Auf eine Maß mit Wolfgang Flatz
Der Aktionskünstler über seine Adorno- und Cicero-Tattoos und den Körper in der Kunst
Flatz ist ein reizender Mann. Man darf das ruhig im doppelten Wortsinn verstehen. Schon an der Akademie war der gelernte Goldschmied immer für einen Aufreger gut. Kompromisslos und knallhart gegen den eigenen Körper hat der mittlerweile 63-Jährige seine Konzeptkunst durchgezogen. Ob er sich den Schädel blutig schlug oder sich mit Dart-Pfeilen bewerfen ließ. Mit „Heaven 7“ pflegt Flatz inzwischen den ausgefallensten Dachgarten der Stadt, in der er seit rund 40 Jahren lebt. Höchste Zeit, mit ihm auf die Wiesn zu gehen.
AZ: Prosit, Flatz! Wie darf man Sie ansprechen?
FLATZ: Flatz ist schon richtig. Das ist wie eine Marke.
Jetzt lassen Sie sich von der Abendzeitung schon vormittags zum Alkohol verführen.
Ein Radler hält man schon aus, oder? Aber ich trinke normalerweise keinen Alkohol.
Aus Überzeugung?
Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, wo es nie Alkohol gab, drum bin ich süß konditioniert.
Ist Ihnen Bier zu herb?
Meistens. Würde es süß schmecken, wäre ich wahrscheinlich ein Kapitalsäufer.
Ich erinnere mich an eine üppige Getränkebatterie in Ihrem Atelier…
Meinen Gästen möchte ich schon immer vorsetzen, was sie sich wünschen.
Mann Flatz, ganz charmant und freundlich. Was ist aus dem alten Provokateur geworden?!
Es gibt immer zwei Seiten: das Sein und den Schein. Und in der Arbeit habe ich alles ausgetestet, was möglich ist. Im Privatleben braucht man das dann nicht mehr. Ich betrachte mich als ruhigen, ausgeglichenen, zufriedenen Menschen.
Der braucht keine Drogen. Aber Sie gönnen sich diese herrlichen krummen Zigarren.
Natürlich habe ich einiges an Drogen ausprobiert und schnell meine Grenzen gefunden – aber nicht meinen Inhalt. Bis zum Unfall vor drei Jahren war ich übrigens Kettenraucher.
Sie sind bei Grün auf dem Zebrastreifen überfahren worden.
In meiner Arbeit bin ich bewusst an Grenzen gegangen, wo es auch um Leben und Tod ging. Aber wenn Dir dann so etwas widerfährt, auf das Du keinen Einfluss hast, hinterfragst Du das Leben schon noch einmal anders. Dann weißt Du, dass es vom einem auf den anderen Moment vorbei sein kann.
Sie waren früher gnadenlos mit Ihrem Körper und haben sich zwischen zwei Stahlplatten wie ein Glockenschwengel hin- und herknallen lassen. Dabei wurden Sie sogar bewusstlos. Hatten Sie denn keine Angst?
Ich habe Angst wie jeder andere Mensch auch, aber Dinge, die getan werden müssen, die habe ich getan. Der Begriff Kunst bedeutet für mich, an Grenzen zu gehen und die Grenzen auch auszuloten. Bei mir ist das eben der Körper gewesen, bei einem Maler sind es Farbe und Leinwand.
Gegen Ihre Aktionen sind die heftigsten Wiesn-Loopings Pillepalle.
Ja, weil das alles im gesicherten Bereich stattfindet, und das ist ja auch richtig. Hier müssen die Massen befriedigt werden, das geht über Fahrgeschäfte und Alkohol.
Was zieht Sie dann überhaupt auf die Wiesn?
Ich treffe Freunde, mit denen trinke ich Bier und esse ein Hendl.
Der Flatz ist aber gegen Massentierhaltung.
Ja mei, da müsste ich Vegetarier werden, und das bin ich einfach nicht.
Es gibt ja auch Bio-Hendl.
Na ja.
Sie wollten partout nicht in Tracht kommen. Gibt’s nix im Kleiderschrank?
Ich hab schon was, weil ich eben auch aus einem Lederhosenland komme. Aber für mich wäre das Verkleidung.
Ihre erste Lederhose?
Die hab ich als ganz kleiner Bub bekommen und mein Vater gefragt: Da darf ich mich jetzt überall hinsetzen? – „Ja, mit der Lederhosn kannst Du alles tun.“ Also hab ich mich draußen in einen Kuhfladen gesetzt. Natürlich gab’s sofort eine Ohrfeige.
