Als Fremde stigmatisiert: Die Haut als Bildträger

Die Haut als Bildträger: Die Ausstellung von Shirin Neshat in der Pinakothek der Moderne.
Roberta De Righi |
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Nida aus der Serie "Book of Kings", 2012.Foto:
Nida aus der Serie "Book of Kings", 2012.Foto: © Shirin Neshat/ Gladstone Gallery, New York and Brussels, and Goodman Gallery, London and Capetown

Persisch müsste man können. Dann könnte man die Träume und Ängste der Menschen auf den Foto-Porträts der iranischen Künstlerin Shirin Neshat lesen. Diese schreibt den Schwarzweiß-Bildnissen das ein, was jene ihr erzählt haben. Unter dem Titel "Living in One Land, Dreaming in Another" zeigt die Pinakothek der Moderne jetzt fünf Foto- und Film-Installationen von Shirin Neshat.

Kooperation der Staatsgemäldesammlungen mit der Written Art Collection

Die Ausstellung ist Teil der jüngst geschlossenen Kooperation der Staatsgemäldesammlungen mit der Written Art Collection. Die Kollektion von Christian Boehringer, Erbe und Gesellschafter des gleichnamigen Pharmaunternehmens, umfasst "Kunst, die geschrieben und Schrift, die gemalt wird". Im Rahmen der vorerst auf zehn Jahre angelegten Zusammenarbeit wird die Stiftung ihre rund 400 Werke von etwa 200 Künstlern für Präsentationen sowie Projekt- und Ankaufmittel zur Verfügung stellen.

Shirin Neshat wurde mit "Women of Allah" international bekannt

Neshat, geboren 1957 in Iran, ging in den 1970er Jahren zum Kunst-Studium in die USA; heute lebt und arbeitet sie in New York. Auf Reisen zwischen 1990 und 1996 in ihre alte Heimat entstand unter anderem. die ikonische Serie "Women of Allah", mit der sie international bekannt wurde, und denen sie bereits Schriftzeichen wie Tattoos einschrieb.

Die im Iran geborene und in New York lebende Künstlerin Sirin Neshat.
Die im Iran geborene und in New York lebende Künstlerin Sirin Neshat. © Foto: Rodolfo Martinez

In München im Mittelpunkt steht die zweiteilige Arbeit "Land of Dreams" von 2019. In 111 Konterfeis porträtiert die Exiliranerin Bewohner einer Kleinstadt in New Mexiko. Auch deren Geschichten sind den Menschen auf Persisch eingeschrieben. Die dazugehörige Zweikanal-Projektion erzählt eine dystopische Story: Darin sammelt eine iranische Studentin für eine Art Traum-Fabrik zu Spionage-Zwecken Träume und Gedanken der Menschen. Angesichts von Chinas digitaler Überwachung oder Facebook-Gepflogenheiten gar nicht so weit weg von der Realität.

Vorstellung von Heimat steht auf der Haut

In der Foto-Arbeit "The Home of My Eyes" wiederum fragte Neshat 2015 Menschen in Aserbaidschan nach ihrer Vorstellung von Heimat. Die Antworten schrieb sie ihren Protagonisten in Haut und Hände ein. Diese mit Kalligraphie versehenen Aufnahmen wirken besonders eindringlich.

Manuel Martinez aus der Serie "Land of Dreams" (2019).
Manuel Martinez aus der Serie "Land of Dreams" (2019). © Foto: Shirin Neshat/ Gladstone Gallery, New York and Brussels, and Goodman Gallery, London and Capetown

Ohne Farsi-Kenntnisse bleiben die Schwünge und Kringel der dem Arabischen verwandten persischen Schrift zwar von faszinierender abstrakter Schönheit. Dennoch erzählen diese intensiven Porträts eine allgemeingültige, überzeitliche Geschichte, die sich suggestiv vermittelt. Ebenso wie in der Serie "The Book of Kings" (2012): Darin stehen sich Bilder aus dem persischen Epos "Buch der Könige" aus dem 10. Jahrhundert und zeitgenössische Lyrik gegenüber. Auch hier dient die Haut der Protagonisten als Bildträger.

Neigung zur Überartikulation

Neshats Filmkunst neigt dagegen - wie viele Künstler-Filme - mitunter zur Überartikulation. Etwa "Roja" von 2016, worin ein sehr unangenehmer alter, weißer Mann zum geifernden Fanatiker wird. Im Mittelpunkt der alptraumhaften Sequenzen steht Simin, eine junge Frau - und Alter Ego von Shirin Neshat. In einer Schlüsselszene singt der Greis mit nacktem Oberkörper "The Carnival is Over". Anschließend wendet er sich unvermittelt an Simin, die im Publikum sitzt, und bezichtigt sie zeternd der Lüge. Die junge Frau flieht darauf verstört aus dem Saal.

Was es bedeutet, immer wieder als Fremde stigmatisiert zu werden, bringt die Künstlerin hier allerdings deutlich auf den Punkt. Ihre jüngste Kino-Arbeit "Land of Dreams" (u.a. mit Isabella Rossellini und Matt Dillon) präsentierte Shirin Neshat auf der letzten Film-Biennale. Er wird 2022 im Rahmen von Kino der Kunst in München gezeigt.


Pinakothek der Moderne, bis 24. April, Di - So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr

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