Kultur in Zeiten von Corona: Alternative Logik

Die Bayerische Staatsregierung bevorzugt weiter die Gastronomie gegenüber kulturellen Veranstaltungen. Eine Polemik.
Robert Braunmüller
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Der Herkulessaal der Residenz bei einem Konzert des BR-Symphonieorchesters - besetzt nach der absurden 25-Prozent-Regelung unserer Staatsregierung.
Der Herkulessaal der Residenz bei einem Konzert des BR-Symphonieorchesters - besetzt nach der absurden 25-Prozent-Regelung unserer Staatsregierung. © BR/Astrid Ackermann

Er brauche erst noch "neue wissenschaftliche Erkenntnisse", ehe er über eine Ende der Kapazitätsbegrenzung im Kulturbereich nachdenken könne, sagte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger am Dienstag nach der Kabinettssitzung, in der die geltende Infektionsschutzverordnung um vier Wochen bis zum 9. Februar verlängert wurde.

Demnach ändert sich an den derzeit geltenden Regeln für Theater, Konzertsäle und Kinos nichts: Weiterhin dürfen nur 25 Prozent der Plätze besetzt werden. Städtische und staatliche Theater und Orchester machen zähneknirschend weiter, private Veranstalter können natürlich auch. Sie hoffen, am ausgestreckten Arm verhungernd, auf Entschädigungen, wirtschaftlich sinnvoll ist ihre Tätigkeit kaum.

Ungleichbehandlung von Gastronomie und Kultur: Geistige Bankrotterklärung

Aiwangers Ausrede mit den Studien ist selbst für diesen Politiker erstaunlich. Denn in der Gastronomie erlaubt die Bayerische Staatsregierung volle Häuser, obwohl alle Experten davon abraten und die Ministerpräsidenten eine Beschränkung auf Geimpfte, Getestete und Geboosterte beschlossen haben.

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In der Kultur - wo von der Staatsregierung bestellte Studien längst weitgehende Unbedenklichkeit bescheinigt haben - besteht sie auf Masken, 2G plus und eine rigorosen Kapazitätsbeschränkung auf 25 Prozent der Plätze. Nach dieser Logik ist es demnach sicherer, ungetestet in einem vollen Raum ohne Maske zu sitzen als getestet und maskiert in einem fast leeren Raum. Das ist eine geistige Bankrotterklärung.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zuletzt in ungewohnter Deutlichkeit durchblicken lassen, dass es diese Ungleichbehandlung von Kultur und Gastronomie für nicht zulässig hält. Die Regierungsparteien, die bei anderer Gelegenheit den Rechtsstaat wie eine Monstranz vor sich hertragen, lassen das an sich abgleiten.

Anpassungen in der Kultur höchstens ein Gnadenakt

Staatskanzleichef Florian Herrmann und Gesundheitsminister Klaus Holetschek ließen bei der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung zwar durchblicken, dass ihnen die Widersprüche bekannt seien und in der kommenden Woche womöglich über Anpassungen beraten werde. Aber die werden höchstens als Gnadenakt gewährt.

Aiwanger verdrückte eine Krokodilsträne für das längst verschwundene kleine Kino an der Ecke und ließ durchblicken, dass er die Gastronomie durch die Sperrstunde und die Schließung von Bars und Diskotheken ohnehin für übermäßig belastet hält.

Womöglich wird schneller als erwartet eine Inzidenz von 1.000 erreicht, bei der laut geltender Verordnung ein "Hotspot-Lockdown" eintritt, bei dem Kultur und Gastronomie schließen. Statt des Lockdowns kommt nun wohl eine Art "atmender Deckel" - allerdings nicht wegen der Kultur und der Gastronomie, sondern wegen der kritischen Infrastruktur.

Bayern ist eben kein Kulturstaat

Es mag sein, dass es angesichts steigender Infektionszahlen und der hochinfektiösen Omikron-Variante eine Lockerung bei Veranstaltungen derzeit das falsche Signal wäre. Dann müsste man das aber auch so begründen.

Bayern ist eben kein Kulturstaat, wie unsere Verfassung trotzig behauptet, sondern ein dimpfeliger Gastwirte - und Seilbahnbetreiberstaat. Auch im zweiten Jahr hat Bayerns Wirtschaftsminister noch immer nicht verstanden, dass Kultur nicht vom Geist allein lebt, sondern ein Wirtschaftsfaktor ist.

Politiker der CSU und der Freien Wähler fühlen sich eben in aerosolgesättigten Bierkellern wohler als in der innerhalb einer Viertelstunde komplett ausgetauschten Luft eines Theaters. Deshalb schicken sie jetzt die Bürger zum Infizieren ins Gasthaus, damit der Kulturbereich im Frühjahr noch länger als nötig stillsteht.

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