Krebsgeschwüre von Leipzig bis Corleone
Das Mafia-Buch von Petra Reski warnt eindringlich vor der Ausbreitung der Macht der Clans in Deutschland
Die Mafia? Das war aus deutscher Sicht über Jahrzehnte eine Mischform aus spannender Hollywood-Unterhaltung und italienischer Folklore. Bis der sechsfache Auftrags-Mord in Duisburg im August 2007 die Öffentlichkeit und die Behörden aus der Naivität aufschreckte. Nur kurzzeitig, denn geschehen ist im Anschluss an die frivole Machtdemonstration der ’Ndrangheta überhaupt nichts.
Autorin Petra Reski kennt die Mafia hingegen als tägliche Realität. Von ihrem Wohnsitz in Venedig aus recherchiert sie Mafia-Geschichten, nach Duisburg stand ihr Telefon nicht mehr still. Reski aber hat sich für ihr Buch „Mafia“ Zeit gelassen, fuhr erst Monate nach der Belagerung San Lucas durch deutsche Medien in das kalabresische Dorf der zwei verfeindeten Clans, oder ins sizilianische Corleone und breitet auf unterhaltsame Art ihr Wissen über das organisierte Verbrechen aus.
„Die Verkommenheit der Politik in Sizilien und Kalabrien ist grenzenlos“, zitiert Reski Oberstaatsanwalt Salvatore Boemi, Leiter des Antimafiapools in Reggio Calabria. In manchen Landstrichen in der Umgebung soll jeder vierte Bewohner direkt zu ’Ndrangheta gehören, kein Geschäft, kein öffentlicher Bauauftrag funktioniert ohne die „Sicherheitssteuer“ – zwischen drei und fünf Prozent. „Das Geheimnis des jahrhundertelangen Überlebens der Mafia besteht darin, den Staat und die Gesellschaft nicht bekämpft, sondern in und mit ihnen gelebt zu haben“, schreibt Reski.
Ostdeutschland ist ein Paradies für die Mafia
Das tun die Clans mittlerweile auch in Deutschland nahezu unbehelligt, da den hiesigen Ermittlern häufig die Hände gebunden sind. Heinz Sprenger, Leiter der Duisburger Mordkommission, erläutert in Reskis Buch verständlich die juristische Misere.
„Die Karte der Mafiasitze aus den Akten der italienischen Ermittler zeigt viele Städte: Stuttgart, Leipzig, München, Frankfurt. Alle Clans haben hier Vertretungen. So hat es mich sehr verwundert, dass erst nach dem Massaker von Duisburg Deutschland aufgewacht ist", sagte schon der von der Mafia verfolgte Autor Roberto Saviano („Gomorrha“). Wie er vermutet auch Reski die meisten Mafia-Aktivitäten in Ostdeutschland, das nach der Wende paradiesische Zustände bot.
Reski lehnt sich noch weiter aus dem Fenster: Sie wundert sich, dass die Verbindung mit dem kalabresischen Pizzabäcker Mario Lavorato für den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger folgenlos blieb, obwohl Lavorato dessen Wahlkampf angeblich mit Geld unterstützen wollte. Und sie stellt den Wahrheitsgehalt italienischer Aufsteigergeschichten (vom Kellner zum Luxus-Hotelbetreiber) massiv in Frage – für Reskis schlichtweg Ammenmärchen zur Verdeckung von Geldwäsche. Ihre Botschaft ist unmissverständlich: Wenn sich das deutsch-italienische Zusammenspiel auf juristischer Ebene nicht verbessert, wird sich das Krebsgeschwür der Mafia ungebremst in Deutschland ausbreiten.
Volker Isfort
Petra Reski, "Mafia" (Droemer, 335 Seiten, 19.95 Euro). Am Sonntag, 16.11., um 11 Uhr stellt die Autorin ihr Buch mit Giovanni di Lorenzo im Literaturhaus vor