Da ging’s schon los mit den Schwierigkeiten. 1974 sind Sie dann nach München „emigriert“. War’s so schlimm in Dornbirn?
Das lag vielleicht an der Zeit. In Vorarlberg habe ich nach dem ersten Studium in Graz mit öffentlichen Arbeiten angefangen. Einmal bin ich verhaften worden, bei der nächsten Aktion hat man mich ins Irrenhaus gebracht. Der Chefarzt drohte mir damals, bei der nächsten Einweisung würde ich ein halbes Jahr nicht mehr rauskommen. Deshalb bin ich nach Deutschland gegangen.
Dabei standen Sie bloß auf einer Brücke und haben sich mit einem Plakat schuldig bekannt, einen schweren Unfall verursacht zu haben.
Exakt. Aber das hat nicht im musealen Kontext stattgefunden und damals sind Regelverletzungen rigoros abgestraft worden. Wer aus der Norm ging, ist in der Psychiatrie gelandet.
Haben Sie diese Erlebnisse angestachelt, noch mehr zu provozieren?
Nein, nein, das hat mir einfach gezeigt, dass ich den Finger an einen scheinbar sehr empfindlichen Punkt gelegt habe. Sie brauchen ja nur die Kunstgeschichte durch zu gehen, jeder gute Künstler, jedes gute Kunstwerk hat in seiner Zeit irritiert, verstört oder provoziert. Denken Sie an die Nackten von Michelangelo. Wobei der Künstler die Provokation nie bewusst plant. Aber weil mir das Etikett der Provokation anhaftet, wird eben alles, was ich mache, als solche gesehen.
An der Akademie haben Sie mal die Klotüren ausgehängt.
Und in der Jahresausstellung gezeigt – mit allen Kloschmierereien. Das hat den Geist der Leute im Atelier offen gelegt, das war die Provokation, ja. Und dann wollte auch keiner mehr auf die Toilette gehen.
Was hat Ihnen denn an München gefallen?
Einerseits die geografische Lage. Andererseits ist München eine bequeme Stadt, die einen herausfordert, Fragen zu stellen, die hier nicht unbedingt gestellt werden. Und ich bin viel auf der Welt heruntergekommen. In Deutschland ist das schon die schönste Stadt.
Sie sind voller Tätowierungen.
Damit habe ich sicher wie Jean Paul Gaultier den Trend befeuert. Früher hatte das eine klare soziale Funktion, bei indigenen Völkern ist das heute noch so.
Hier waren es die Außenseiter, jetzt trägt’s die Gattin des Kleinstadt-Bürgermeisters.
Nicht nur, Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts waren Tätowierungen auch unter den Adeligen en vogue, denken Sie an Erzherzog Franz Ferdinand, der in Sarajevo ermordet wurde – die Kugel soll durch sein Brusttattoo gegangen sein. Das waren schon zwei Seiten: Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Und heute ist es ein Massenphänomen geworden, Dekoration. Ich glaube aber auch, dass es für viele Menschen eine Körpererfahrung bedeutet, die sie noch nicht gemacht haben. Das Tätowieren tut wirklich weh.
Haben Sie mal dran gedacht, sich die Tätowierungen wegmachen zu lassen?
Nein! Erstens sind meine sehr alt und zweitens sind sie inhaltlich und konzeptionell. Diese Schriftzüge haben alle einen Sinn.
Ein Beispiel.
„Dum spiro spero“, das stammt von Cicero und bedeutet „solange ich atme, hoffe ich“. Oder hier „Nichts ist ohne Grund“, das geht auf Adorno zurück…
Gaultier hat für München eine Lederhosn mit Corsage entwofen. Wie könnte die Flatz-Tracht aussehen?
Wahrscheinlich würde ich eine Lederhosn so beschneiden, dass nur noch die Nähte übrig blieben.
Und diese Hose aus Nähten müsste ohne Dessous getragen werden.
Klar, das gäb‘ dann den Wiesn-Aufruhr schlechthin.
Jetzt bin ich beruhigt, Sie sind doch noch der alte Flatz. Prost!
Aber man würde mich nicht mehr ins Irrenhaus stecken. Prost!
„Heaven 7“: Flatz‘ Skulpturengarten (Kistlerhofstr. 70) kann am 1. Montag im Monat (18 Uhr) besichtigt werden. Anmeldung: heavenseven@atelierflatz.net