Als die Mode radeln lernte
Was für ein Auftritt! Wie Baldachine öffnen sich die Brückenstreben im Hintergrund. Selbstgewiss nimmt die sportliche Lady ihren Betrachter ins Visier. Oder geht es womöglich ums Fahrrad? 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, hat ein solches Bild nicht nur stylebewusste Amerikanerinnen überrascht. Völlig neu war dieser Umgang mit der Mode – und den Models, die nicht mehr wie unerreichbare Diven in samtausgeschlagenen Studios erstarrten. Und Hermann Landshoff (1905-1986) hat damit weit in die Zukunft gegriffen. Das zeigt jetzt eine Retrospektive im Stadtmuseum.
„Ich verdanke ihm alles“, betonte sein Kollege und „Lehrling“ Richard Avedon, als er längst ein berühmter Fotograf war. Landshoff, der en passant auch das Who’s Who der Kunstwelt eingefangen hatte, wurde dagegen vergessen. Zumal in Europa und besonders Deutschland, das der talentierte Spross einer jüdischen Künstler- und Verlegerfamilie aus München nach der Emigration 1933 nie mehr betreten hat.
Dass sein Nachlass dank eines Neffen 2012 ausgerechnet in seiner Heimatstadt landen sollte, hätte er zu Lebzeiten sicher nie akzeptiert. Landshoffs Anfänge sind allerdings auch sehr Münchnerische. Denn in jungen Jahren arbeitete der Grafiker und Typograf als Karikaturist für diverse Tageszeitungen und das Satiremagazin „Simplicissimus“. Im Katalog findet sich eine herrlich frotzelnde Zeichnung von 1928, auf der Hitler mit Kanone statt Dackel an der Leine im Sessel sitzt und davon träumt, dass Göttervater „Wotan bloß noch“ seine „Barttracht haben müsste“. So einen hatten die Nazis natürlich auf dem Kieker, und nach der Machtergreifung wurden die Arbeitsmöglichkeiten für Juden eh prekär.
Mit den Mannequins ging Landshoff auf die Straße
Dass sich Landshoff, in dessen Elternhaus die Manns, Ringelnatz, Rilke oder die Reventlov ein- und ausgingen, parallel intensiv mit der Fotografie beschäftigt hatte, half ihm, sich im Pariser Exil und später in New York über Wasser zu halten. In der Modebranche wurde das Können des Deutschen schnell erkannt. Für die „Vogue“ zog er mit den Mannequins auf die Straße, ließ eine Schöne in Hochzeitsrobe auf der Schlosstreppe von Versailles tanzen oder ging mit den Modemädels in den Zoo zu Giraffen und Elefanten. In Amerika kam dann der Drive der Großstädte dazu, Räder, Tennisbälle, das ganz normale Leben. Immer fiel Landshoff etwas Ungewöhnliches ein – vor allem für den legendären Alexey Brodovitch, der als Art Director „Harper’s Bazaar“ unter seinen Fittichen hatte.
Wobei sich Landshoff häufig unter Künstlern bewegte. Bei der Mäzenin Peggy Guggenheim traf er auf die Surrealisten André Breton, Marcel Duchamp oder Peggys Gatten Max Ernst. Interessante, oft kuriose Porträts sind dabei entstanden. In der Stadtmuseumsschau kommen Kollegen dazu, von Amerikas großem Foto-Senior Walker Evans bis zur energischen Margaret Bourke-White. Dazwischen Obdachlose, Wolkenkratzer, Straßenszenen aus Kuba, voller Poesie. Oder die Hände von Wanda Landowska, der feenhaft-skurrilen Pianistin, die wie Landshoff erst nach Paris, dann nach New York geflohen war. Man kann sich kaum satt sehen. Und mit 250 von immerhin 3600 Originalabzügen ist das erst der fulminante Anfang.
„Hermann Landshoff – eine Retrospektive“, bis 21. April, Di bis So 10 bis18 Uhr, Katalog (Schirmer/Mosel) 48 Euro