Kritik

Ai Weiwei in Bad Ischl

Schön gefasster Ernst: Die große Ausstellung "Ai Weiwei - Transcending Borders" im Kaiserpark
von  Adrian Prechtel
Bad Ischl ist Zentrum der europäischen Kulturregion Salzkammergut 2024. Im Vordergrund die Kaiservilla, links die Stallungen. Das ganze Gelände wird mit der Ausstellung "Ai Weiwei: Transcending Borders. Dialog mit der Hallstattkultur" bespielt.
Bad Ischl ist Zentrum der europäischen Kulturregion Salzkammergut 2024. Im Vordergrund die Kaiservilla, links die Stallungen. Das ganze Gelände wird mit der Ausstellung "Ai Weiwei: Transcending Borders. Dialog mit der Hallstattkultur" bespielt. © IMAGO/Eibner Europa

Bad Ischl – Der Ernst in der Kunst muss optisch nicht immer niederschmetternd sein. Und wenn die Umgebung auch noch kaiserliche Sommerfrische ausstrahlt, ist man vielleicht sogar besonders offen für das Abgründige hinter der Schönheit von Ai Weiweis Werken.

Die sind immer schon perfekt und ästhetisch ansprechend, weil Kunst hier auch vom handwerklichen Können kommt - wie bei den 175 Helmen in Stahlhelmform in den Stallungen. Friedensbittend glänzend weiß sind sie, frisch angefertigt aus Gmundener Keramik, und doch militärisch in Reih' und Glied wie im "Triumph des Willens".

© OÖ Landes-Kultur GmbH, Michael Maritsch


Leni Riefenstahl lässt grüßen

Nur wenn man genauer hinschaut, sieht man die leichte Drehung, so dass sie nicht stur nach vorne schauen - in der Pferdestallhalle, wo noch die eisernen Ringe für die Halfter zu sehen sind. Die Stallungen sind eine erste Station, wenn man über die Ischlbrücke den Sommerpark der Kaiserresidenz am Südhang betreten hat. Und wer Geduld hat, dem erzählen die Aufseher gerne etwas über die Werke, wie hier, dass Ai Weiwei dieses neue Werk als Antwort auch auf den Ukrainekrieg geschaffen hat, zu dessen Beginn die damalige bundesdeutsche Verteidigungsministerin Christine Lamprecht erst einmal Helme für die Ukraine beisteuern wollte. Und schon tut sich ein Interpretationsschlachtfeld auf zwischen radikalem Pazifismus, Formfragen des Beistands für ein Land, das überfallen wurde, berechtigter Wehrhaftigkeit und wichtigem Schutz, in dem man sich selbst verorten kann.

© OÖ Landes-Kultur GmbH, Michael Maritsch

Klarer positioniert ist der riesige, 30 Meter lange Papierdrache, der sich durch die gegenüberliegende Reithalle im Raum schwebend schlängelt: nicht bedrohlich, sondern in seiner Farbfröhlichkeit ein chinesisches Glückssymbol. Und wer ihm - über einem riesigen Feld aus Schwarzpulverkügelchen - vom Kopf bis zur Schwanzspitze folgt, wird berühmten, in den 30 Gliederungen eingeflochtenen Namen begegnen, alles Widerstandsheldinnen und Helden in dreißig Ländern, in denen Menschenrechte massiv eingeschränkt sind: von Nelson Mandela bis Edward Snowden.

© OÖ Landes-Kultur GmbH, Michael Maritsch

Acht Stationen mit Werken von Ai Weiwei der letzten zwanzig Jahre kann man im Park und im Marmorschlössl am oberen Ende besuchen. Zentral, vor der vor Geweihen strotzenden Kaiservilla, sind zwölf monumentale Tierköpfe rund um den Brunnen aufgestellt. Sie sind den chinesischen Tierkreisköpfen vor dem kaiserlichen Sommerpalast in Peking nachempfunden, die im ersten Opiumkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts von den imperialen Briten zerstört wurden. Gleich daneben - in einer in unserem nasswarmen Sommer grün gebliebenen Wiese - liegen geometrisch geordnet Dutzende tiefblaue große Keramikblasen, "Bubbles" von 2008: eine Hommage an die chinesische Handwerkskunst der Stadt Jingdezhen.

Symbiose aus Landschaft und der Schönheit der Werke 

Überhaupt fügen sich die Werke Ais wunderschön in die Landschaft ein: so auch die schwarz angemalten, größeren Steinbrocken, die schwarz angemalt wie riesige Steinkohlestücke aussehen. Sie erinnern an die im Kohleförder-Rausch der Volksrepublik China in schlampig abgestützten Stollen ums Leben gekommenen Kumpel.

