Krämpfe und Kämpfe
Neue Musik in unserer Stadt: Avantgarde bei der musica viva und dem Münchener Kammerorchester
Da gibt es Qualität wie nirgends sonst in Europa“, lobte der städtische Kulturreferent Hans-Georg Küppers kürzlich. Trotz fröhlich gelebter Volkskultur habe sich München mit der Musiktheater-Biennale, der musica viva und dem Kammerorchester zu einem Zentrum zeitgenössischer Musik entwickelt.
Bei zwei Veranstaltungen der vergangenen Woche ließ sich dieser Zustand nahezu exemplarisch überprüfen. Am Mittwoch gastierte Helmut Oehrings „Quixote oder Die Porzellanlanze“ in der hoffentlich auch mit ein paar zahlenden Besuchern ordentlich belebten Muffathalle. Theoretisch hätte dieses einstündige Opus klappen können: Politischer Widerstand und der traurige Ritter passen ebenso zusammen wie Gitarren mit einem spanischen Stoff. Ohnehin überlässt die Avantgarde dieses wendige Instrument zu oft dem Pop.
Franco noch einmal bekämpfen
Nur: Von Kraftausbrüchen abgesehen, erschöpfte sich der Abend der musica viva in einem Hörspiel ohne szenische Notwendigkeit. Ein zauselbärtiger Kontrabassist riss rezitierend zwischen der RAF, Peter Weiß und dem KZ-Grauen alles mögliche an. Wieder siegte ein Intellektueller im Spanischen Bürgerkrieg moralisch über Franco, als sei das Land nicht seit 1978 parlamentarische Monarchie.
Irgendwann wurde behauptet, die Erinnerung sei die Mutter der Kunst. Ein wahres Wort, gewiss. Aber, und insofern war der Abend typisch, warum verschleißt sich die Neue Musik in verblassenden Kämpfen der Vergangenheit, statt die Auseinandersetzung mit der Gegenwart zu wagen?
Mix mit Mozart
Das Münchener Kammerorchester ist da einen Schritt weiter. Bei den wohlgefüllten Abo-Konzerten im Prinzregententheater predigt es nicht allein den Bekehrten. Mozart und Dvorák umrahmten György Ligetis Klavierkonzert von 1988, das sich anschickt, ein Klassiker zu werden.
Mit der für ein Solokonzert-Dramatik des Kampfs zwischen dem Einzelnen und der Masse hat die Neue Musik ihre Probleme. Die einzige Ausdruckspassage durften Piccolo- und Lotusflöte spielen, während sich das Klavier mit heikler Rhythmusziselierung abmühte. Maki Namekawa versank öfter im durch exzellente Gast-Bläser bereicherten Kammerorchester unter Dennis Russell Davis. Ein ganz normales Konzert, aber aufregender als Oehrings bemühte Krämpfe.
Robert Braunmüller