Albrecht Dürer Superstar

In der Wiener Albertina wird Albrechts Dürers Werk nun in einer Fülle gezeigt wie schon lange nicht mehr
Christa Sigg |
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Werke von Albrecht Dürer in der Wiener Albertina.
dpa 3 Werke von Albrecht Dürer in der Wiener Albertina.
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dpa 3 Werke von Albrecht Dürer in der Wiener Albertina.
Werke von Albrecht Dürer in der Wiener Albertina.
dpa 3 Werke von Albrecht Dürer in der Wiener Albertina.

Vor drei Jahren durfte er für gerade mal sieben Stunden ans Licht. Das war der Knüller bei einer langen Museumsnacht, und man kann sich leicht ausmalen, dass den Verantwortlichen in der Wiener Albertina nicht ganz wohl war. Im Strom der Besuchermassen knipsen ja dauernd ein paar mit Blitz, und dieses 500 Jahre alte Tier, also Dürers Feldhase, ist unfassbar empfindlich. Dabei sitzt er jetzt bei seinem erst zehnten öffentlichen Auftritt seit 1871 wohlgenährt und durchaus robust in seinem schweren Holzrahmen. Kommt man nahe genug an ihn heran, beginnen die weißen Härchen auf dem Rücken leise zu flirren, und das Fell scheint im Herzschlag zu pulsieren. Eine Bewegung, ein Geräusch, und er ist weg. Mit einem Satz.

Natürlich, in diesem Realismus liegt das Faszinosum. Albrecht Dürer zeigt hier bis in die mit Deckweiß umrandeten Tasthaare, was er draufhat. Dass er sich an der Grenze des Machbaren bewegt. Und dass er durch und durch Künstler ist – in der Pupille des Hasen spiegelt sich klitzeklein das Fensterkreuz des Ateliers. Denn es ging bei aller präzisen Naturbeobachtung immer auch um die artifizielle Inszenierung. Egal, was Dürer in Angriff nahm: ob die grandiosen Federzeichnungen der „Grünen Passion“ (1504), ob die farbglühende „Anbetung der Könige“ (1504), die für die Wiener Großschau die Uffizien in Florenz verlassen durfte, oder eben die berühmten Studien. Neben dem 1502 entstandenen Hasen-Aquarell, das schon im 16. Jahrhundert auf Teufel komm raus kopiert und gefälscht wurde, sind das vor allem das „Große Rasenstück“ (1503), der „Flügel einer Blauracke“ und die Helldunkelstudie der millionenfach reproduzierten „Betenden Hände“ (1508).

Eine One-Man-Show

In dieser Hinsicht ist der 1471 geborene Maler nicht mehr Kind seiner Zeit, denn die eben erst entwickelte Hierarchie der Gattungen spielen für ein paar entscheidende Momente keine Rolle. Freilich nicht ohne Absicht. Diese populären Blätter, die Chefkurator Christof Metzger zu völlig autonomen Bildern aufwertet, waren Vorzeigeobjekte, die außerdem mit dem typischen AD-Monogramm und dem Datum der Entstehung versehen sind. Wer nach Nürnberg in Dürers Atelier kam, sah sofort, was der Meister zu bieten hatte und dass selbst ein schnöder Grashalm minutiöse Beachtung fand.

Kollegen wie die Cranachs überließen den Kleinkram und die Nebensächlichkeiten lieber den Mitarbeitern. Die hatte Dürer nur in seltenen Fällen, denn im Grunde war er „eine One-Man-Show“, wie es Metzger formuliert. Jedenfalls in der Produktion. Beim Vertrieb verließ er sich dann aber auf seine geschäftstüchtige Frau Agnes, die er 1494, kurz vor der ersten Italien-Reise geheiratet hatte, und auf Kolporteure, also Vertreter, die seine Kupferstiche und Holzschnitte quer durch Europa unter die Leute brachten. Die um 1498 publizierte Apokalypse mit ihren hochdramatischen bis grausigen Szenen etwa entwickelte sich schnell zum Verkaufshit. Und schon wenig später führte Dürer ein bestens vernetztes Unternehmen und wurde zum reichen Mann.

Fülle und Intensität

Mit fast 200 Exponaten kann man in der Albertina nun dem Schaffen dieses Über-Künstlers in einer Fülle und Intensität begegnen, wie es Jahrzehnte nicht mehr möglich war. Das Haus beherbergt mit fast 140 Werken den weltweit bedeutendsten Bestand an Dürer-Zeichnungen – dessen Besitzverhältnisse lassen sich übrigens bis zum Tod 1528 zurückverfolgen. Und wer solche Qualität zu bieten hat, erhält auch heikle Leihgaben.

Neben dem Altarbild aus Florenz sind das der Heilige Hieronymus (1521) aus Lissabon, der mit allen dazugehörigen Studien präsentiert wird. Dann aus Madrid das höchst rätselhafte, gestenreiche Gemälde „Jesus unter den Schriftgelehrten“ (1506/07, Thyssen-Bornemisza) und mit dem „Bildnis eines bartlosen Mannes mit Barett“ (1521, Prado) vielleicht das schönste der Dürer-Porträts, vor dem auch der eindringliche Nürnberger Patrizier Jakob Muffel (1526) aus der Berliner Gemäldegalerie seine schwarze Kappe ziehen muss.

Unter all diesen Höhepunkten sticht allerdings ein fragiles, grün grundiertes Blatt aus Weimar heraus, das in seiner schonungslosen Offenheit heute noch frappiert. Ein bis auf die Netzhaube nackter Albrecht Dürer steht da leicht nach vorne gebeugt, das Gemächt keineswegs schamhaft im Ungefähren, sondern bis ins Detail vorgeführt. Es wird Jahrhunderte dauern, bis sich das Maler wie Egon Schiele wieder trauen. Doch ausgerechnet der eitle, dandyhafte Dürer, der sich die rötlichbraunen Locken aufwendig zwirbeln ließ und nur im feinen Wams aus dem Haus ging, zeigt sich ungeschützt und bloß.

Im Spiegel

Nachdenklich wirkt er, irgendwie mitgenommen vom Leben oder womöglich nur von einem rauschenden Gelage? Knapp dreißig müsste er gewesen sein, wenn man der stilistisch schlüssigen, aber im Gesamteindruck schwer nachvollziehbaren Rückdatierung Erwin Pokornys auf etwa 1499 Glauben schenkt. Und es war ja auch ein eher kompliziertes Unterfangen, sich vom Scheitel bis hinab zu den Beinen zu porträtieren.

Damals gab es nur Konvexspiegel mit bis zu 40 Zentimetern Durchmesser, Dürer muss sich also Körperpartie für Körperpartie gezeichnet haben. Das erklärt nicht nur die leichten Verzerrungen, die unterschiedlichen Perspektiven oder das eigentümliche Spiel von Licht und Schatten. Doch wer will sich daran stören? Dürer wusste, wie man den Blick des Betrachters lenken und mehr noch wie man Realität vortäuschen kann. Das zeugt nur von seinem Können, und es hält ihn keineswegs davon ab, die tieferen Wahrheiten zu finden. Im Gegenteil.

„Albrecht Dürer“, bis 6. Januar, Albertina, Wien. Zur Ausstellung ist ein fulminanter Katalog mit ausschließlich neuen Beiträgen erschienen (Prestel, 488 Seiten, Museumsausgabe 34,90, im Buchhandel 49 Euro)

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