Aladag-Ausstellung in der Villa Stuck: Die Seele der Dinge

In Nevin Aladags Ausstellung "Sound of Spaces" in der Villa Stuck ist die sinnliche Wirkung intensiv und unmittelbar.
von  Roberta De Righi
Ein Blick in die Ausstellung in der Villa Stuck.
Ein Blick in die Ausstellung in der Villa Stuck. © Jann Averwerser

München - Eine Geige fährt Karussell, unzählige Runden. Immer wenn ihre Saiten den im Boden installierten Bogen berühren, erklingt ein Ton. Kurz, aber durch die Wiederholung seltsam eingängig, so wie die ständige Drehung beim Derwisch-Tanz.

Aladag lässt die verschiedenen Klänge und Bilder subtil in Dialog treten 

Das Karussell steht auf einem Stuttgarter Spielplatz, die 1972 in Van geborene und in Stuttgart aufgewachsene Künstlerin Nevin Aladag hat es 2015 für ihre Dreikanal-Video-und-Sound-Installation "Traces" (2015) präpariert.

Dafür hat sie die Orte ihrer Kindheit aufgesucht und diese zum Klingen gebracht: Im Geäst hängen ein Becken und eine Triangel, ein Akkordeon wird durch eine Wikingerschiff-Schaukel in Bewegung versetzt, eine Flöte durch die entweichende Luft eines Luftballons gespielt, und durch die Fußgängerzone rappelt eine Ocean Drum. Aladag lässt die verschiedenen Klänge und Bilder subtil in Dialog treten und komponiert daraus ein Triptychon, dessen Betrachtung fast in Trance versetzt.

Der Künstlerin, die an der Münchner Akademie (bei Olaf Metzel) Bildhauerei studiert hat und im Anschluss wie so viele nach Berlin abwanderte, widmet das Museum Villa Stuck jetzt eine umfassende Ausstellung und hat ihr dafür das ganze Haus zur Verfügung gestellt. Ein Glücksfall, denn das Werk passt inhaltlich und ästhetisch perfekt in den Kontext der opulent ausgestatteten einstigen Künstler-Villa.

Das Städte-Porträt "Traces" und die zwei Jahre zuvor im Emirat Sharjah entstandene Projektion "Session" sorgen in Stucks neuem Ateliertrakt für großes Kino. Und im hellen Obergeschoss ist viel Platz für Aladags Multifunktions-Instrumente, die sie seit Jahren zusammen mit Instrumentenbauern entwickelt: Der "Große Resonator" etwa, mit seinen Streich-, Schlag- und Blaselementen, hat fast die Größe eines Tiny House und kann ein ganzes Ensemble beschäftigt halten.

Die Relikte der Aladag-Performances überzeugen auch ästhetisch 

Aber auch die historischen Räume werden von Aladag neu vermessen: In den Musiksalon ist ein stattliches Möbel-Orchester eingezogen. Und auch wenn sich der Satyr in Stucks Gemälde "Dissonanz" immer noch die Ohren zuhält, so dürfte ihn, was er da zu hören bekäme, überwältigen: Die Kommode spielt Cello, der Stuhl mit der hohen Lehne ist eine Doppel-Saz und der Thonet-Garderobenständer fungiert als Harfe.

Dass diese Klang-Skulpturen auch funktionieren, kann man bei einigen Live-Aktivierungen erleben. Das Wesentliche in Aladags Kunst ist zwar ephemer. Dennoch können die Relikte ihrer Performances auch ästhetisch überzeugen. Etwa die "Stiletto"-Serie mit quadratischen Wand-Arbeiten: Kupferplatten, die für die Performance "Raise the Roof" auf der Venedig-Biennale von 2017 von sieben Tänzerinnen mit Absätzen traktiert wurden.

Sie bewegten sich damals parallel zu jeweils unterschiedlichen Songs, die sie über Kopfhörer hörten. Das Publikum hingegen hatte nur das rhythmische Klackern der Absätze im Ohr - und bewunderte die eigenwillige Choreographie dieser Kompagnie isolierter Individuen - beiläufig, aber nicht absichtslos.

In Nevin Aladags betörendem Kosmos haben die Dinge eine Seele

Nevin Aladag setzt John Cage, Nam June Paik und die Fluxus-Tradition mit anderen Mitteln fort und intensiviert sie durch Attribute und Techniken, die in der Kunst noch immer als weiblich gelten - ob in den Teppich-Collagen "Social Fabric", Strumpf-überzogenen Lampen ("Colour Floating") oder beim schwer symbolischen "Stiletto-Hammer".

Weil ihr Horizont dabei musikalisch, motivisch und ornamental die Kultur des Orients selbstverständlich miteinschließt, ist die sinnliche Wirkung intensiv und unmittelbar. Und wenn ein Schellentamburin leise scheppernd eine Sanddüne hinunterkullert oder der Wind das Becken im Baum klingen lässt, sind das keine surrealen, sondern mystische Momente - uns zum Trost: In Nevin Aladags betörendem Kosmos haben die Dinge eine Seele.


Bis 20. Februar 2022, Di - So 11 bis 18, erster Freitag im Monat 11 bis 22 Uhr (Eintritt frei); nächste Bespielung am 12.11., 19 - 20 Uhr

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