Auch in München: Neue Genossen, Frauen, Bauen

Architektur: Auch in München werden neue Wege beschritten: Die Ausstellung "Wohnen heute" im Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne
von  Joachim Goetz
Die FrauenWohnen e.G. gibt es seit 1998. In der Riemer Messestadt wurde eines von drei Projekten verwirklicht.
Die FrauenWohnen e.G. gibt es seit 1998. In der Riemer Messestadt wurde eines von drei Projekten verwirklicht. © Lurildo Meneses Silva

Architektur: Auch in München werden neue Wege beschritten: Die Ausstellung "Wohnen heute" in der Pinakothek der Moderne

München - Kollektives Wohnen? Das klingt für viele immer noch nach versiffter WG oder linker Hausbesetzerszene. Ein Irrtum. So wie sich einstige Bürgerschrecks oft zu staatstragenden Regierungsparteien gemausert haben, haben sich auch ungewöhnliche Formen des Zusammenlebens etabliert – und sind ein gesellschaftlicher Gewinn.

In München muss „partizipativ wohnen“ nicht zwangsweise bedeuten, sich einer Uralt-Wohngenossenschaft mit manchmal wundersamen, im vorletzten Jahrhundert verankerten Regeln anzuschließen. Da diese Institutionen fast ausnahmslos den Aufnahmestopp ausgerufen haben, ist es auch kaum mehr möglich.

Wie gemeinsam „Wohnen heute“ funktioniert, zeigt derzeit das Architekturmuseum der TU in der Pinakothek der Moderne mit der informativen und ansprechenden Ausstellung „Keine Angst vor Partizipation!“.

Nur wer mitmacht, kann gewinnen! Auch, aber nicht nur Geld!

Auf steilen, schräg gestellten Holztafeln werden 12 teils riesige Wohnprojekte aus München (3), Berlin (3), Wien, Zürich, Kopenhagen mit Film, Fotos, Plänen, Modellen und vielen Informationen vorgestellt, die sich dem Mainstream des (derzeitigen) Wohnens entziehen. Sie entstanden anders - und ohne Scheu vor Experimenten. Initiatoren waren meistens die späteren Bewohner.

Im Gegensatz dazu dominiert den allgemeinen Wohnungsbau die sogenannte „Wohnungswirtschaft“, die nach dem Motto „Wohnung = Währung“ die Spirale der immer höheren Mieten, Quadratmeter- und Grundstückspreise antreibt. Wohnbaugesellschaften, die nicht per Satzung der Gemeinnützigkeit verpflichtet sind, mischen in diesem Investoren-Monopoly meist kräftig mit. Seit langem.

So entstanden schon in den 70er-Jahren Wohnungen im Tausenderpack, ohne jede Beteiligung der späteren Bewohner. Geändert hat sich seither nicht viel. Das kreierte „Betongold“ wird zu ständig steigenden Höchstpreisen verkauft oder vermietet – was der Markt halt hergibt. In München besonders krass.

Die Protagonisten der Projekte, die die Ausstellung zeigt, sagten zu diesen Praktiken: Stopp! – und haben sich so weit wie möglich ausgeklinkt. Dabei kehrten sie sogar zu einer Wohnbaukunst zurück, die Tradition besitzt, bestens erprobt ist, aber in Vergessenheit geraten ist. Der Bauherr sucht sich einen Architekten, sagt ihm, wie er wohnen will und lässt sich von ihm ein Eigenheim planen.

Ähnliches machten die neuen Wohn-Genossen, allerdings im größeren Maßstab. Sie überlegten – nachdem sie sich zusammengefunden hatten - in mitunter kontroversen Workshops und sicher nicht immer harmonischen Arbeitskreisen, wie sie wohnen, wie sie leben, wie sie bauen wollten. Meistens lagen den jeweiligen Gruppen gemeinsame soziale Ideen und gesellschaftliche Prinzipien, Ideale oder Visionen zugrunde.

