Konstantin Wecker: Die entwaffnende Zärtlichkeit des Pazifismus

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Während ich gerade an einem Manifest zur "Systemrelevanz" der Kultur in Zeiten der Pandemie schreibe, erreicht mich diese DPA-Meldung:
"4. November 2020: Dank brummender Geschäfte in den USA und Europa hat der Waffenhersteller Heckler & Koch einen deutlichen Gewinnsprung verbucht. In den ersten neun Monaten lag der Gewinn nach Steuern bei 13 Millionen Euro gegenüber 1,3 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum, wie das Unternehmen mitteilt. Der Umsatz kletterte um 12 Prozent auf 207,5 Millionen Euro." Ich könnte kotzen.
Mit Pazifismus Frieden wahren
Da haben KünstlerInnen, VeranstalterInnen, Gastronomen und so viele Selbstständige mehr kein Geld mehr, aber ein verbrecherisches und menschlich verwerfliches Unternehmen steigert den Gewinn mit Werkzeugen, die einzig der Vernichtung des Menschlichen dienen. Was zeigt: Es ist immer Zeit für die Frage: "Wie Frieden wahren?"
Und ich kann sie nur als bekennender Pazifist beantworten: Mit Pazifismus!
Wecker: Für Pazifismus muss man sich entscheiden
Pazifismus - dessen bin ich mir bewusst - kann man nicht anderen überstülpen. Man muss sich persönlich dafür entscheiden. Und dann versuchen, diese Idee selbst zu leben. Und andere dafür zu begeistern. Das versuche ich seit über einem halben Jahrhundert mit meinen Liedern und Gedichten, in Büchern und Interviews und auf unzähligen Demonstrationen.

Je älter ich werde, desto sicherer bin ich mir: Der Gehorsam, dieser bedingungslose Gehorsam einem anderen Menschen gegenüber - welche Rangordnung er auch immer in der jeweilig anerkannten Gesellschaftsordnung einnimmt -, ja, dieses Eichmannsche Kopfeinziehen, diese "Banalität des Bösen", wie es Hannah Arendt nannte, dieses geduckte und stramme Gehorchen ist eines der Grundübel unseres ausschließlich auf Macht basierenden menschlichen Zusammenlebens.
Antwort auf Krieg kann nur Gewaltlosigkeit sein
"Die Welt soll durch Zärtlichkeit gerettet werden", schreibt Dostojewski. Das Zarte ist als Begriff seit dem Mittelhochdeutschen beheimatet und meint so viel wie "berühren", "sich vorsichtig nähern", und nur durch diese "vorsichtige Annäherung", nur durch zärtliches Handeln und Denken können wir uns wieder als Gemeinwesen entdecken. Eben nicht als gemeine Wesen, zu denen uns der Neoliberalismus immer erziehen will, sondern als Wesen einer Gemeinschaft. Die Antwort auf Krieg kann nur Gewaltlosigkeit sein. Hoffen wir, dass unsere Ohnmacht den Mächtigen ein zärtlicher Stachel im erkalteten Herzen ist!
Mein Pazifismus ist von meinem Elternhaus geprägt. Ich hatte das große Glück, antifaschistische Eltern zu haben, keine aktiven Widerständler, aber sie widerstanden als bekennende Humanisten.

