Auferstanden aus Ruinen
Elf von den Nazis beschlagnahmte Skulpturen wurden 2010 in Berlin entdeckt – der Sensationsfund ist nun in der Neuen Pinakothek zu sehen
Die Berliner Bauarbeiter müssen sich wie Schatzgräber vorgekommen sein. Im Januar 2010, als sie vis-à-vis vom Roten Rathaus einfach nur ein paar Kabel verlegen wollten – und dabei auf einen sensationellen Fund stießen: das seit 1939 vermisste Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes von Edwin Scharff. Es war die erste von elf Skulpturen, die quasi im Untergrund ihrer Wiederentdeckung geharrt haben, allesamt 1937 in der Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt und dann auf kuriose Weise verschwunden. Nach Stationen in Berlin und Hamburg sind die Werke von Otto Baum, Karl Ehlers, Marg Moll, Otto Freundlich oder Emy Roeder nun in der Neuen Pinakothek zu sehen.
Vor knapp zwei Jahren war man in Berlin gerade dabei, den Ausbau der U-Bahn-Line 5 vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor vorzubereiten. Der seltsame metallene Gegenstand, den man an die Oberfläche beförderte, hatte kaum etwas gemein mit dem ursprünglich fein polierten Porträt der damals 22-jährigen Mewes. Vielmehr ließ der Torso an eine deutlich ältere, antik anmutende Arbeit denken. Der Archäologe Matthias Wemhoff wirkt heute noch völlig elektrisiert, wenn er von der Schatzhebung und den geradezu detektivischen Recherchen erzählt.
Ein einziges Dokument aus dem Bundesarchiv gab den Hinweis, dass das Gebäude an der ehemaligen Königstraße 50 einst zum Propagandaministerium gehörte und als Zwischenlager für beschlagnahmte Kunstwerke diente. 1944 wurde das Haus bei einem Bombenangriff zerstört, es brannte aus und „überleben“ konnten tatsächlich nur Objekte aus Bronze oder Terrakotta. Bodenuntersuchungen zufolge darf man allerdings davon ausgehen, dass auch Gemälde aufbewahrt wurden.
Zieht man in Betracht, dass auf Geheiß Hitlers vom 27. Juli 1937 an rund 20<TH>000 Werke der „Verfallszeit“, wie es im perversen NS-Jargon hieß, aus deutschen Museen beschlagnahmt wurden, um sie gegen Devisen zu verkaufen oder zu zerstören, dann mag dieser Skulpturenfund zunächst marginal erscheinen. Wer vor dem Fragment der „Schwangeren“ von Emy Roeder steht, die ihren Leib samt Fötus verloren hat und mit eingefallenen Wangen aus übergroßen leeren Augen dem Betrachter entgegenblickt, ist tief berührt von einer Mater dolorosa, die von Krieg, Zerstörung und Verfolgung kündet.
Auch an der aufgerauten Schönheit des auf einer alten Fotografie fast ein bisschen zu glatt geratenen Büste der Anni Mewes – Otto Falckenberg holte den Star an die Münchner Kammerspiele – bleibt man unwillkürlich hängen. Diese Kunst und ihre Schöpfer haben etwas erduldet, das kein Text je so eindringlich vermitteln könnte.
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