So entstand 1998 die Münchner Genossenschaft „FrauenWohnen“ zunächst aus dem Wunsch heraus, bezahlbaren, vor Spekulation sicheren Wohnraum für Frauen bereitzustellen, nachbarschaftliches Miteinander, Achtsamkeit, Toleranz, Mitbestimmung inklusive. Inzwischen haben die Frauen drei riesige, weithin bestaunte Wohnprojekte gestemmt - und führen eine lange Warteliste. Das gerade fertiggestellte Projekt Mehrgenerationenwohnen mit Waldorfschule und Kinderhaus in Forstenried entstand aus der Überzeugung heraus, die Strukturen der Großfamilie müssten wieder ins Zentrum der Gesellschaft gerückt werden – eigentlich ein wertkonservativer Ansatz. Daneben erarbeiteten die Genossen jedoch auch ein nachhaltiges Mobilitätskonzept, bei dem die Nähe zum öffentlichen Nahverkehr (U-Bahn Züricher Straße), die Förderung von Fahrrädern und der Verzicht auf allzu viel Privatautos im Vordergrund stand.

Wer gut und sozial mischt, bekommt auch Förderungen

Besonderes Augenmerk richtete man zudem auf eine soziale Mischung der Bewohner, die man sich mit erklecklichen Wohnförderungen versüßen konnte. Wohnangebote oder -gemeinschaften für Kinder, sozialpädagogisch betreute Jugendliche und Sehbehinderte unterstreichen den sozialen Ansatz. Mit fünf unregelmäßig geformten Baukörpern fällt das frisch fertiggestellte riesige Projekt „WagnisART“ im DomagkPark auf. Fast 140 Wohnungen entstanden da auf 20 000 Quadratmetern Baugrund. Motto: Gemeinsamkeit bauen! Und zwar mit Freiflächen im Erdgeschoss, einem 2200 Quadratmeter großen „Dorfplatz“ für private und öffentliche Veranstaltungen. Waschcafé, Trockenraum, Nähstube und Gemeinschafts-Atelier sind gleich daneben. Der Keller bietet Platz für Musikübungs-, Mehrzweck-, Baderaum und Hobbywerkstatt. Selbst ein „Toberaum“ für Kinder wurde realisiert. Speisecafé, Ateliers, Praxen, Büros und Werkstätten komplettieren das künstlerisch-sozial angehauchte „Town in Town“-Konzept ebenso wie die allen Bewohnern offen stehenden und alle fünf Häuser verbindenden rund-ums-Haus Terrassen im dritten und vierten Obergeschoss sowie die Urban Gardening gardening und zum Relaxen offenen Landschaftsgärten ganz oben unter freiem Himmel. Waldstück und Werkhof gibt es auch noch.

Nicht einmal die Wohnungszuschnitte und -grundrisse sind gewöhnlich. Erstmals wurden in München hier sogenannte Cluster-Wohnungen realisiert. 58 sind es, die etwa 30 Prozent der Gesamtwohnfläche ausmachen. Bis zu 8 kleine Appartements mit Kochnische und Bad gruppieren sich um gemeinschaftliche Wohnflächen. Keine Frage: Hier ist eins jener Experimente bereits entstanden, das (nicht nur) unsere Planer immer mal wieder fordern.

Wir brauchen dafür keine Stararchitekten mit Prestigeobjekten

Sicher ist, dass solche Experimente nicht neue ästhetische Formen, sondern eher „neue“ Architekten brauchen. Keine genialen Schöpfer von Staunen erregenden Superformen a la BMW-Hochhaus oder Bilbao-Museum, sondern strukturierende Moderatoren, die die Wünsche der künftigen Bewohner in einem für sie passenden Entwurf bündeln. Gesucht ist einer, der für „große Familien“, also Gemeinschaften verschiedenster Art, baut, in denen diese sich wohlfühlen - was dann doch wieder an früher erinnert.

"Keine Angst vor Partiziption! - Wohnen heute“: Pinakothek der Moderne: bis 12.6., Di – So, 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr

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