Auf den Seiten der Macht
Im Juli ist Heumahd, im August Kornernte, im September wird Wintergetreide gesät, im November die Wildsau getrieben – und im Dezember geschlachtet. Dass das in Bayern schon vor 1200 Jahren so war, bezeugt eine karolingische Handschrift mit Darstellungen der Monatsarbeiten, entstanden um 818 in Salzburg. Den Oktober symbolisieren darin Traubenlese und Keltern. Bier gab’s zwar schon, aber Wein war auch im Mittelalter das edlere Getränk.
Die Hypo-Kunsthalle zeigt jetzt eine Fülle solch faszinierender Bilder in einer wahrhaft funkelnden Ausstellung: In ihrem letzten Projekt, ehe sie sich nach Stuttgart verabschiedet, präsentiert Direktorin Christiane Lange „Pracht auf Pergament. Schätze der Buchmalerei 780 – 1180”. Die aufwändige Schau entstand in enger Kooperation mit der Bayerischen Staatsbibliothek, die dafür 72 ihrer Kostbarkeiten aus den Tresoren holte. Eine Rarität, die – wie Stabi-Direktor Rolf Griebel bekundete – in diesem Jahrhundert wohl nicht noch einmal vorkommen wird. Und auch die Stabi Bamberg hat drei Hauptwerke nach München reisen lassen.
Nicht nur der materielle Wert – die Luxus-Einbände bestehen aus Gold, Edelsteinen, Elfeinbeinreliefs – ist unermesslich, sondern vor allem die kulturhistorische Bedeutung. Im Zentrum der Schau stehen vier Bücher aus der Zeit der Ottonen-Kaiser, die seit 2003 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Wunderwerke aus dem Kloster auf der Bodensee-Insel Reichenau, am berühmtesten ist die so genannte Liuthar-Gruppe: Das Perikopenbuch Heinrichs II., das Bamberger Evangeliar und das Evangeliar Ottos III.. Zu einer Zeit, in der fast alle Menschen Analphabeten waren, dienten diese Prachtcodices nicht allein der Liturgie. Vor allem sollten sie das Gottesgnadentum der Kaiser bezeugen und sowohl christlichen und weltlichen Machtanspruch manifestieren.
Die Miniaturen, welche die Benediktinermönche schufen, sind betörend in ihren gedeckten Farben auf schimmerndem Goldgrund, dem ornamentalen Bildverständnis und stilisierten Figurenkosmos. Und gerade die Herrscherbilder wirken trotz des kleinen Formats nicht zuletzt durch die Architektureinfassung machtvoll-monumental. Sie erzählen über das damalige Weltbild. Etwa die Miniatur des „apokalyptischen Weibes” auf der Flucht vor dem siebenköpfigen Drachen, in der Erde als Schollenhügel aus dem Goldgrund auftaucht.
Eindrucksvoll ist Einmaligkeit und organische Beschaffenheit des mittelalterlichen Mediums und Kultobjekts Buch. Im Pergament kann man die Tierhaut gut erkennen, tierisch sind auch manche Farben, etwa das teure, aus der Purpurschnecke gewonnene Rot. Die Seiten des Augsburger Purpur-Evangeliars sind gar komplett in diesen Saft getränkt, der an geronnenes Blut erinnert.
Das Fraunhofer-Institut hat eigens „Welt-Neuheiten” entwickelt, mit denen man, beide Arme in der Luft herumfuchtelnd, die digitalisierten Seiten des „Bamberger Evangeliars” umblättern, drehen und heranzoomen kann. Sogar in 3D, was allerdings schnell zur Sehstörung führt. Spannender sind die Originale. Die stilistische Entwicklung von Karolingern zu Ottonen und weiter zu Staufern, die Eigenarten der Klosterschulen muss man sich selbst erschließen. Am besten sollte man die „Pracht auf Pergament” mit einer Führung genießen. Sonst geht der Besucher, beschwert mit tausend Fragen, in der Tiefe des mittelalterlichen Goldgrunds verloren.
Bis 13. Januar, täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog (Hirmer) 29 Euro