Alles anders in der Alten Pinakothek: Ganz schön gewagt

Die neue Hängung der Alten Meister in der Alten Pinakothek.
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El Grecos "Entkleidung Christi" (1580 und 1595) und Matthias Grünewalds "Verspottung" (1503/05) mögen 80 Jahre auseinander liegen – beide Bilder erzählen aber gerade in der Kombination viel über das Kolorit und nicht zuletzt über Bedrängung und Bedrohung.
El Grecos "Entkleidung Christi" (1580 und 1595) und Matthias Grünewalds "Verspottung" (1503/05) mögen 80 Jahre auseinander liegen – beide Bilder erzählen aber gerade in der Kombination viel über das Kolorit und nicht zuletzt über Bedrängung und Bedrohung. © Elisabeth Greil/Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München

Ein Hipster der frühen Neuzeit war dieser Albrecht Dürer, mit fein ondulierten Löckchen und getrimmtem Bart wie aus dem Barbershop. Einen Kragen aus Marderpelz, den er mit gespreizten Fingern wie einen Pinsel hält, muss man sich heutzutage auch erst mal trauen.

Um 1500, als sich der damals 28-Jährige so selbstgewiss inszeniert hat, war dieser Aufzug sogar ein Skandal. Der malende Handwerker vergriff sich im Kleiderschrank der Elite, das muss man allerdings wissen. Wie unfassbar frech Dürer aber tatsächlich war, wird neuerdings in der Alten Pinakothek gleich beim ersten Blick klar: In einer langen Folge würdiger Herren ist er einzige, der sich frontal präsentiert.

Frontalansicht war bis dato Jesus Christus vorbehalten

Weder Hans Mielichs Bayernherzog Albrecht V. noch Baldung Griens Pfalzgraf Philipp der Kriegerische wären bei allem staatstragenden Posieren auf eine so unverschämte Idee gekommen. Schon gar nicht die Baumeister und Maler und auch nicht der im Jahr zuvor von Dürer verewigte Oswolt Krel, ein Kaufmann aus Lindau, der in Nürnberg immerhin die Geschäfte der einflussreichen Ravensburger Handelsgesellschaft geleitet hat. Mehr als ein elegantes Dreiviertelprofil ging nicht, die ikonische Frontalansicht war allein Christus und gerade noch den mächtigsten Königen vorbehalten.

Dürer wusste, was er draufhat und provozierte. Doch dass dieser viel zu frühe Moderne mit seinem Künstlerselbstbildnis als Messias so sehr aus der Reihe tanzt, kam zwischen seinen Aposteln und den großen Altarwerken nie so sehr zur Geltung. Insofern ist diese Porträt-Reihung gleich die erste Überraschung einer oft gewagten neuen Präsentation der Sammlungen. 200 Gemälde sind in den oberen Galerien umgezogen, und bis auf den Rubenssaal mit dem mehr als sechs Meter hohen "Jüngsten Gericht", ist fast alles durcheinandergewirbelt.

Giovanni Bellinis "Maria mit Kind in einer Landschaft", um 1508.
Giovanni Bellinis "Maria mit Kind in einer Landschaft", um 1508. © Alte Pinakothek

Premiere in der Alten Pinakothek: Strenge Ordnung wird aufgeweicht 

Auf eherne Traditionalisten und Liebhaber der Alt-Meister-Galerie des 19. Jahrhunderts kommen harte Wochen der Eingewöhnung zu. Denn erstmals in der Geschichte der Alten Pinakothek wird nicht mehr streng nach Kunstlandschaften getrennt, und auch die chronologische Ordnung ist immer wieder unterbrochen oder aufgelockert.

