Interview

Arc de Triomphe verhüllt: Ein Kunst-Triumph macht viel Arbeit

Der Arc de Triomphe in Paris ist verhüllt - und Christos Lebenstraum verwirklicht. Fast. Für Spezialisten wie Felix Dickenberger gibt es bis zur Premiere am Samstag noch gut zu tun.
von  Christa Sigg
Bei den Luftwerkern in Lübeck wird an Nähmaschinen mit langen Armen genäht.
Bei den Luftwerkern in Lübeck wird an Nähmaschinen mit langen Armen genäht. © Georg Fischer/dpa

Erst vor ein paar Tagen ist er in Paris angekommen, und die Nacht war wieder kurz. Felix Dickenberger kennt das. Wenn große Pläne umgesetzt werden, läuft am Ende immer die Zeit davon. Und die Verhüllung des Arc de Triomphe ist ein Riesenprojekt: Der Lebenstraum des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude wird wahr - mittlerweile ein Vermächtnis,

Jeanne-Claude starb 2009, Christo 2020. Der Triumphbogen ist schon "verpackt", am Samstag zur Premiere muss alles vernäht und gesichert sein, dann ist das Kunstwerk bis 3. Oktober zu bewundern. Wir haben mit Felix Dickenberger gesprochen. Er arbeitet bei den Luftwerkern in Lübeck, die die 25.000 Quadratmeter große Hülle produziert haben.

Felix Dickenberger (rechts) mit Christo und dessen Neffen Wladimir Jawaschew 2016 in Iseo.
Felix Dickenberger (rechts) mit Christo und dessen Neffen Wladimir Jawaschew 2016 in Iseo. © privat

"Christo hat eine riesige Fangemeinde"

AZ: Herr Dickenberger, die Verhüllung des Arc de Triomphe geht in die letzte Phase. Läuft alles nach Plan?
FELIX DICKENBERGER: Es läuft gut, aber bei einem so großen Projekt muss man auf alles gefasst sein. Das Gebäude ist verhüllt, jetzt arbeiten wir an den Details, auch nachts, weil die Besucher bis 23 Uhr aufs Dach steigen dürfen. Erst danach können wir oben wieder weiterarbeiten.

Eine Operation am offenen Herzen sozusagen.
Ja, es sind auch nur zwei Verkehrsspuren direkt am Arc gesperrt, und die Leute strömen. Christo hat eine riesige Fangemeinde auf der ganzen Welt. Viele sind seit Tagen hier und beobachten den Aufbau. Das ist ja auch ein tolles Spektakel, wenn die Kletterer quasi mit dem Seil am Triumphbogen hängen.

Sie sind Projektmanager, legen Sie beim Aufbau überhaupt Hand an?
Ja, vor Ort in Paris muss ich mit anpacken und auch mal nähen, wir sind nur zu dritt aus Lübeck gekommen.

"Christo hat immer erst ein kleines Modell mit Stoff umwickelt"

Wie kommt man überhaupt zu einem Job bei Christo?
Robert Meyknecht, unser Geschäftsführer, ist Ballonfahrer. Und weil es im Winter nichts zu tun gab, begann er, Ballone zu warten und selbst zu bauen. Dazu braucht man große Langarm-Nähmaschinen mit einer Spannweite von 60 bis 100 Zentimetern, damit kann man auch textile Sonderkonstruktionen umsetzen. Was die Kunst betrifft, ging es vor genau zehn Jahren in Oberhausen los mit einem riesigen Mond, den wir auf einem Gasometer installiert haben. Wolfgang Volz, der Exklusiv-Fotograf von Christo, hat das damals kuratiert, und so ergab sich dann 2013 die Mitarbeit an Christos "Big Air Package". Das war eine mächtige Stoffskulptur im Inneren des Gasometers. Dann kamen auch schon die "Floating Piers" auf dem Lago d'Iseo. Seither fragt uns niemand mehr, ob wir das können.

Am Arc de Triomphe geht es jetzt über 50 Meter in die Höhe. Eigentlich wäre alles ganz leicht: Zwei Riesen nehmen eine Vorratspackung Klopapier und wickeln das Gebäude ein.
Genauso fing Christo aber an. Er hat immer erst ein kleines Modell mit Stoff umwickelt. Dann sind Leute wie wir ins Spiel gekommen und haben das auf ein realisierbares Modell übertragen. Im Vergleich zu Christos Küchentuch hängen riesige Stoffbahnen ja schnell durch. Deshalb muss man diese Hülle in Teile zerlegen, für den Arc de Triomphe sind es jetzt 40 Stoffbahnen.

Sie brauchen sehr stabiles Material, was verwenden Sie?
Polypropylen, das ist absolut wetterfest und wird sonst vor allem im Straßenbau und auf Sportplätzen eingesetzt. Für den Arc wurde das Material blau eingefärbt und auf einer Seite mit Aluminium beschichtet. Deshalb glänzt das so schön silbern.

Hülle für Arc de Triomphe: "Näherinnen konnten nur mit Handschuhen arbeiten"

Aus der Ferne wirkt es eher leicht und dünn.
Tatsächlich ist dieses Material sehr hart, rau und schwer. Unsere Näherinnen konnten nur mit Handschuhen arbeiten. Zum Vergleich: Ballonstoff wiegt 60 Gramm pro Quadratmeter, das Kunststoffmaterial für den Arc 600 Gramm.

