20 Jahre Pinakothek der Moderne: Das Flaggschiff für die Zukunft?

Dass es sie gibt, ist keineswegs selbstverständlich – mit dem Zeitgenössischen tut man sich in München schwer. Immer noch. Aber nun steht die Pinakothek der Moderne seit 20 Jahren, ermöglicht durch viel bürgerliches Engagement. Das wird in Zukunft noch mehr gefragt sein, fürchtet Markus Michalke. Der Vorsitzende des Stiftungsrats spricht im AZ-Interview über neue Chancen vor der Haustür, Strahlkraft durch Teamplay und freien Eintritt.
AZ: Herr Michalke, haben Sie am 16. September 2002 auch gefeiert?
MARKUS MICHALKE: Ja, an diesem Tag wurde unser Sohn getauft. Ich bezeichne die Stiftung der Pinakothek der Moderne übrigens immer als Patin der Pinakothek, das passt doch ganz gut. Natürlich war ich an diesem Tag auch mit den Gedanken bei der Eröffnung. Aber schon viel früher, als ich gehört hatte, dass dieses Haus gebaut werden soll, entschloss ich mich, sofort zu spenden.
Waren Sie damals nicht Student?
Aber schon bald im Beruf. Und nach meiner Rückkehr nach München kam ich dann auch in den Stiftungsrat der Pinakothek der Moderne.
Die Menschen standen vor 20 Jahren Schlange. Was ist von dieser Aufbruchsstimmung geblieben?
Ich würde eher von Durchbruch sprechen, es wurde ja eine Fehlstelle gefüllt. München und Bayern sind nicht unbedingt für die Moderne bekannt, auch nicht in der Lebenshaltung. Oft wird das Traditionelle stärker nach außen gekehrt. Insofern war die Pinakothek der Moderne ein deutliches Zeichen und dazu mit einem sehr innovativen Konzept.
Vier Museen unter einem Dach?
Ja, das war etwas völlig Neues, ansatzweise gab es das in Amerika und in Paris mit dem Centre Pompidou, aber eben nicht in einer solchen Kombination.
Diese Kombination bieten große Chancen. Aber ein Miteinander findet kaum statt.
Leider kann ich nicht widersprechen. Dabei sind in der komplexen heutigen Welt die verschiedenen Disziplinen nicht nebeneinander, sondern miteinander zu sehen. Es ist schon wichtig, auf dem eigenen Gebiet Experte zu sein, aber man muss genauso für die anderen Bereiche offen sein – und in diesem Fall auch über die Pinakotheken hinaus. Deshalb haben wir das Kunstareal initiiert. Es geht nicht darum, alles in einen Topf zu werfen, was es aber spannend macht, sind doch die gemeinsamen Projekte, das Zusammenkommen und miteinander Denken, um Lösungen für die Zukunft zu finden.

