Abschied vom Blauen Reiter

Das Werk ist vollbracht, seit Mai zieht das neue Lenbachhaus Massen an – Direktor Helmut Friedel kann zufrieden in den Ruhestand gehen
von  Christa Sigg

Das Werk ist vollbracht, seit Mai zieht das neue Lenbachhaus Massen an – Direktor Helmut Friedel kann zufrieden in den Ruhestand gehen

Die Wände sind fast leer, die Regale nur noch dürftig gefüllt. Und neben dem Schreibtisch stehen Bücherkisten. Ein Büro mit dieser Aussicht kann man eigentlich gar nicht aufgeben: Helmut Friedel muss nur den Stuhl drehen, und schon schaut er auf einen der schönsten Gärten der Stadt. Aber jetzt macht er wirklich Ernst und verlässt nach 36 Jahren das Lenbachhaus. Von seinem melancholischen Blick darf man sich nicht täuschen lassen, den hat er immer. Und tatsächlich hellt sich die Miene bald auf im AZ-Gespräch über Sahnehauben, Streifenbilder und Zukunftspläne.

AZ: Herr Friedel, warum tragen Sie rote Hosen?

HELMUT FRIEDEL: Es gibt so wenig Farbe in unserem Leben. Vielleicht sind sie auch ein gutes Stück Lebenslust.

Also kein Bekenntnis zur Stadtregierung?
Ich habe auch grüne Hosen.

Damit sind alle abgedeckt.
... und graue, schwarze, rosarote... Nein, die Hosenfarbe ist kein politisches Bekenntnis, sondern hängt eher von meiner Stimmung ab.

Heute tragen Sie grau, weil Sie keine Interviews mögen.
Das haben Sie gesagt.

Dann lassen Sie uns über Glanzvolles sprechen. Ist der Neu- und Umbau von Norman Foster die – goldene – Sahnehaube zum Abschluss?
Es ist ein Glück, dass ich meine Arbeit für das Haus so beenden konnte. In diesem neuen Rahmen kann man viel machen, die Sammlungen sind gut untergebracht. Und in diesem Zusammenhang ist noch Wichtiges dazu gekommen: die Schenkung Lothar Schirmer mit Joseph Beuys. Dann helfen KiCo-Sammlung und Stiftung, die Gegenwart abzudecken und zu ergänzen. Und mit der Christoph-Heilmann-Stiftung konnte auch fürs 19. Jahrhundert etwas getan werden. Wir sind jetzt in den verschiedenen Bereichen breiter aufgestellt. Das Kernstück, der Blaue Reiter, hat damit eine gute, starke Nachbarschaft.

Sie werden sicher nicht kritteln. Aber das Haus platzt jetzt schon aus den Nähten.
Ich finde es wunderbar, dass das Haus nicht größer geworden ist. Es geht nicht um Quantität, sondern um Qualität. Und die Begrenztheit ist in jedem Zustand gegeben, man kann nie alles zeigen.

Man hätte etwas luftiger hängen können.
Was das Lenbachhaus als städtische Galerie auszeichnet, ist die Betonung des bürgerlichen Aspekts der Kunst. Nehmen Sie nur mal das 19. Jahrhundert, da zeigen wir nicht die monumentalen Akademie-Aufträge eines Piloty oder Kaulbach, sondern Porträts, Landschaften, auch etwas Genre, das für die Bürger gemalt wurde.

Und deren Wohnzimmer.
Ja. Auch der Blaue Reiter war nie monumental, sondern für den privaten Bereich. Insofern entsprechen Um- und Neubau dem Anforderungsprofil, wie man heute so schön sagt. Im ersten Halbjahr der Eröffnung sind 300.000 Menschen hier gewesen – und wir beobachten, dass sie sich im Haus wohlfühlen. Mehr kann man doch nicht erreichen.

Dann wird die feste Ausstellung häufiger wechseln?
Bei der Erstpräsentation haben wir wichtige Künstler im zeitgenössischen Bereich weggelassen, etwa Andy Warhol, Anselm Kiefer, Sean Scully... Wechselnde Angebote zu präsentieren, macht die Sache auch spannend. Ich gehe davon aus, dass die Besucher sowieso öfter kommen. Wir haben schon etwa 27.000 Jahreskarten verkauft.

Ihre erste Ausstellung galt Rupprecht Geiger, die letzte Gerhard Richter und dessen „Atlas“. Zu beiden Künstlern haben Sie eine ganz besondere Beziehung.
Mit der Ausstellung zu Rupprecht Geigers 70. Geburtstag begann tatsächlich eine lange Freundschaft. 1978 gab es durchaus noch Widerstand, Arbeiten von ihm zu kaufen. Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen. Für Geiger war das Lenbachhaus der entscheidende Ort, an dem sein Werk gepflegt wird. Er hat uns ja auch ein wichtiges Konvolut an Arbeiten geschenkt.

Und nun halten Sie morgen über Gerhard Richter Ihren letzten Vortrag – als Direktor.
Mit dem „Atlas“ vermittelt Richter etwas sehr Modernes: den Prozess von den ersten Anregungen bis zum eventuellen Übertragen eines gemalten Bildes in andere Formen wie Gobelins. Oder Streifenbilder. Dass er auch das „Nicht-ins-Bild-setzen-können“ thematisiert, hat mich immer sehr fasziniert. Auch darüber werde ich sprechen.

