Abgeben, luftiger leben
Der Münchner Kunstsammler Lothar Schirmer hat dem Lenbachhaus frühe Objekte von Joseph Beuys vermacht - ein Gespräch über Kunstkäufe, Karl Valentin und Holz vor der Hüttn
Zufrieden schaut er aus zwischen all den Büchern und Druckfahnen. Nur ein Hauch Wehmut scheint sich um die Augen gelegt zu haben. Lothar Schirmer hat dem Lenbachhaus mit 15 frühen Werken einen Gutteil seiner höchst potenten Beuys-Sammlung vermacht. An so was hängt man natürlich, zumal der Kunstbuchverleger zu den Sammlern der ersten Jahre gehört. Damit wird München tatsächlich auch Beuys-Stadt. Ausgerechnet. 1979 hatte der Ankauf von „Zeige deine Wunde” nichts weniger als einen Skandal verursacht.
AZ: Herr Schirmer, musste Lenbachhaus-Chef Helmut Friedel Sie weich kochen?
LOTHAR SCHIRMER: Die Existenz meiner Sammlung ist in der Kunstszene ja durchaus bekannt. Auch, dass sie eines Tages versorgt werden muss. Und nachdem mir dann irgendwann klar geworden ist, dass ich sie nicht mitnehmen kann ...
... schon gar nicht die großen Formate.
Helmut Friedel kam im richtigen Moment mit einem Ankaufswunsch auf mich zu: „Aufbruch aus Lager I”. Das andere, sagte er, hätte er auch gerne, könne er aber nicht bezahlen.
Und dieser Wunsch arbeitete in Ihnen.
Ja. Dann führte mich Friedel in diese Atelierräume im Altbau. „Zeige deine Wunde” stand schon da, und ich dachte mir, es wäre doch ganz schön, wenn meine Objekte diese Installation umspülen würden.
Sie haben aber noch viel mehr von Beuys.
Allerdings, mit 16, 17 habe ich schon begonnen, Kunst zu sammeln. Beuys kam dann dazu, als ich 20 war.
Da haben andere Fußball gespielt oder sind zum Tanzen gegangen.
Mag sein, aber dieses freiere Milieu der Kunst hat mich einfach angezogen. Beuys ist ja auch mal mit dem Zirkus auf und davon.
Wie sind Sie überhaupt auf Beuys gestoßen?
1964 las ich auf der Documenta diesen Namen zum ersten Mal. Von den Zeichnungen war ich sofort angezogen, die Objekte fand ich eklig und völlig unverständlich. Das musste ich für mich klären, also habe ich ihm einen Brief geschrieben. Auf den hat er freundlich geantwortet – wenn ich wollte, könnte ich ihn ja besuchen – und sogar eine Zeichnung beigelegt.
Und wie war er?
Freundlich, anregend. Er wollte wissen, was ich schon gesammelt hatte. Meine beiden Twombly-Zeichnungen und den Roy Lichtenstein fand er ganz toll.
Haben Sie damals gleich etwas gekauft?
Nach einigem Hin und Her nahm ich vier Zeichnungen für 750 Mark – er wollte ja zuerst fast das Doppelte. Und dazu gab er mir noch ein Blatt so dazu.
Wie finanziert man das als Abiturient?
Indem man in den Ferien auf dem Bau arbeitet und der Mutter dauernd die Buchhaltung fürs Schneideratelier macht.
Gefielen Ihre Kunstkäufe zu Hause?
Na ja, nachdem das sechs Monate in der Wohnung hing, hatte sich die Familie dran gewöhnt. Dann wurde der Beuys langsam berühmt – und meine Sammlung zur Party-Attraktion der Eltern.
Warum sind Sie eigentlich nicht Galerist geworden?
Ich habe lange überlegt, ob ich Kunsthändler werden sollte. Doch mir wurde schnell klar, dass ich das Schönste für mich behalten wollte. Das geht natürlich nicht. Wenn man Frauen liebt, wird man ja auch nicht Zuhälter. Irgendwann kam ich auf den Beruf des Verlegers. Und das Gute ist ja, dass wir alles abbilden dürfen – auch das, was die Künstler nicht zum Verkauf rausrücken. Insofern konnte ich immer das Schönste sehen.
Wie bewahren Sie denn Ihre Kunst auf?
Es waren mal Journalisten da, die haben das ganz schön umschrieben: „Herr Schirmer lebt in einem Kunstlager mit Schlafgelegenheit.”
Aber jetzt ist ja wieder Platz.
Eigentlich nicht, nur mehr Luft.
Sie haben 1979 die Schlachten um die Anschaffung der erwähnten Beuys-Installation „Zeige deine Wunde” erlebt. Übt Lothar Schirmer ein kleines bisschen späte Rache in dem Sinne: So, jetzt habt’s euren Beuys?
Aber nein, überhaupt nicht. Viele hatten ja nicht ohne Grund so hysterisch reagiert: Diese Kunst richtet sich doch gegen diese Münchner Prächtigkeit, sie hat ja etwas sehr Asketisches. Holländische Freunde von mir bekamen damals schon immer einen regelrechten Anfall, wenn sie sahen, wie man hier seinen Reichtum ausführt.
Der frühere Opernchef Peter Jonas hat die Frauen mal mit Christbäumen verglichen.
Ja, und viel Holz vor der Hüttn, eben dieses großbäuerliche Schmuckbedürfnis. Da sind Beuys’ erbärmliche oder billige Materialien natürlich etwas Provozierendes. Ich sage immer, wer den Material- und Arbeitswert braucht, um den Kunstwert zu erkennen, der ist beim Juwelier besser aufgehoben. Andererseits gibt es auch für diese asketische Haltung eine Münchner Tradition. Karl Valentin etwa, eine in der Ausstattung arme Figur. Als ich hier ankam, bin ich ins Valentin-Musäum gegangen. Der Beuys hatte ja die Forderung aufgestellt, dass nicht nur Raum und Zeit, sondern auch Wärme und Kälte die Dimension von Plastik bedingen müssen. Und da stand ich plötzlich vor einer Kasserolle voll Wasser und dem Schild: „Diese schöne Schnee-Plastik ist leider schon geschmolzen”. Das spielte zwar auf der Ebene des Spaßes, hatte aber dieses Absurde.
Wobei die Askese bei Beuys durchaus Grenzen hatte.
Oh ja, in einem Pelzmantel fühlte er sich schon wohl. Insofern hat er mit den Münchnerinnen ja doch wieder etwas gemeinsam. Auch am Schneider hat er nicht gespart, und seine Autos waren immer riesige Schlitten.
Summa summarum klingt das nach einer guten Lösung für Sie und Beuys.
Ich bin zufrieden, und wenn irgendwann auch meine Beuys-Zeichnungen und Fotografien im Lenbachhaus landen, hätte ich nichts dagegen.
Sie als Donator dürfen eh alles sagen. Wie finden Sie denn das neue Museum?
Ich fühle mich in den vier Räumen, die ich mit meinen „Donationen” bestücken kann, sehr wohl. Auch das Treppenhaus gefällt mir gut, aber ich habe das Museum in seiner Gänze noch gar nicht wahrgenommen. Der Platz davor ist toll, städtebaulich ein Gewinn, und ich bin froh, dass der Garten erhalten blieb.
Und die Goldhaube?
Die ist mir ziemlich egal, da werden die Erosion und die Luftverschmutzung schon das Ihre tun.