Diese Stoffbahnen sind fertig genäht nach Paris gekommen?
Ja, wir haben im Mai 2020 angefangen und bis November 2020 genäht, alles war jetzt so vorbereitet, dass es am Gebäude nur noch hochgezogen und ausgewickelt werden musste.

Stoffbahnen für die Verhüllung des Arc de Triomphe werden zum Transport auf einen Lastwagen verladen.
Stoffbahnen für die Verhüllung des Arc de Triomphe werden zum Transport auf einen Lastwagen verladen. © picture alliance/dpa

Kann man das Material wiederverwenden?
Es wird am Ende geschreddert, eingeschmolzen, und dann könnte man wieder exakt die gleichen Planen herstellen. Christo war es immer wichtig, dass man alles recyceln kann. Für die zwei Wochen Verhüllung des Triumphbogens wurden immerhin 20 Tonnen Material verarbeitet. Aus den orangen Floating Piers sind übrigens LKW-Rutschmatten geworden.

Zwischen 400 und 500 arbeiten an dem Projekt

Wie viele Leute sind wie lange beschäftigt?
Bei uns haben sieben Näherinnen gearbeitet. Jede hat dann nochmal zwei Hilfskräfte, die den schweren Stoff zuführen und halten. Andernfalls entstehen keine geraden Nähte. Von unserer Seite stecken insgesamt zwischen 8.000 und 9.000 Arbeitsstunden in diesem Projekt - allein in Lübeck. Vor Ort sind wir zu dritt, aber natürlich sehr wenige im Vergleich zu den 120 Industriekletterern. Dazu kommen die Stahlbauer, die zum Schutz des Gebäudes ein Gerüst um den Triumphbogen gebaut haben. Insgesamt arbeiten zwischen 400 und 500 Leute am Projekt.

Bei den Luftwerkern in Lübeck wird an Nähmaschinen mit langen Armen genäht.
Bei den Luftwerkern in Lübeck wird an Nähmaschinen mit langen Armen genäht. © Georg Fischer/dpa

Sie haben Christo noch kennengelernt, wie haben Sie ihn erlebt?
2016 gab es immer mal einen Austausch am Lago d'Iseo. Christo hat ausschließlich für seine Kunst gelebt und war voller Visionen. Den Arc de Triomphe begann er ja schon 1962 zu planen, aus dieser Zeit stammen die ersten Zeichnungen und Fotomontagen. Diese Vorstellungskraft hat mich völlig beeindruckt.

Haben Sie sich vorher schon für Kunst interessiert?
Ich habe Logistik studiert, Kunst war da eher fern. Aber Christo hat mich schon auf den Geschmack gebracht. Und natürlich auch die Arbeit bei den Luftwerkern. Wir haben viel mit namhaften Künstlern zu tun. Etwa mit Maurizio Cattelan, als er im Blenheim Palace in der englischen Grafschaft Oxfordshire ausgestellt hat. Die Union Jacks, die im Schlossgarten ausgelegt waren, kamen von uns.

Künstler Christo: "Er war absolut frei und unabhängig"

Wurde dort nicht das goldene Klo geklaut?
Genau - mit dem Klo hatten wir allerdings nichts zu tun. Die meisten Künstler schätzen es nicht, wenn wir über ihre Projekte reden, deshalb muss ich mich mit weiteren Namen zurückhalten.

Der Arc de Triomphe gilt als Christos Vermächtnis. Ist sonst noch etwas geplant?
Es gibt Projekte, die nicht abgeschlossen sind. Geschichtete Ölfässer etwa wie "The Mastaba" im Hyde Park in London. Da existieren zwar die Zeichnungen, aber Christo hat damals die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien eingestellt. Auch in den USA wäre noch eine Sache: Der Arkansas River in Oklahoma sollte über zehn Kilometer hinweg überspannt werden. Als Donald Trump Präsident wurde, hat Christo die Planung sofort gestoppt. Er war absolut frei und unabhängig. Aber das konnte er auch sein, weil sämtliche Projekte über die Zeichnungen finanziert wurden. Christo musste nie Sponsoren zufriedenzustellen, und was ihm nicht in den Kram passte, hat er nicht gemacht. Für das Projekt am Arkansas River hatte er bereits über 11 Millionen Dollar investiert, doch Geld war ihm nicht wichtig.

Wer bezahlt Sie eigentlich?
Auch die Verhüllung des Arc de Triomphe wird über Christos Zeichnungen finanziert. Die sind ja nicht ganz billig. Und schon zu seinen Lebzeiten hat er für seine Projekte jeweils ein Unternehmen gegründet. Von einer solchen Firma werden wir bezahlt - mittlerweile hält sein Neffe Wladimir Jawaschew die Fäden zusammen. Jetzt auch in Paris. Christo war es immer wichtig, dass nicht irgendein Team durch die Welt zieht und aufbaut. Er wollte, dass die Menschen vor Ort beteiligt sind und die lokale Wirtschaft profitiert. Wir aus Lübeck sind da eine Ausnahme. Aber das kann auch nicht jeder.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.