Aus dem Vollen geschöpft
Ein feiner Fang! Jetzt ist München auch Daumier-Stadt – und besitzt mit einem Schlag die umfassendste deutsche Kollektion dieses bedeutendsten französischen Karikaturisten des 19. Jahrhunderts. Das kunstsinnige Ehepaar Brigitte und Walter Kames überließ der Graphischen Sammlung über 3000 Lithografien sowie 30 Holzschnitte. Und nicht irgendwelche wild und willkürlich zusammengetragenen Blätter, die der Markt nach wie vor zu durchaus finanzierbaren Preisen ausspuckt, sondern vor allem vollständige (!) Serien und frühe Arbeiten. Das ergänzt und übertrifft die bayerischen Bestände und erlaubt nun eine Ausstellung, die aus dem Vollen schöpft.
Allein zu sehen, wie Honoré Daumier (1808-1879) ein Thema über Tage und Wochen spielt und variiert, sich die unterschiedlichsten Aspekte herauspickt und damit jongliert, ist von besonderem Reiz. Und zeigt, wie diese Feder sprudelt – auch oder erst recht unter Zeitdruck. Verleger Charles Philipon saß auf der Lauer, denn Daumiers Stammblatt „Le Charivari” erschien täglich, und die Abonnentenschaft erwartete pointierte Bild-Kommentare von hoher künstlerischer Qualität.
Blasierte Advokaten und gierige Bankchefs
Die teure Zeitschrift war ein feiner Zeitvertreib für betuchte Connaisseure. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Leserschaft muss also just aus der Klientel bestanden haben, die Zielscheibe des Spotts bildet: vom ehrgeizigen Politiker bis zum blasierten Advokaten, vom Dandy bis zum gierigen Bankchef. Und – da gibt es Parallelen zum Münchner „Simplicissimus” – keinesfalls aus den Armen und Geschundenen, les Miserables also, auf deren elende Situation Daumiers Griffel zeigt und immer noch einen drauf gibt, wenn er die Elenden in einer bitterbösen Serie über „Mieter und Vermieter” in den Bäumen oder stehend im hohlen Litfaßhäusl übernachten lässt.
Die Metropole Paris war das ideale Terrain, ein Künstler mit offenen Augen bekam genug auf der Straße serviert, die Themen gingen nicht aus in den bewegten Jahrzehnten vor der Dritten Republik. Und obgleich die Zensur der Satire dauernd im Nacken saß, ist doch frappierend, was durchging. Oder zumindest gedruckt werden konnte durch Aloys Senefelders ziemlich neue Erfindung der Lithografie. Man braucht nur die Physiognomien zu studieren – und Daumier verblüfft auch heute in Zeiten dauernder Bilder-Tsunamis mit diesen herrlich auf die Spitze getriebenen Charakterstudien – und realisiert noch ohne den Text zu kennen die Entlarvung. Doch oft genug braucht’s auch die Erklärung, um den wahren Jokus zu verstehen. Und so liest man auch eine Menge in dieser Ausstellung.
Eine Plattform für kampflustige Weibsbilder
Wobei der Fokus in der Pinakothek weniger auf Daumiers politischen Ätzereien, denn auf den Alltagsbefindlichkeiten liegt. Also dem mehr oder weniger freundlichen Miteinander in der Familie, dem Kampf der Geschlechter, den Gefühlen und Leidenschaften: köstlich, der „dumme Verliebte” oder einer, der sein letztes Bad mit schwerem Stein am Hals nehmen will.
Dazu kommen die „Divorceuses”, die kampflustigen Anhängerinnen der Ehescheidung, oder die Männern und Betuchten Furcht einflößenden Sozialistinnen. Daumier war Republikaner, sicher kein Frauenrechtler, aber er gibt diesen Themen einen Plattform. Und das ist Mitte des 19. Jahrhunderts schon eine Menge.
"Monsieur Daumier, Ihre Serie ist reizvoll! Die Stiftung Kames", Bis 17. Februar 2013 in der Pinakothek der Moderne, Katalog (Deutscher Kunstverlag), 28 Euro