Kosten von über 700 Millionen Euro: Münchens OB Dieter Reiter verspricht Gasteig-Sanierung

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter kündigt beim Kulturempfang die große Lösung für den Gasteig an: Nicht weniger als eine Generalsanierung soll es werden. Diese würde über 700 Millionen Euro kosten. Beteiligt sich der Freistaat Bayern daran?
von  Robert Braunmüller
Dieter Reiter bei seiner Rede vor dem Gasteig.
Dieter Reiter bei seiner Rede vor dem Gasteig. © Käthe deKoe

München - Entscheiden muss der Stadtrat im Herbst – mit Blick auf den Stadthaushalt. Aber der Oberbürgermeister hat sich in seiner Rede beim Kulturempfang am Montagabend im Celibidache-Forum des Gasteig zumindest mit einer bekannten Münchner Floskel festgelegt: "Wer ko, der ko", sagte Dieter Reiter vor 300 Vertretern des Münchner Kulturlebens, als es um die Sanierung des Gasteig ging.

Den Spruch prägte der niederbayerische Kutscher Franz Xaver Krenkl, als er – verbotenerweise – das Gefährt von König Ludwig I. überholte. Man könnte das zeitgemäß als "dicke Hose" übersetzen. Und bezogen auf den Gasteig heißt das: "Ich, der Oberbürgermeister, bevorzuge bei der Gasteig-Sanierung die sogenannte Generalsanierung, die auf eine Neukonzeption des Gebäudes nach der Planung des Architekten Gunter Henn hinausläuft."

Sanierung notwendig: Haustechnik und Brandschutz im Gasteig sind in die Jahre gekommen

Die Äußerung Reiters kam nicht ganz überraschend: Die Zwischennutzung des Gasteig durch die "Fat Cat" gilt zwar als Erfolgsmodell – zugleich erinnert sie aber auch jeden Tag an den in Sichtweite des seit der Eröffnung des Gasteig im Jahr 1985 unternutzten Kongresssaals des Deutschen Museums, des wohl peinlichsten Leerstands der Stadt, für den aber der Freistaat und der Bund verantwortlich sind.

Der Gasteig, die Millionen-Baugrube im Stadtteil Haidhausen.
Der Gasteig, die Millionen-Baugrube im Stadtteil Haidhausen. © Peter Kneffel/picture alliance/dpa

Über die Sanierung des nach Eigendarstellung größten Kulturzentrums Europas wird seit Jahren diskutiert. Der Bau kostete – nach mehrfachen, die Kosten in die Höhe treibenden Planänderungen – 372 Millionen Mark. Nach 38 Betriebsjahren müssen Haustechnik und Brandschutz auf den neuesten Stand gebracht werden.

Auch bei der Akustik der Philharmonie, dem unzureichenden Carl-Orff-Saal und der Bibliothek gibt es Verbesserungsbedarf, der in der langen Ära des Oberbürgermeisters Christian Ude unter Verweis auf angeblich bis zu 10.000 tägliche Besucher lange als bildungsbürgerliches Genörgel abgetan wurde.

Kosten zu hoch: CSU und Grüne pochten dennoch auf Generalsanierung des Gasteig

Seit 2008 ist klar, dass eine Sanierung ansteht. Nach langen Jahren des Nichtstuns und der Schönheitsreparaturen beauftragte der Stadtrat 2015 die städtische Betriebs-GmbH, mit den Münchner Philharmonikern, der Stadtbibliothek, der Musik- und Volkshochschule sowie anderen Nutzern ein Nutzerbedarfsprogramm zu erstellen. Auf dieser Basis fand ein unentschieden endender Architekturwettbewerb statt, an den sich ein Rechtsstreit anschloss.

Im Frühjahr 2019 bekam die SPD im Stadtrat plötzlich kalte Füße. Teile der Fraktion fanden die 450 Millionen Euro für die Generalsanierung zu hoch und befanden, für 300 Millionen müsse man doch mehr bekommen als eine Grundsanierung. Bei der Abstimmung im Stadtrat unterlag die SPD (einschließlich Oberbürgermeister) der CSU und den Grünen, die an der Generalsanierung festhalten wollten.

Baureferat übernimmt Planung: Ein Investor für den Gasteig wurde dennoch nicht gefunden

Das im Wettbewerb siegreiche Architekturbüro Henn legte 2020 eine Vorplanung vor. Sie sieht eine weitgehende Neukonzeption des Gebäudes vor. Eine gläsernen "Kulturbühne" soll den Bibliothekstrakt mit Philharmonie verbinden und primär der Kulturvermittlung dienen.