Matthias Grünewalds "Verspottung Christi", um 1503/05.
Matthias Grünewalds "Verspottung Christi", um 1503/05. © Alte Pinakothek
Äußerst selbstbewusst gibt sich Albrecht Dürer im Zentrum einer langen Reihe von Porträtierten. Er ist der Einzige, der sich frontal präsentiert. Von links: Herzog Albrecht V. (Hans Mielich), Pfalzgraf Philipp der Kriegerische (Hans Baldung Grien), Kaufmann Oswolt Krel (Albrecht Dürer), Bildnis eines jungen Mannes (Albrecht Dürer), das erwähnte Selbstbildnis Dürers, Maler und Kupferstecher Martin Schongauer (Hans Burgkmair), Johann von Malem (Meister des Aachener Altars), ein Baumeister (Meister des Marienlebens), Herzog Wilhelm IV. und Herzogin Maria Jacobaea von Bayern (Hans Wertinger).
Äußerst selbstbewusst gibt sich Albrecht Dürer im Zentrum einer langen Reihe von Porträtierten. Er ist der Einzige, der sich frontal präsentiert. Von links: Herzog Albrecht V. (Hans Mielich), Pfalzgraf Philipp der Kriegerische (Hans Baldung Grien), Kaufmann Oswolt Krel (Albrecht Dürer), Bildnis eines jungen Mannes (Albrecht Dürer), das erwähnte Selbstbildnis Dürers, Maler und Kupferstecher Martin Schongauer (Hans Burgkmair), Johann von Malem (Meister des Aachener Altars), ein Baumeister (Meister des Marienlebens), Herzog Wilhelm IV. und Herzogin Maria Jacobaea von Bayern (Hans Wertinger). © Elisabeth Greil/Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München

Im Fall von El Grecos "Entkleidung Christi" (1580/1595) und Matthias Grünewalds "Verspottung" (1503/05) ergibt sich so eine herrliche Reibung. Die Bilder liegen 80 Jahre auseinander, in der Konfrontation erzählen sie nun eine Menge über manieristisches Kolorit, über Bedrängung und Bedrohung. Max Beckmann kommt einem in den Sinn, dessen Triptychon "Departure" steckt voll sadistischer Folterszenarien.

Das ist kein Einzelfall. Mehr denn je werden in diesen Räumen Gedankenspiele angestoßen. Vor allem aber kommt die Kunst in einen Dialog, der in ihrer jeweiligen Zeit ganz selbstverständlich geführt wurde. Bilder sind gereist, der Austausch von Druckgrafik war intensiv, Motive und Innovationen gingen lässig über die Grenzen. Ganz davon abgesehen, dass das Denken in Nationalstilen unter heutigen Fragestellungen viel zu sehr einschränkt. Ergiebig war das nie so recht. Und zwischen Diego Velázquez' melancholischem Edelmann (um 1631) und Anthonis van Dycks Selbstbildnis (1620/29), auf dem er wie ein Aristokrat auftritt, liegen schließlich keine Weltmeere.

Dürer und Bellini: Zwei Maler, die sich schätzten

Beide Maler ließen sich von den Italienern inspirieren, besonders van Dyck. Beide arbeiten hier mit einer extrem reduzierten Palette, der Farbauftrag ist einigermaßen pastos, der Blick der Porträtierten geht haarscharf am Betrachter vorbei, und so könnte man das lange weiterspinnen.

Albrecht Dürers "Muttergottes mit der Nelke" von 1516.
Albrecht Dürers "Muttergottes mit der Nelke" von 1516. © Alte Pinakothek

Auch das Nebeneinander von Dürers "Muttergottes mit der Nelke" (1512) und Giovanni Bellinis später "Dudley-Madonna" (um 1508) - eine neue Leihgabe, für die allein sich der Besuch lohnt - lässt über Beziehungen grübeln. Beide Marien sind wieder einmal ahnungsvoll, Bellini setzt seine Schöne gleich in einen Sarkophag, während der Jesusknabe sein Publikum hypnotisch fixiert. Es ist die Zärtlichkeit, die diese Andachtsbilder verbindet. Die Künstler schätzten sich sehr, Dürer nennt Bellini den "Besten in der Malerei" und hat dessen "gemoll" und gerade das Kolorit bei seinen Venedig-Reisen eingehend studiert.

