Interview

Künstlersoforthilfen wegen Corona: Das Bürokratiemonster

Solo-Selbstständige, die derzeit nicht arbeiten dürfen und staatliche Hilfen beantragen, müssen sich mit einem undurchschaubaren Wust an Vorschriften auseinandersetzen.
Robert Braunmüller
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Wenn Bühnen und Zuschauerräume frei bleiben, verdienen Künstler nichts. Lieder hakt es immer wieder bei den Entschädigungen.
Wenn Bühnen und Zuschauerräume frei bleiben, verdienen Künstler nichts. Lieder hakt es immer wieder bei den Entschädigungen. © dpa

München - Im vergangenen Jahr gab es erst für drei Monate maximal 1.000 Euro für Künstler und andere Solo-Selbständige, die von Auftritten leben, aber nicht auftreten durften. Im Herbst versprach Markus Söder im Landtag Hilfen "bis zum Ende der Pandemie". Sie wurden mit Verzögerung aufgelegt und kranken an komplizierten Regeln. Olaf Kühne berät Betroffene ehrenamtlich beim Stellen der Anträge.

Coronahilfen kommen in der Regel recht schnell bei Künstlern an

AZ: Herr Kühne, kommen die versprochenen Gelder bei den Betroffenen an?
OLAF KÜHNE: In der Regel schon. Teilweise geht das auch recht schnell. Aber es gibt trotzdem Problem, insbesondere bei der Kombination der November- und Dezemberhilfen des Bundes und der bayerischen "Künstlerhilfe 1".

Wo hakt es denn?
Einerseits darf ein fiktiver Unternehmerlohn nicht angerechnet werden, andererseits müssen Kleinbeihilfen angegeben werden. Und als solche gilt in Bayern der fiktive Unternehmerlohn, der für die private Lebenshaltung ausgegeben werden darf. Stellt man nun einen Antrag für November und Dezember und hat im Vorfeld eine "Künstlerhilfe 1" für Solo-Selbstständige beantragt, wird es in dem bei vielen Steuerzahlern bekannten Programm "Elster" schwierig.

Probleme bei der Beantragung der finanziellen Hilfen

Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Angenommen, ein Künstler lebt primär von seinen Auftritten beim Sommer- und Wintertollwood und verdient dazwischen nichts. Dann erfüllt er - weil beide Veranstaltungen abgesagt werden mussten - die Bedingungen für beide Hilfen in der Höhe von maximal 5.000 Euro. Noch einmal angenommen, dass er einen Jahresumsatz 2019 von 30.000 Euro hatte, würde er auf einen durchschnittlichen Monatsumsatz von 2.500 Euro kommen. Für die November und Dezemberhilfe des Bundes, kann er aber wahlweise die höheren Umsätze aus diesen Monaten 2019 angeben. In unserem Beispiel 7.500 Euro Umsatz pro Antragsmonat. Dementsprechend würde er eine höhere November-und Dezemberhilfe erhalten. In der Software ist man aber verpflichtet, jede Kleinbeihilfe für November und Dezember 2020 anzugeben. Der fiktive Unternehmerlohn ist gleichzeitig eine Kleinbeihilfe. Obwohl sie nach den Angaben auf der Website nicht von der Hilfe abgezogen werden dürfte, geschieht das trotzdem und er bekommt weniger Geld als ihm zustünde. Aber das ist noch nicht alles.

"Da versucht der Hund, den eigenen Schwanz zu fangen"

Olaf Kühne, geboren 1957 in Berlin, war Steuerbeamter und arbeitet seit 40 Jahren als Unternehmensberater. Außerdem ist er geschäftsführender Gesellschafter einer Veranstaltungs-GmbH in Augsburg.
Olaf Kühne, geboren 1957 in Berlin, war Steuerbeamter und arbeitet seit 40 Jahren als Unternehmensberater. Außerdem ist er geschäftsführender Gesellschafter einer Veranstaltungs-GmbH in Augsburg. © Privat

Nämlich?
Laut einer Leitlinie des Bayerischen Obersten Rechnungshofs darf es nicht zu einer Überkompensation der Hilfen kommen: Man darf nicht mehr bekommen, als man mit einer Tätigkeit während der Pandemie hätte einnehmen können. Aber niemand sagt, wie die berechnet wird. Die Bayerische Hilfe berechnet sich nach dem durchschnittlichen Jahresumsatz 2019, die Bundeshilfe wird nach dem erhöhten Umsatz des Monats November oder Dezember 2019 berechnet. Insgesamt darf es aber bei beiden nicht mehr sein als der Jahresumsatz aus 2019. Ergo kann es schon bei der November- und der Dezemberhilfe alleine zu einer Überkompensation kommen, wenn es nicht einheitlich gesetzlich geregelt wird. Dann würde es wieder Probleme bei der obligatorischen Endabrechnung, bei der auch wieder die Soforthilfe aus dem Frühjahr einbezogen wird, die womöglich wieder zurückbezahlt werden muss.

Das ist ziemlich kompliziert.
Ja, da versucht der Hund, den eigenen Schwanz zu fangen. Die Behörden sind auch verpflichtet, die Frage einer Überkompensation zu prüfen. Und die wird in jedem Bundesland verschieden berechnet und von der EU womöglich noch einmal anders. Es gab auch schon Strafanzeigen, obwohl der Antragsteller alles korrekt angegeben hat. Und es führt dazu, dass Behörden, die eigentlich nur die bayerischen Hilfen durchführen sollen, sich mit den Programmen des Bundes auseinandersetzen müssen.

Nur Oberbayern gibt endgültige Bescheide für Künstlerhilfen aus

Man könnte auf den Gedanken kommen, die Künstlerhilfen seien mehr ein Beschäftigungsprogramm für Steuerberater.
Selbst Steuerberater, Juristen und Fachjuristen steigen da aus, weil sie sich selbst als "prüfende Dritte" nicht strafbar machen wollen. Ich finde, dass der behördliche Aufwand, auch bei der Nachprüfung, in keinem Verhältnis zu den Hilfen mehr steht. Viele Soloselbstständige hatten außerdem bisher auch keinen Steuerberater.

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Ist unser Steuerrecht nicht ohnehin zu kompliziert?
Das stimmt sowieso. Das gilt aber auch für andere Teile der Verwaltung, und die Corona-Pandemie macht das sichtbar. Übrigens scheint es auch so zu sein, dass der Bezirk Oberbayern als einziger endgültige Bescheide über die Künstlerhilfe herausgibt, während alle anderen bayerischen Bezirke nur vorläufige Bescheide erlassen. Wenn es stimmt, sind die Künstler in Oberbayern sicher, während alle anderen noch mit einer Nachprüfung und gegebenenfalls mit Rückzahlungen rechnen müssen.

"Fürchte unter Künstlern und Soloselbständigen ein kleines politisches Erdbeben"

Wie reagieren Künstler auf dieses kafkaeske Durcheinander?
Ich berate ehrenamtlich. Aber ich nehme nicht nur Dankbarkeit, sondern auch viel Verunsicherung wahr. Ich fürchte unter Künstlern und Soloselbständigen ein kleines politisches Erdbeben. Ich höre oft, dass Betroffene sagen, sie wollten der Politik einen Denkzettel verpassen. Und was daraus wird, kann man - leider - bei den Demonstrationen der sogenannten Querdenker sehen.

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