© OÖ Landes-Kultur GmbH, Michael Maritsch


Ganz oben im Park trifft der chinesische Exilant, der von Berlin mittlerweile nach Portugal weitergezogen ist, auf das hier in der Salkammergutidylle stattgefunden habende royale Familiendrama: An den Außenwänden zwischen den Fenstern des lichten und passend pagodenartigen Marmorschlössls des 19. Jahrhunderts sind kommentierte Briefausschnitte von Kaiser Franz Joseph angebracht: Er erzählt von den unbeschwerten, relativ etikettefreien Tagen mit seinen Kindern hier in Bad Ischl. Zeilen, die an seine ewig abstinente Frau, die Kaiserin Elisabeth, gerichtet sind. Aber das ist natürlich kein Teil der Ai-Weiwei-Show, sondern hier ständig angebracht.

© OÖ Landes-Kultur GmbH, Michael Maritsch

Neben dem Schlössl steht aber noch das Zimmermann-Skelett eines 400 Jahre alten chinesischen Herrenhauses aus knorrigem Holz auf Kristallsockeln. Ai Weiwei hat es bunt angemalt und so steht es hier ortsfremd und in seiner Rustikalität doch auch wider passend vor der Bergkulisse und erinnert an das gnadenlose Abräumen von Altem für Fortschritt und moderner Zivilisation - eine Mahnung, die sich sicher nicht nur am China richtet. Und nur wenige Meter weiter sind übermannshohe Keramikvasen in eine halbrunde Waldeslichtung gestellt: einfach prachtvoll ohne Protz und wunderschön.

Hier hat Kaiser Franz-Joseph Kaffee getrunken


Betritt man dann das Marmorschlössl, ist man hier, am Ende erst im eigentlichen Hauptteil der Ausstellung - mit vielen, hier auch weniger monumentalen Werken von Ai Weiwei, wie einer goldenen, eleganten Installation aus lauter zusammengeschweißten Fahrrädern - bis vor wenigen Jahren ein Statussymbol der Mittelschicht Chinas.

© OÖ Landes-Kultur GmbH, Michael Maritsch

In den Räumen, in denen kleine Erzherzöge spielten und Kaiser und Franz Joseph Kaffee trank, finden sich dann auch die Anspielungen auf die prähistorische Hallstattkultur der Gegend hier im Salzkammergut: Eine Keramikschüssel der Han-Dynastie vor 2500 Jahren ist hier - wie an Andy Warhol erinnernde - mit einem verblassenden Coca-Cola-Schriftzug bemalt.

Sexspielzeug aus Jade und Handschellen

Und wer sich die Muranoglas-Lüster und die dekorativen Schwarzweiß-Tapeten in den anderen Räumen genauer anschaut: hier sind als Schmuck Überwachungskameras eingebaut. Oder Panzerdarstellungen, Bilder von Flucht und Vertreibung und Skelettreste aus Hallstatt neben Porzellannachbildungen menschlicher Knochen aus einem chinesischen Arbeitslager der 1950er-Jahre. Und es gibt auch von Ai Weiwei geschaffene "Sex-Toys" aus Jade - als witzigen Kontrast zu so genannten Hallstätter "Hohlwulstringen" in Vitrinen, die als Fibeln Kleider und Gürtel zusammenhielten, aber hier auch augenzwinkernd als Penisringe ausgestellt sein könnten. Handschellen aus schwarzer Jade und Ebenholz wiederum erinnern an die Verhaftung des Künstlers im Jahr 2011, bevor er ins Berliner Exil ging.


Abgesehen von den wenigen Erotika könnte die gesamte Ausstellung durch die politischen Hintergründe der Objekte eine tragische Schwere entfalten - und tut sie natürlich auch. Aber das Unbeschwerte einer alpinen, österreichischen Urlaubsgegend aus Wellness und Torten, alles einbettet in Postkartennatur und Lustschlossheiterkeit, lässt keine Schwermut aufkommen. Das Schöne der Objekte und der Umgebung ist kein Widerspruch zum Inhalt. Sie sind ein Rahmen, der der Schärfe nichts nimmt, sondern sie auch konturiert. Und in dieser Sommerresidenz unterschrieb Kaiser Franz Joseph I. auch 1914 die Kriegserklärung an Serbien, mit der er Erste Weltkrieg begann.

"Ai Weiwei. Transcending Borders": Bad Ischl, Kaiserpark, Stallungen, Villa und Marmorschlössl, bis 27. Oktober, täglich 9.30 bis 17 Uhr, 12,50 Euro (6 Euro für den Park, weitere 6,50 Euro für die Ausstellungsräume), in anderthalb Stunden mit dem Zug von Salzburg zu erreichen

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