Ausdrucksstark und unverputzt
Das Märchen war einfach zu schön. In französischer Pracht wollte der Kini am weißblauen Meer dem Absolutismus ein Denkmal setzen – was nicht gut gehen konnte. 1886 ging dem bauwütigen Monarchen das Geld aus, und so stolpert man auf Schloss Herrenchiemsee von der pompösen Hauptanlage ganz unvermittelt in eine Baustelle. Doch was seinerzeit eine Malaise war, ist für heutige Sehgewohnheiten ein Glücksfall. Die großzügigen Räumlichkeiten des Nordflügels bieten mit ihren kahlen, unverputzten Ziegelwänden das ideale Ambiente für moderne Kunst – ab sofort für ausgesuchte Höhepunkte der Pinakothek der Moderne.
Sommerfrische für Warhol, Beuys & Co.
Und um es gleich vorweg zu sagen: Leider nur elf Wochen lang, dann ist die Sommerfrische am Chiemsee beendet, und Warhol, Baselitz und Konsorten müssen zurück in ihren frisch renovierten Museumstempel an der Barerstraße. Jetzt genießen sie die neue Umgebung. Das wird gleich im ersten Raum offenkundig: Andy Warhol schaut dem Besucher selbstbewusst entgegen und tritt in eine launige Konversation mit seinem deutschen Gegenüber Joseph Beuys – ebenfalls in der Siebdruckversion des 1987 verstorbenen US-Pop-Artisten, dem die Factory-Atmosphäre hier ganz sicher behagt hätte.
Die beiden markieren auch den Radius der „Königsklasse”, so lautet der Titel dieser Schau amerikanischer und deutscher Heroen der Nachkriegskunst. Wobei das Hinterfragen von Idealen, die Verarbeitung traumatischer Kriegserfahrungen oder die Demaskierung von schönem Schein, das in dieser Generation besonders verankert ist, im Fragmentarischen der Räume ein nahezu perfektes Pendant finden. Beuys’ Materialismus-Verweigerung ist hier besser platziert als in der kühl-schicken Aura eines Kunsttempels. Überhaupt fordern die stark strukturierten Wände Bilder von besonderer Energie.
Die meisten Werke gewinnen im neuen Ambiente
In den kraftvollen Arbeiten eines Georg Baselitz’ treten plötzlich Feinheiten in den Vordergrund, die man vor den üblichen weißen Wänden kaum wahrnimmt. Umrahmt von Ziegelrot gelangen Arnulf Rainers düstere Kreuzbilder zu einer fast versöhnliche Präsenz und reichen doch mehr noch ans Elementare. Dan Flavins Lichtinstallation „Jamaica“ geht mit rauen Mauern und Tageslicht eine kuriose Liaison ein. Sigmar Polkes etwas geschmäcklerische Schleifenbilder gewinnen an Tiefe, ihr Spiel der Linien und Ornamente lässt das Dürer-Vorbild (Triumphzug Kaiser Maximilians) nicht mehr nur vage erahnen. Und die Werke können Einheiten bilden, sind in Künstlerräumen zusammengefasst, was die Wirkung noch einmal unterstreicht.
Die Ausstellung auf Herrenchiemsee ist nicht nur nebenbei eine Hommage an Herzog Franz, der mit seiner zukunftsweisenden Kunstsammlung – viele Exponate gehen auf sie zurück – und Förderung eine Tugend der Wittelsbacher in besonderer Weise weiterführt. Zum 80. Geburtstag (siehe Seite 3) konnte man ihm kaum ein schöneres Geschenk präsentieren.
Herrenchiemsee, bis 29. September 2013, täglich von 9 bis 18 Uhr
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- Pinakothek der Moderne