NS-Zeit wurde bei Wecker zu Hause offen besprochen
Und so konnte ich mit ihnen schon als kleiner Junge über diese grässliche NS-Zeit offen reden. Es wurde nichts - wie bei vielen meiner Schulfreunde - aus Scham totgeschwiegen. Ich hatte - was für ein Glück! - einen sanften, antiautoritären Vater, geboren in einer Zeit, da der Militarismus große Teile der Welt beherrschte und das Autoritäre die Seelen der Kinder vernichtete.
Dieser Vater hat sich dem Gehorsam des Militärs verweigert, als Widerstand ungemein gefährlich war. Er sah nicht ein, sich von irgendeinem völkischen Vollidioten anbrüllen zu lassen in einer Kaserne, die viel zu weit weg war von seinem Elternhaus, zu weit weg von seiner Vorstellung einer geborgenen Welt. Mein Vater war es, der mir sagte: Wieso hätte ich auf jemanden schießen sollen, den ich gar nicht kenne?
Wie durch ein Wunder hat er seinen Ungehorsam überlebt.
Vor Beginn des Irakkrieg dort unterwegs
Anfang 2003, einige Wochen vor Beginn des Irakkriegs, war ich mit der "Gesellschaft Kultur des Friedens" im Irak. Wir haben mit den Menschen gesprochen, uns für Patenkinder eingesetzt und ein Konzert mitgestaltet. Medial wurde ich teils scharf angegriffen. Mein Reisetagebuch hat die Abendzeitung veröffentlicht. Die Maschine ist bis auf den letzten Platz gefüllt mit Irakern und Friedensgruppen aus aller Welt. Das Anliegen der amerikanischen FriedensaktivistInnen, "die Gesichter der irakischen Bevölkerung zu sehen und die Spirale der Gewalt zu durchbrechen", deckt sich mit dem unseren.
Für die frühere US-Außenministerin Albright war der Tod von über Hunderttausend irakischen Kindern durch Krieg und Embargo ein Kollateralschaden, ein Preis, der es "wert war, bezahlt zu werden". Diesem Zynismus kann und will ich mich nicht anschließen. Auf dem Reißbrett der Militärs werden Menschen verschoben wie Zahlen. Von Strategen, die nicht daran denken würden, sich selbst oder ihre Kinder zu opfern. Auf den Schlachtfeldern haben diese Zahlen ein Gesicht, eine Geschichte, sind voller Hoffnung und Sehnsucht, haben Familie und Träume. Und sie wollen leben!
Als Ende 2015 die Willkommenskultur ins Wanken geriet, habe ich mit einem Buch aufgerufen: "Dann denkt mit dem Herzen!".
Auszug aus Weckers Buch
"Hass ist,
wie wenn man Gift zu sich nähme,
in der Hoffnung damit seinen Feind zu töten.
Und wer hasst,
kann sich des größten Geschenkes der Liebe nicht erfreuen:
der Vergebung.
Wenn wir unseren Feinden vergeben,
lernen wir auch, uns selbst zu vergeben.
Und nur dann wird es uns möglich sein,
aus unserem hasserfüllten Kosmos auszubrechen,
mit zu fühlen mit dem Leid des Gegners
und somit auch selbst den Weg des Friedens zu gehen.
Keiner Ideologie, keinem politischen Machthaber war je daran gelegen,
den Feind wirklich zu verstehen.
Ideologien nähren sich an ihrem jeweiligen Feindbild,
sie wachsen daran,
bis sie letztendlich zerplatzen und wieder neue Feinde gebären.
Letztlich sind wir nur Kanonenfutter,
denn solange auch nur ein Mensch am Krieg Geld verdient,
wird es Kriege geben.
Wie es aussieht, werden wir diese Welt nicht friedlicher machen.
Aber wir sollten es trotzdem versuchen.
Der Liebe zuliebe."
Der Terror ist machtlos gegen unsere Willkommenskultur
Am 16. November 2015, nach den Anschlägen von Paris, war es mir wichtig zu schreiben: "Lasst uns in unserer berechtigten Wut über diese barbarische, durch nichts zu entschuldigende Tat nicht die Ärmsten der Armen zu Sündenböcken machen. Die Unmenschlichkeit dieser Anschläge darf uns nicht unserer Menschlichkeit berauben."

Am 4. Dezember 2015 musste ich konstatieren - und es liest sich jetzt, nach den Ereignissen in Wien, leider aktueller denn je: "Die größten Feinde des IS sind Zärtlichkeit und Großherzigkeit. Mit Bomben können die Herren Krieger umgehen, das sind sie gewöhnt, das ist ihre Sprache. Aber unsere mittlerweile viel geschmähte ,Willkommenskultur' ist ihnen suspekt. Wenn sich Christen, Juden und Moslems vertragen und miteinander respektvoll umgehen, fällt es Terroristen schwer, verzweifelte, verängstigte und hassende junge Männer zu rekrutieren. Einmal muss der wahnwitzige Kreislauf der andauernden gewalttätigen Vergeltung durchbrochen werden. Mit dem Frieden muss man beginnen, auch wenn man das Ende der Kriege kaum noch selbst erleben wird."
Krieg als Mittel gegen den Zusammenbruch des Kapitalismus
Machen wir uns nichts vor: Im Endeffekt geht es bei Kriegen ums Geschäft. Der Bau neuer Brunnen und der Schutz afghanischer Frauen gehören bestenfalls zum Kollateralnutzen. Ihm stehen Tausende getötete Zivilisten gegenüber.
Wäre der westlichen Kriegsallianz an den Menschenrechten gelegen, so müsste sie nahezu überall einmarschieren, einschließlich Saudi-Arabiens, der Türkei und der USA selbst. Aber man entrüstet sich höchst selektiv. Krieg ist nun mal das beste Mittel, um die endgültige Katastrophe des kapitalistischen Wirtschaftssystems immer wieder hinauszuschieben.
Sicher, die Bellizisten sehen durch Pazifismus ihre Pfründe bedroht und ihre festgefahrenen Denkmuster. Aber einige, glaube ich, spüren tief in sich, dass sie selbst auch verpflichtet wären, gegen Krieg etwas zu tun. Wir wollen das Ende eines gescheiterten welthistorischen kapitalistischen Experiments nicht mehr auf Kosten von Millionen von hingeschlachteten Menschen hinausschieben.
Stimme erheben für die Schutzsuchenden
Und jetzt muss ich wieder hinzufügen: "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!" Denn wir wollen menschliche und solidarische Alternativen aufbauen. Und die Gefahr ist groß: Die braunen Menschenfänger haben schon immer in Zeiten von Angst und sozialer Not falsche Versprechungen gemacht und Ausgrenzung, Rassismus und die Verfolgung von Andersdenkenden und Minderheiten forciert.
Wie den Frieden wahren? Als bekennender Pazifist sage ich: Jetzt ist es an der Zeit über die Utopie zu sprechen einer herrschaftsfreien Welt, wo der Menschen Miteinander unser Sein zusammenhält. Und wir müssen jetzt und sofort unsere Stimme erheben für die Schutzsuchenden, für die Geflüchteten, Gefangenen, Obdachlosen.
Vielleicht kommen wir jetzt alle der Erkenntnis näher, dass wir alle eins sind? Wie ich es seit vielen Jahren immer wieder singe:
. . . es ließ mich erkennen
wir sind nicht zu trennen
woher wir auch stammen
wir sind eins und zusammen."