Kritik

Ausstellung "Bildgeschichten" im Jüdischen Museum

Die Ausstellung "Bildgeschichten - Münchner Jüdinnen und Juden im Porträt" im Jüdischen Museum
von  Roberta De Righi
Die Familie Lippschütz, porträtiert von einem unbekannten Künstler
Die Familie Lippschütz, porträtiert von einem unbekannten Künstler © Franz Krimmel, Jüdisches Museum München

Das spitzenbesetzte Prinzessinnenkleid sitzt perfekt, aber der Blick der fünfjährigen Rita Sachs wirkt irgendwie unglücklich. Der Münchner Textilwarenhändler Gustav Sachs und seine Frau Jenny ließen ihre erstgeborene Tochter 1899 im historischen Kostüm porträtieren. Das Bildnis ist herzzerreißend - vor allem wenn man das Ende der Geschichte kennt.

Es ist nun Teil der unbedingt sehenswerten Ausstellung "Bildgeschichten - Münchner Jüdinnen und Juden im Porträt", die ab heute im Jüdischen Museum zu sehen ist. Sie ist das letzte Projekt des langjährigen Museumsdirektors Bernhard Purin, der sie zusammen mit Lara Theobalt erarbeitete, ehe er Mitte Februar diesen Jahres völlig unerwartet starb.

Deutsch-jüdische Biografien

Die Präsentation, deren größter Teil aus den eigenen Beständen stammt, umfasst rund 40 Exponate, vor allem Gemälde, aber auch Zeichnungen und Porträtbüsten. Nicht zuletzt die Ausstellungsgestaltung von Martin Kohlbauer sorgt dafür, dass die in sehr unterschiedlichen Formaten dargestellten Personen dennoch alle gleichermaßen zur Geltung kommen.

Ob die "Brauereibesitzersgattin", sechsfache Mutter und Wohltäterin Ida Schülein (1861 -1929) oder die Malerin Maria Luiko (1904 -1941): Die gezeigten Porträts bewahren nicht nur höchst verschiedene Geschichten von Menschen, sondern bergen exemplarisch jüdische Biografien zwischen Deutschem Reich, Kaiserzeit, Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Sie berichten von Aufstieg, Fleiß, Geschick und wachsendem Selbstbewusstsein. Und erzählen von Hetzkampagnen, Enteignung, Verfolgung. Viele enden mit Deportation und Ermordung.

Münchens erster jüdischer Kommunalpolitiker

Den Münchner Rabbiner Hirsch Aub (1796 - 1875) könnte man im Bildnis, entstanden 1850/60, auf den ersten Blick für einen katholischen Priester halten - was an seinem Soutane-ähnlichen Gewand liegt. Doch Gebetbuch und Tallit-Mantel weisen ihn als Rabbiner aus, für den es damals noch keine einheitliche Amtstracht gab. Hirsch Aub galt als gemäßigt-liberal, war 45 Jahre Vorsteher der Israelitischen Kulturgemeinde, die unter seiner Ägide die (heute zerstörte) Synagoge in der Westenriederstraße baute, und kämpfte für die Gleichstellung von Jüdinnen und Juden in Deutschland, die erst ab 1871 Gesetz wurde.

Moritz Guggenheimer (1825 - 1902) wiederum war Textilhändler, Bankier, Kommerzienrat - und Münchens erster jüdischer Kommunalpolitiker, der sich in dieser Funktion etwa für den Ausbau der Kanalisation und die Errichtung des städtischen Schlachthofs einsetzte. 1881 trat er wegen antisemitischer Anfeindungen von seinem Amt zurück.

Lehmann Bernheimer, im Jahr 1903 gemalt von Franz von Lenbachbeide von 1903.
Lehmann Bernheimer, im Jahr 1903 gemalt von Franz von Lenbachbeide von 1903. © Eva Jünger, Jüdisches Museum München

Noch 1899 ließ er sich von Franz von Lenbach malen, dem meistgefragten Porträtisten der Wilhelminischen Zeit. Das Ergebnis war ein typisches Lenbach-Gemälde, in dem sich das fein gezeichnete, fast wie mit Spotlight ausgeleuchtete Gesicht von den dunklen Tönen der Kleidung und des Bildgrunds abhebt. Guggenheimer schaut darin sein Gegenüber mit glasklarem Blick fast fragend an.

Ein Panorama bürgerlicher Porträtkultur

Ebenfalls vom Münchner Malerfürsten stammen die Konterfeis des Ehepaars Fanny und Lehmann Bernheimer, beide von 1903. Ihre Schenkung ans Museum durch deren Urenkel Konrad O. Bernheimer gab 2021 den Anstoß für die jetzige Schau. Auch dass dessen Ururgroßvater Meier Bernheimer einst 1856 als Händler mit Stoffen auf die Dult nach München kam, ehe die Bernheimers zur Kunsthandels-Dynastie - mit pompös-repräsentativem Palais am Lenbachplatz - wurden, kann man hier erfahren.

Die Verkäuferin Priska Schluttenhofer, 1935 gemalt von ihrem Lebensgefährten Leonhard Eckertsberger.
Die Verkäuferin Priska Schluttenhofer, 1935 gemalt von ihrem Lebensgefährten Leonhard Eckertsberger. © Eva Jünger, Jüdisches Museum München

Die Schau auf zwei Geschossen bietet ein Panorama bürgerlicher Porträtkultur, zeigt dabei aber nicht nur Oberschicht-Biografien auf: Die Verkäuferin Priska Schluttenhofer hätte sich vermutlich nicht von selbst ins Atelier begeben, wenn nicht ihr Lebensgefährte Leonhard Eckertsberger Maler gewesen wäre, der sie 1935 porträtierte.

Tod in Kauna

Das eindrückliche Bildnis mit Hut, Brille und weißem Spitzenkragen hat in der Anmutung etwas betont Altmeisterliches, während das Gesicht der Frau mit dem leicht skeptischen Blick modern und lebensnah wirkt. Die gelernte Schneiderin arbeitete 24 Jahre in der Textilwarenfirma S. Eichengrün & Co., verlor bei deren Enteignung im März 1938 ihre Stelle und versuchte vergeblich, aus Nazi-Deutschland zu fliehen. Sie wurde gemeinsam mit rund tausend weiteren Menschen im ersten Zug aus dem Milbertshofener Sammellager am 20. November 1941 nach Osten deportiert und wurde fünf Tage später im litauischen Kaunas ermordet.

In demselben Zug waren auch Maria Luiko sowie Rita Sachs und ihr zweiter Ehemann Max Mayer: Er stand bereits auf der Deportationsliste, sie noch nicht. Sie vorverlegten extra ihre Hochzeit - und fuhren dann gemeinsam in den Tod. Beide wurden ebenfalls am 25. November unter dem Kommando des SS-Standartenführers Karl Jäger erschossen.

Bis 2. März 2025, Di - So 10 bis 18 Uhr, umfangreiches Vermittlungsprogramm unter www.juedisches-museum-muenchen.de

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