Zu welcher Zeit war es leichter, Museumschef zu sein: in den 70ern, als der Beuys-Ankauf „Zeige deine Wunde“ fast zu Ausschreitungen geführt hat, oder heute, wo sich kaum noch einer über irgendetwas aufregt?
Es ist nie leichter oder schwerer. Die Aufgaben ändern sich. Mit Beuys hatten wir hier den letzten echten Kulturkampf. Das war insofern schwerer, als die Angriffe heftig waren. Gegen die anzukämpfen, war dafür leichter, weil die Positionen klar waren. Heute gibt es kaum noch wirkliche Kritik. Aber wenn alles gleich gültig ist, wird es auch gleichgültig. Dagegen muss man arbeiten, sich selbst gegenüber sehr kritisch bleiben. Wahrscheinlich sollte man bei dieser breiten Akzeptanz auch das Glück der Stunde nutzen. Das kann auch schnell wieder umschlagen.

Mal von der Steigerung der Besucherzahlen abgesehen...
... da kann ich konkret werden: In den 70er Jahren waren es etwa 70.000, bis 2000 stiegen die Zahlen auf rund 200.000 im Jahr, und jetzt werden sie sich wohl auf einer halben Million einpendeln.

Das sind gewaltige Veränderungen. Was waren denn die Höhepunkte Ihrer Arbeit am Lenbachhaus?
Mit 400 000 Besuchern sicher die Ausstellungen zu Franz Marc und Kandinsky – äußerlich betrachtet. Das neu eröffnete Museum toppt das dann alles noch mal. Besondere Erfolge sind aber oft kleine und besondere Erlebnisse. Gerhard Richter hatte hier 1974 – da war ich noch nicht am Haus – seine erste Ausstellung, und er behauptet eisern, zu Eröffnung seien nur zwölf Leute gekommen. Vielleicht war diese Ausstellung aber wichtiger als alle späteren.

Welches sind dann Ihre besonderen Erlebnisse?
Für mich war die Zusammenarbeit mit den Künstlern, die die Räume des Blauen Reiter gestaltet haben – also Franz Ackermann, Thomas Demand, Olafur Eliasson und Katharina Grosse – eine besondere, prägende Erfahrung. Dann natürlich Einzelausstellungen wie „Der Traum des Orpheus“ zur Mythologie in der italienischen Gegenwartskunst. Oder Isa Genzken in den 90ern.

Die jetzt am Museum of Modern Art in New York eine große Retrospektive hat.
Da haben wir einiges beigesteuert. Trotzdem hat unser Genzken-Raum nicht gelitten.

Hand aufs Herz: Ging Ihnen der Blaue Reiter nicht zwischendurch auf den Keks?
Nein. Man muss sich halt immer neue Fragen stellen. Aber gelangweilt oder „genervt“ hat mit mich diese Kunst nie.

Was hätten Sie noch gerne gemacht?
Ich bin wunschlos glücklich.

Sie können einfach so aufhören?
Natürlich. Ich glaube, ich hab’ keine Schulden hinterlassen.

Es gibt genug Direktoren...
... die dann noch ein Kämmerchen haben. Nein, das darf man nicht machen. Ich weiß, dass mein Nachfolger Matthias Mühling und das ganze Team die Arbeit hier wunderbar fortsetzen werden.

Und was machen Sie jetzt? Angeln gehen, auf der Parkbank sitzen, beim Arzt vorbei schauen?
Ja, das würde meiner Frau gefallen, wenn ich mal zum Arzt ginge. Nein, nichts dergleichen, es wird ein großes Buchprojekt geben zu Gerhard Richter und zum „Atlas“. Und dann werde ich einige Ausstellungen machen.

Also doch.
Aber nicht hier!

Sondern?
Eine Ausstellung werde ich über Arnulf Rainer an der Albertina in Wien machen.

Wenn Sie sich irgendwas im Lenbachhaus aussuchen dürften, was würden Sie mit nach Hause nehmen?
Das sind schon alle Wände voll.

Einmalige Chance: Christian Ude gibt Ihnen freie Auswahl.
Ich fürchte, das, was ich gerne hätte, würde mich zu Hause nur belasten.

Das wäre?
Ich mag zum Beispiel dieses 6-Meter-Streifenbild von Gerhard Richter sehr, sehr gerne. Auch die Glasscheiben-Arbeiten. Aber ich habe ja nicht die entsprechenden räumlichen Verhältnisse. Es ist doch ein Glück, dass es Museen gibt. Sie glauben gar nicht, wie gerne ich in die Alte Pinakothek gehe. Da muss ich mir keinerlei „Besitzer-Sorgen“ machen. Und wenn man zu viel zu Hause hat, bleibt man da nur hocken.

Vortrag zur Arbeit von Gerhard Richter: Mittwoch, 19 Uhr (Einlass 18.30), Lenbachhaus, Georg-Knorr-Saal, Eintritt frei

 

 

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