das Leben der Schriftstellerin, Übersetzerin und Malerin ist Teil der Ausstellung "Frei leben! Die Frauen der Bohème 1890 - 1920". Darin widmet sich das Münchner Literaturarchiv Monacensia drei Münchner Künstlerinnen der Weimarer Zeit: Neben zu Reventlow (1871-1918) der Dichterin und "Jugend"-Redakteurin Margarete Beutler (1876-1949) und der Schauspielerin, Schriftstellerin und Kabarettistin Emmy Hennings (1885-1948).

Zu Reventlow, Beutler, Hennings: Gelernte Lehrerinnen erliegen dem Lockruf Münchens

Alle drei kamen aus gutbürgerlichen oder adeligen Familien im Norden und ließen sich vom als Kunst-Stadt weit leuchtenden München anlocken. Sie wünschten sich ein selbstbestimmtes Leben jenseits von Konventionen und starren Geschlechterrollen in Ehe und Mutterschaft.

Keine der dreien nimmt eine Stellung im erlernten Beruf als Lehrerin an: Beutler lebt von kleinen Schreib-Aufträgen, Reventlow schreibt Romane und verdient mehr schlecht als recht mit Übersetzungen, beide verfassen erste Texte für den "Simplicissimus". Hennings geht zum Wandertheater.

Franziska zu Reventlow gibt den Vater ihres Sohnes Rolf nie preis

In "Wahnmoching", wie zu Reventlow Schwabing im Roman "Herrn Dames Aufzeichnungen" nannte, schien um die vorletzte Jahrhundertwende alles möglich: Avantgarde und Revolution, Libertinage, Exzess - und Absturz. Zeitweise wohnten hier Lenin und Erich Mühsam, das heute piekfeine Schwabing war Epizentrum der Anti-Bürgerlichkeit.

"Ich werde tun, was ich will. Ich werde nicht heiraten": Beutler zieht ihren Sohn aus erster Ehe allein groß, Hennings' Tochter wächst bei der Großmutter auf und zu Reventlow gibt den Vater ihres Sohnes Rolf nie preis. In der Kaulbachstraße 63 lebt sie ab 1903 mit ihm in einer WG mit ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Bohdan von Suchocki und Schriftstellerfreund Franz Hessel.

Moralische und geistige Freiheit bedeuten ökonomische Unsicherheit

Ein paar Häuser weiter wohnt Ricarda Huch. Ums Eck. in der Giselastraße, residiert das Künstler-Paar Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky, dort lädt Werefkin, die wie zu Reventlow Anton Abes Malschule besucht hatte, in ihren "rosa Salon".

Die Kehrseite der Entscheidung für moralische und geistige Freiheit sind ökonomische Unsicherheit, gesellschaftlicher Abstieg und eine fragile Gesundheit. Hennings' Leben ist phasenweise geprägt von Drogensucht und Mangelernährung, sie erkrankt an Typhus, erleidet eine Fehlgeburt, entschließt sich ein anderes Mal zum Schwangerschaftsabbruch und muss sogar wegen Diebstahls ins Gefängnis.

Emmy Hennings: "Ich gehe immer auf die Gasse, meine Bücher sind Gassen-Bücher"

In ihr 1920 erschienenes Buch "Das Brandmal" flossen eigene Erlebnisse ein: Darin beschreibt sie die Erlebnisse einer jungen Frau zwischen Obdachlosigkeit und Prostitution. "Ich gehe immer auf die Gasse, meine Bücher sind Gassen-Bücher", schreibt sie. Auch Franziska von Reventlow prostituiert sich immer wieder aus finanzieller Not. "Frei leben" zeichnet die Lebenswege der Frauen nach, setzt sich aber auch davon losgelöst mit der gesellschaftlichen Situation bis heute auseinander.

Eine wichtige Anlaufstelle der Frauen und Treffpunkt für die linke Bohème war Münchens erste Ärztin Hope Bridges Adams Lehmann in der Praxis, die sie und ihr Mann in der Gabelsbergerstraße betrieben. Sie engagierte sich für die Frauengesundheit, warb für Geburtenkontrolle und das Recht auf Abtreibung, plante ein Entbindungsheim.

Margarete Beutler stirbt 1949 vereinsamt und verarmt am Starnberger See

Für Emmy Hennings besserte sich die Situation zunächst: Nach Emigration in die Schweiz 1915 und Heirat mit Hugo Ball tritt sie im Zürcher Cabaret Voltaire auf, wird zur Dada-Mitbegründerin. Nach Balls frühem Tod 1927 kümmert sie sich um dessen Nachlass und hält sich bis zu ihrem Tod 1948 gerade so über Wasser.

Margarete Beutler stirbt 1949 vereinsamt und verarmt am Starnberger See. Da war Franziska zu Reventlow schon lange tot. Sie stirbt 1918 an den Folgen eines Fahrradunfalls. Bei den "Narren und Propheten" der Künstlerkolonie auf dem Monte Verità, wo sie seit 1910 lebte, wurde die Schwabinger Skandalgräfin" nie so heimisch wie im geliebten München.


Bis Juli 2023, Monacensia, Maria-Theresia-Str 23, Mo-Mi 9.30 bis 17.30, Do 12 bis 22, Sa/So 11 bis 18 Uhr

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