Ausstellung im Haus der Kunst: Tiefe Einsichten im Nebulösen

Legt sich der Nebel/siehst du hoch über dem Fuji/den bleichen Mond". In japanischen Haikus versinnbildlicht das Motiv des Nebels einen Moment der Veränderung. Die Künstlerin Fujiko Nakaya (geboren 1933 in Sapporo) hüllt jetzt das Münchner Haus der Kunst in gnädigen weißen Dunst: Auf der Ostseite ziehen dichte Nebelschwaden von Dach herab, lassen das Publikum auf der Terrasse verschwinden und werden vom Wind weiter in Richtung Eisbach getrieben. "Munich Fog (Fogfall)" heißt die ephemere Installation, die ebenso zauberhaft wie unheimlich wirkt.
Die Schnittstelle von Kunst, Natur und Wissenschaft
Zuletzt tauchte Fujiko Nakaya 2019 das Karlsruher ZKM in Nebel. Jetzt richtet ihr das Haus der Kunst unter dem Titel "Nebel. Leben" die erste große Retrospektive in Europa aus. Dabei spielte ihre Arbeit an der Schnittstelle von Kunst, Natur und Wissenschaft für die Entwicklung von jüngeren Künstlern wie Olafur Eliasson oder Carsten Nicolai eine wichtige Rolle.
In Nakayas Familie hat die Auseinandersetzung mit den Aggregatszuständen des Wassers Tradition. Ihr Vater, der Physiker Ukichiro Nakaya, erforschte Eis- und Schneekristalle. Nakaya selbst studierte Malerei in den USA, Madrid und Paris, ehe sie Anfang der 1960er Jahre nach Japan zurückkehrte. Dort übersetzte sie für Rauschenberg und Warhol, war Mitgründerin des Kunst-Kollektivs "Video Hiruba" und eröffnete 1980 Tokios erste Video-Galerie.
Die von Sarah Theurer und Andrea Lissoni kuratierte Schau zeigt neben drei raumfüllenden Nebel-Skulpturen Zeichnungen, Gemälde und Video-Arbeiten. Während ihre feinnervigen Bilder Natur und Landschaft kleinteilig abstrahieren, ist manches Video wie eine Anleitung zur Zen-Übung.

Buddhistischer Mönchsgesang und Nebel-Installationen
In einem Film fängt Nakaya den Gesang buddhistischer Mönche ein, in dem die Summe der Individuen den Sound des Kollektivs prägt. Ein anderer zeichnet den Versuch auf, ein Ei aufzustellen. Drei Projektionen wiederum dokumentieren frühere Nebel-Installationen, u. a. rund um Philipp Johnsons berühmtes "Glass House" in Connecticut, ein inszeniertes Paradox, in dem der Wasserdampf die Transparenz des vollständig verglasten Hauses aufhebt.
Nakaya realisierte bisher weltweit über 90 Nebel-Skulpturen, alle im Außenraum. Die Schau im Haus der Kunst ist also ein gewagtes, technisch aufwendiges Experiment.
Für "Munich Fog (Wave)" wurde in die riesige Osthalle auf der gesamten Bodenfläche ein zehn Zentimeter tiefes Wasserbassin eingebaut, das die Besucher auf hölzernen Bohlen wie in einem japanischen Onsen-Thermalbad umrunden. In der Mitte sprühen Düsen alle halbe Stunde Wasser-Aerosole in den Raum. Um darüber hinaus eine Verbindung von Außen- und Innenraum zu schaffen, stehen die Türen der Halle nach Osten offen.
Erste Vernissage ohne Corona-Beschränkungen für Andrea Lissoni
Seit März 2020 lenkt Andrea Lissoni als künstlerischer Leiter das Haus der Kunst, doch erst jetzt konnte er seine erste große Vernissage ohne Corona-Beschränkungen feiern. Dementsprechend strömte zur Eröffnung von "Nebel. Leben" das Publikum in Scharen und beobachtete staunend, wie hoch die Nebel steigen.
Die Dunstwolke berührt, aber man kann sie nicht greifen. Nakayas immaterielle Kunst verbirgt und enthüllt, sie gibt der Imagination Raum wie das übrig gebliebene Weiß in der japanischen Kunst. Für den NS-Bau hat diese Ausstellung Symbolcharakter.
Ausstellung ist kein Spektakel, aber spektakulär
Der Nebel "mache die Mauern weicher", erklärt Lissoni. Und tatsächlich: Wie die Konturen der Besucher verschwimmen, löst sich auch die monumentale Architektur im Dunst auf. So wie Christo & Jeanne-Claudes "Wrapped Reichstag" 1995 das Image eines historisch belasteten Gebäudes verwandelte, signalisiert jetzt - ein wenig zeitverzögert - "Nebel. Leben" den Neuanfang im Haus der Kunst.
Die Schau ist kein Spektakel, aber dennoch spektakulär. Sie trumpft nicht auf, sondern stellt in Frage. "Munich Fog (Wave)" ist nach zwei Jahren Pandemie und mitten im Ukraine-Krieg das Kunstwerk der Stunde.
"Nebel. Leben", bis 31. Juli im Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, Mo/Mi/Fr-So 10 bis 20, Do bis 22 Uhr