Kopftheater und großes Tischtennis
Den Finger dem anderen ins Ohr stecken, damit kann man Lebensgeister wecken. Gerade bei einer Mutter, die immer wieder einschläft, mitten im Erzählen, als ob ihr der Strom, die Phantasie ausgeht. Peer Gynt bringt sie so in die Gänge, doch irgendwann ist sie tot und die Technik, Finger ins Ohr, möchte nichts mehr auslösen. Da wird das Spiel plötzlich tragisch, und Peer Gynt oder sein Darsteller Nils Kahnwald wütet, denn das ist nicht mehr lustig: Der Tod ist eine gar böse finale Phantasie, so hat es Ibsen eben geschrieben.
Eindringen, ins Hirn eines Realitätsflüchtlings und Weltenschöpfers, will Antú Romero Nunes in seiner „Peer Gynt”-Inszenierung für das Schauspiel Frankfurt, mit dem „Radikal jung” im Volkstheater zum Start auf Touren kam. Der Trip ins Reich der Trolle ist bei Nunes Gynt-Kopfkino mit drei Schauspielerin und reduzierten Mitteln, ein Hochstapeln der Illusionen auf fast leerer Bühne, bei dem Scheinwerfer wie Neonlichter die Fantasieräume des Spinners warm bis kalt beleuchten.
Als Satelliten um den um sich selbst kreisenden Gynt/Kahnwald üben sich Michael Goldberg und Henrike Johanna Jörissen im Wechselspiel zwischen Ironie und Ernst - dem eindeutig großen Gefühl traut Nunes nicht. Die berühmte Zwiebelszene, in der Gynt keinen Kern findet, muss zerspielt werden, ein überlanger Film führt Kahnwald nackt-beknackt ins nächtliche Frankfurt, gefilmte Realität, also irgendwie nicht real. Das ist dann doch zu albern, aber Nunes versteht es, einen nicht greifbaren Zauber entstehen zu lassen: „Glauben, hoffen, lieben” soll das Publikum, animiert von Gynts Geliebter Solveig, zuletzt rufen, und die Phrase setzt sich, in der Wiederholung hohl oder berührend, im Ohr fest.
Mit noch weniger Mitteln, noch mehr Spielwitz bewiesen Tanya Erartsin, Sascha Ö. Soydan und Inka Löwendorf, in „Arabqueen” aus Berlin, dass es möglich ist, das Leben einer jungen Muslimin in Neukölln zu spielen, ohne im depressiven Sozialkitsch zu landen. Erst fühlt man sich im Laientheater, eine Kerzen-Prozession, viel „Yallah, yallah!” und Jugendslang, aber Soydan und Löwendorf wechseln die Rollen so virtuos, mit dem richtigen Gefühl für den nötigen Ernst und die noch nötigere Komik, mit Erartsin als starkem Zentrum, dass man meint, einem „echten” Stück Leben beizuwohnen. Teigkneten als Metapher für das Alpdrücken der Tradition, beim Tanzen befreit sich der Körper. Selbstsuche als witzige Performance, von Nicole Oder ideenreich inszeniert, mit ein paar Tischtennis-Zauber-Tricks, die auch Peer Gynt gefallen hätten.
Heute, Montag, 18 und 21 Uhr, „Dorian Gray” im Volkstheater, 20.30 Uhr „Stiller”, in der Reithalle