Um angesichts steigender Kosten den politischen Rahmen von 450 Millionen einzuhalten, wurde der Gasteig GmbH die Planung entzogen und dem Baureferat übertragen. Im gleichen Jahr beschloss der Stadtrat, für die Sanierung des Gasteig einen Investor zu suchen. Der wurde von der Zweiten Bürgermeisterin Katrin Habenschaden leider nicht gefunden.

Die Planung für den neuen Gasteig mit einem gläsernen Verbindungstrakt zwischen Bibliothek (links) und Philharmonie.
Die Planung für den neuen Gasteig mit einem gläsernen Verbindungstrakt zwischen Bibliothek (links) und Philharmonie. © Henn Architekten

Gleichzeitig schritten die Vorbereitungen zur Sanierung weiter voran. Im Herbst 2021 wurde die als Interim geplante, erstaunlich gelungene und auch erstaunlich günstige Isarphilharmonie gegenüber dem Heizkraftwerk Süd eröffnet. Sie kostete (einschließlich weiterer Interimsbauten) nur 70 Millionen Euro.

Das Rathaus rechnet noch einmal nach: Generalsanierung würde über 700 Mio. Euro kosten

Die Stadtbibliothek bezog ein Ausweichquartier im Motorama, auch die anderen Institutionen verließen das Gebäude, das zwischenzeitlich als Impfzentrum diente und danach größtenteils leer stand. Im Februar wurde eine kulturelle Zwischennutzung von Teilen des Gebäudes für Ateliers und Übungsräume beschlossen.

Sie wird durch die gemeinnützige GmbH "Fat Cat" organisiert und ist – vorerst – bis Ende 2023 befristet. Zuletzt kündigte der Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner, was als Krisensymptom gedeutet werden darf.

Das Ausweichquartier des Gasteig in Sendling.
Das Ausweichquartier des Gasteig in Sendling. © Esch/gmp-Architekten

Die Sanierung ist innerhalb der grünroten Rathauskoalition umstritten. CSU und Grüne gelten als Befürworter einer Generalsanierung mit einer Neukonzeption des Gebäudes, Teile der SPD favorisierten eine Generalsanierung mit einer Optimierung der Philharmonie, aber ohne größere Veränderungen im Bibliotheks- und Verwaltungstrakt.

Zwischenzeitlich hat die Stadt die Kosten neu durchgerechnet: Die Generalsanierung soll mit 710 Millionen Euro nur 100 Millionen teurer kommen als die 604 Millionen teure Grundsanierung, bei der man nicht sehen würde, wofür das viele Geld ausgegeben würde.

OB Reiter will, dass sich der Freistaat an der Sanierung beteiligt

Das könnte einen Sinneswandel beim Oberbürgermeister hervorgerufen haben, der sich mit "Wer ko, der ko" auf die Seite der "Großen Lösung" zu schlagen scheint. Das ist kulturpolitisch zu begrüßen, dürfte wegen der hohen Kosten aber umstritten bleiben, vor allem, wenn die Stadt mangels Investor selbst als Bauherr auftritt.

Reiter wiederholte beim Kulturempfang in Richtung an den anwesenden Kunstminister Markus Blume seine Einladung, der Freistaat möge sich an der Sanierung beteiligen. Dies wäre das Aus für das Konzerthaus im Werksviertel. Dieser vor allem vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gewünschte Bau ist zum gegenwärtigen Stand der Planung mindestens in Teilen eine Doublette des neuen Gasteig.

Dieter Reiter beim Kulturempfang. Die Inklusion war das große Thema der Veranstaltung.
Dieter Reiter beim Kulturempfang. Die Inklusion war das große Thema der Veranstaltung. © Käte deKoe

Auch hier explodieren die Kosten, derzeit gilt eine von Markus Söder verordnete Denkpause. Und so ganz ist auch nicht einzusehen, wieso jedes Orchester aus Prestigegründen einen eigenen Saal haben soll, zumal niemand die Isarphilharmonie wieder abreißen möchte.

Residenztheaters und Staatsoper: Zahlreiche Sanierungen stehen in München an

Der Staat benötigt für die anstehenden Sanierungen des Residenztheaters und der Staatsoper ebenfalls Interimsbauten, die auf dem freiwerdenden Gelände im Werksviertel errichtet werden könnten.

Ein übergreifendes Gesamtkonzept für die teilweise vom Freistaat, teilweise von der Stadt betriebenen Konzertsäle Philharmonie, Isarphilharmonie, Herkulessaal und Prinzregententheater wurde zur Vermeidung von Überkapazitäten bereits mehrfach, aber erfolglos angemahnt. Insofern gibt es für Politiker mit dicker Hose einiges zu tun – in der Stadt und im Freistaat.

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