Pinakothek der Moderne: Wo das Potenzial noch ungenutzt bleibt
Themen, die alle vier Sammlungen betreffen, liegen oft auf der Straße. Aber bislang kam es nie zu einer großen übergreifenden Ausstellung.
Und damit reduziert man die Wirkung. Würde man die Kräfte bündeln, wäre die Pinakothek der Moderne sehr viel einflussreicher und auch international besser wahrzunehmen, als das heute der Fall ist. Ich erinnere mich an viele wunderbare Einzelausstellungen, aber sie könnten so viel mehr sein, wenn man etwa noch einen Weg in eine andere Sammlung hinein zeigen oder alle vier zu einer solchen Schau beitragen würden. Dieses Potenzial bleibt seit 20 Jahren ungenutzt.
Dazu müssten aber alle Direktoren miteinander reden.
Man denkt immer, es liegt an den Chefs. Aber dieses Thema gab es auch unter den ersten Direktoren. Ich meine, es ist vor allem ein Strukturproblem, und es bedarf einer grundlegenden Idee, um dieser Pinakothek der Moderne ein neues Ego zu geben. Dass wir strahlen können, ist allen Beteiligten bewusst. Aber es entsteht eben kein großer Fluss, wenn vier Bäche nebeneinander fließen.
Das sind die Kernaufgaben der Stiftung
Im Gegensatz zu den PIN-Freunden ist die Stiftung nicht für den Ankauf von Kunst oder die Mitfinanzierung von Ausstellungen zuständig. Was sind Ihre Kernaufgaben?
Wir kümmern uns um die Raumerweiterung, um Vermittlung, um Orientierungssysteme, die Digitalisierung oder um Infrastrukturen wie die Schaustelle, die 2013 während der Schließung den Weiterbetrieb der Pinakothek der Moderne ermöglicht hat. Auch freier Eintritt, wie es ihn mit dem "Blauen Mittwoch" bis 2015 gegeben hat, gehört zu unseren Zielen und liegt mir besonders am Herzen. Da würden wir gerne helfen, das wieder möglich zu machen. PIN engagiert sich in der Weiterentwicklung der Sammlungen und unterstützt das "Leben" in der Pinakothek der Moderne. Wobei wir wirklich miteinander arbeiten. PIN hat deshalb die Förderung auf alle vier Häuser sowie das Museum Brandhorst ausgeweitet und ging damit auch in die Vermittlung, bei der wir uns überschneiden. In allen anderen Bereichen ergänzen wir uns, deshalb haben wir auch ein gemeinsames Kuratorium.
Der zweite Bauabschnitt der Pinakothek der Moderne wurde schnell ad acta gelegt. Vor gut drei Jahren konnten Sie dem Architekten Stephan Braunfels allerdings die Nutzungsrechte am Urheberrecht abkaufen. Und nun?
Wir können jetzt frei denken, das heißt, die Entwicklung des Areals zwischen Türkentor, Gabelsbergerstraße und Theresienstraße wirklich angehen und neu planen. Die Universitätsbauten dort sind nicht sanierungsfähig und werden in fünf Jahren geräumt sein. Nun ist gerade der Raumbedarf der Häuser groß, aber Räume müssen heute noch ganz anderen Bedürfnissen genügen. Wir brauchen sie für Performances, Video- und andere Installationen, es müssen genauso Orte entstehen, wo die Menschen zusammenkommen, um zu diskutieren. Ich stelle mir das als Lebensraum für die Stadt vor. Es gibt wenige Orte in Europa, die quasi im Zentrum eine derartige "Kulturbaustelle" mit echten Gestaltungsmöglichkeiten vorweisen können. Das ist ein Geschenk!
Denken Sie an neue Gebäude?
Irgendwann wird sicher gebaut werden, das ist ja ein kostbarer Platz, der hier der Kultur zur Verfügung steht. Wir dürfen aber auf keinen Fall nur irgendwelche Klötze hinstellen, sondern müssen uns erst über die Bedürfnisse im Klaren werden. Was spricht die Leute im 21. Jahrhundert an? Was trifft die neuralgischen Punkte unserer Gesellschaft? Die Außenräume könnten jetzt schon viel stärker genutzt werden.
Mit temporären Konstruktionen wie der Schaustelle?
Auch. Aber viel wichtiger ist es, dass die Menschen sagen: Wir treffen uns heute an der Pinakothek der Moderne und wissen, dass uns das Freude macht, anregt, inspiriert. Welche Orte haben wir denn, wo tatsächlich alle zusammenkommen können? Das ist eine Chance, die sollten wir nicht sofort mit Beton zupflastern.
Die Bedarfslisten der Häuser sind lang.
Sicher, überall fehlt es an Räumen – von den Depots bis zu einem Vermittlungszentrum. Aber da geht es nicht um vier, fünf Jahre. Es ist viel wichtiger zu überlegen, wie die Sammlungen an die Gesellschaft vermittelt werden können.
Gibt es deshalb zum 20-Jährigen eine App?
Ja, die Brücke zum Besucher ist ganz entscheidend – und heute eben digital. Das Verschmelzen des digitalen und realen Raums wird immer stärker werden, gerade bei der Generation unter 30. Die Angst der Museen, dass das digitale Bild zur Konkurrenz wird, ist nicht ganz unbegründet. Trotzdem ist es notwendig, die Museen in die digitale Welt zu migrieren, aber nicht ausschließlich. Und eine gute App verbindet beides, liefert Information, hilft bei der Orientierung. Deshalb ist das unser Geschenk zum Jubiläum, für das der finanzielle Aufwand doch beträchtlich war.

Michalke: Die Politik macht es sich bei der Kultur zu leicht
Noch ein Blick in die Realität vor Ort: Was muss sich städtebaulich um die Pinakotheken herum tun?
Die "Autobahnsituation" ist bereits durch die Fahrradwege deutlich entschärft, und diese Reduktion des Verkehrs sollte man behutsam weiterverfolgen. Die Fußgänger, Radl- und Rollerfahrer suchen sich dann schon ihre Wege. Abgesehen davon sind die Entfernungen nicht groß, vom Hofbräuhaus bis zum Ägyptischen Museum können Sie alles fußläufig erreichen. Das gibt es in fast keiner anderen Stadt. Aber man muss es kommunizieren. Und auch die neue U-Bahn wird das Kunstareal besser anbinden.
Wenn sie dann gebaut wird. Von Staat und Stadt sind eher weitere Einsparungen zu erwarten. Macht es sich die Politik bei der Kultur zu leicht?
Eindeutiges Ja. Die Politiker verstehen einfach nicht, wie wertvoll die Kultur für unsere Gesellschaft ist. Diese öffentliche Förderung zeichnet uns ja im Vergleich zum angelsächsischen Raum und vielen anderen Ländern wie Russland oder China aus: Wir haben freie Institutionen, die nicht vom Gutdünken irgendwelcher Parteien abhängig sind und die auch nicht von der Politik instrumentalisiert werden oder nach der Pfeife von Geldgebern tanzen müssen. Das ist ein Schatz! Aber wenn wir den zusammensparen und in die Mittelmäßigkeit treiben oder die Häuser nur noch das Bestehende verwalten können, dann ist diese Kultur in 25 Jahren auch nicht mehr konkurrenzfähig.
Der Staat überlässt aber lieber Sponsoren und Mäzenen das Feld. Wirken sich Krisen auf die Spendenbereitschaft aus?
Bisher nicht wirklich, aber man schaut schon genauer, für was man Geld gibt und ob die Menschen etwas davon haben. Ich spreche jetzt von den Mäzenen, die keine eigenen, sondern gesellschaftliche Interessen verfolgen. Ja, das Mäzenatentum wird in Zukunft wichtiger, ich würde mir aber eher ein Gleichgewicht wünschen, also dass wir die Museen als öffentliche Häuser bewahren und sie nicht zu rein privat geförderten Institutionen verkommen lassen. Wir würden etwas verlieren, dass nur sehr schwer zurückzuholen wäre. Es ist eine Partnerschaft zwischen dem Staat, den Häusern und uns Bürgern als Förderer, da darf sich keiner aus der Verantwortung stehlen.
Das Jubiläumsprogramm auf pinakothek-der-moderne.de, freier Eintritt bis Sonntag.