Über Neueinrichtung gab es viele Debatten

Überhaupt Farben! Selbst wenn es keinen offenkundigen Zusammenhang gibt, ist es höchst interessant, etwa die Behandlung von Rot direkt vergleichen zu können. In Saal II leuchtet es fast um die Wette: auf den Gewändern von Botticellis "Beweinung" und Lucas Cranachs Albrecht von Brandenburg, auf Domenico Ghirlandaios Maria oder Dürers Apostel Johannes - und auf dem Habit von Michael Pachers Augustinus, der jetzt mit seinen Kirchenväterkollegen endlich wieder in die Schausammlung zurückgekehrt ist.

El Greco: "Die Entkleidung Christi" (1580-1595).
El Greco: "Die Entkleidung Christi" (1580-1595). © Alte Pinakothek

"Wir haben uns die Köpfe heißgeredet", erklärt Andreas Schumacher. Die Neueinrichtung der Säle sei das Ergebnis kontroverser, aber genauso fruchtbarer Debatten, gibt der Sammlungsdirektor und Italienspezialist der Alten Pinakothek unumwunden zu. Dass man hier den weitaus höchsten Anteil an internationalen Besuchern hat, wäre für Schumacher sogar ein Grund gewesen, alles an Ort und Stelle zu lassen. Doch der Platz für die Alten Meister ist geschrumpft: Im Untergeschoss mussten Werke der Neuen Pinakothek untergebracht werden, und nun zieht ein Teil des Doerner Instituts in die abgetrennten Räume der Spanier und Altkölner.

Darüber könnte man sich grämen, Schumacher und seine Kolleginnen sahen dagegen die Chance, etwas zu verändern. In der National Gallery in London bringt man längst süd- und nordalpine Renaissance zusammen. Und auch am New Yorker Metropolitan Museum gibt es einen "New Look at Old Masters". Nur in Deutschland klebt man am alten System. Doch um chronologische oder geografische Einteilungen zu verstehen, braucht es einige Vorbildung, die man längst nicht mehr voraussetzen kann.

Verschiedene Formate sorgen für Unruhe 

Die Höhepunkte wird man auch so leicht finden, die Dimensionen sind in München bekanntlich andere als im Pariser Louvre. Und sollte der eine oder andere Raum nicht funktionieren, können die Karten immer wieder neu gemischt werden. Nix ist fix. Dass die oft stark voneinander abweichenden Formate eine große Unruhe mit sich bringen, ist nicht von der Hand zu weisen. Man darf auch kein Rahmen-Pedant sein - das Gold der Italiener glänzt nun neben den dunklen und eher schlichten Leisten der Niederländer.

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Und manche Kombinationen können sich gar nicht erschließen. Für Giambattista Tiepolos Altarbild "Anbetung der Könige" blieb wohl nur noch der Platz neben Hubert Roberts "Landschaft mit römischer Tempelruine" von 1773. Dafür blickt man in diesem Raum auch auf Gemälde von François Boucher, und schon ergeben sich wieder Zusammenhänge: entweder zwischen den schimmernden Oberflächen der gebauschten Stoffgebirge oder den tatsächlichen Landschaften und Schäferidyllen, die dann zu Robert führen. Zumal der wiederum mit dem etwas älteren Boucher zusammengearbeitet hat.

Die Vielschichtigkeit ist geblieben

Langweilig wird es bestimmt nicht, das ist das große Plus dieser in Bewegung geratenen Alten Meister. Und die Vielschichtigkeit bleibt, Deutungshinweise sind allenfalls dezent, denn das Kuratorenteam ist glücklicherweise nicht der modischen Versuchung erlegen, die Galerie nach den großen Themen der Menschheitsgeschichte zu ordnen. Das hätte diese wunderbare neue Freiheit schon wieder deutlich eingeschränkt.

Wie der Mix teilweise viel zu unterschiedlicher Formate zu lösen ist, steht dagegen in den Sternen. Aber der Bewegungsdrang wird hoffentlich bleiben, und warum sollten in absehbarer Zeit nicht auch Reliefs oder Skulpturen einziehen? Das Bayerische Nationalmuseum hätte da Passendes zu bieten.

Alte Pinakothek, Di und Mi 10 - 20.30, Do bis So 10 - 18 Uhr

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