Kommentar zu Gendern: Richtig oder Falsch?

Die Debatte um das (richtige) Gendern wird auch in der AZ-Redaktion geführt. Lokalredakteurin Anja Perkuhn und Kultur-Redakteur Adrian Prechtel mit einem Kommentar.
von  Anja Perkuhn, Adrian Prechtel
Anja Perkuhn und Adrian Prechtel über das "Gendern".
Anja Perkuhn und Adrian Prechtel über das "Gendern". © AZ

Hier lesen Sie die zu den Kommentaren passende Meldung.

PRO

Karin, unser Ingenieur

Sitzen zwei Ärzte abends in einer Kneipe und unterhalten sich. Der eine zum anderen: "Puh, was für eine harte Woche, ich habe drei Herzen transplantiert. Wie war’s bei dir?" Der andere: "Bei mir war’s ruhig. Ich darf ja nicht mehr operieren, weil ich schwanger bin."

Na, gemerkt? Plötzlich haben sich die Menschen verändert, die Sie sich am Anfang vorgestellt hatten. Moment mal, sagen Sie jetzt, was für ein billiger Trick! Ich weiß doch, dass auch Frauen als Ärzte arbeiten können!

Sprache prägt unser Denken. Worte bilden Sprachbilder, die sich festsetzen, und schaffen Vorstellungen von der Welt, wie sie ist. Sie können auch eine Vorstellung von einer Welt schaffen, wie sie sein könnte. Mich hat es auch schon mehr als ein Mal beinahe in den Wahnsinn getrieben, dass ich in einem Artikel eine Wortvolte wie "Stadträte und Stadträtinnen" unterbringen wollte. Das ist umständlich. "Weiß doch jeder, was mit 'Stadträte' gemeint ist", sagt der Kollege – nämlich das Amt. Aber dass mit diesem männlichen Wort das Amt an sich gemeint ist, hat seinen Ursprung darin, dass bis vor gar nicht allzu langer Zeit nur Männer politische Ämter bekleiden durften.

Ach, Sie kennen eine Frau, die das Gendern auch nervig findet und der es nichts ausmacht, wenn sie vorgestellt wird als "Das ist Karin, unser bester Ingenieur"? Erfreulich für Karin – sie gehört zu den glücklichen Menschen, die sich anerkannt fühlen und deshalb manche Umstände für sich persönlich ignorieren können.

Aber in einer Gesellschaft, die nicht aus Spartiaten besteht, geben nicht die Starken vor, was die Schwächeren auszuhalten haben. Dass manche das Gendern als nervig empfinden, als umständlich und überflüssig, sollte nicht mehr wiegen, als dass viele sich endlich gemeint fühlen – statt nur mitgemeint. Anja Perkuhn


CONTRA

Sprachverbrecher*Innen

Stellen Sie sich den Satz vor: "Zur Einweihung der neuen Mensa sind 350 Studenten gekommen." In unserem Kopf entsteht ein sympathisches, buntes Bild, das automatisch Studentinnen einschließt.

Und dass man beim "männlichen" Wort "der Fußballfan" oder "der Einbrecher" eher an einem Mann denkt, dürfte auch normal sein. Was will man aber bei Johann Wolfgang von Goethe "Wandrers Nachtlied" machen? Wirklich "Wandrer*Innens Nachtlied"? Dann wäre in der Poesie wirklich bald Ruh.

Ja: "Sprache schafft Bewusstsein!" Dieser Satz ist grundsätzlich wahr. Aber wenn ein "Ärztekongress" tagt, ist es nicht an der Sprache, dafür zu sorgen, dass es auch ein "Ärztinnenkongress" ist. Keine Medizinstudentin aber wird mehr oder weniger von einem Platzhirsch-Seilschaftler diskriminiert, nur weil am Eingang der Halle nicht "Ärzte*Innenkongress" steht.

Wobei das Sternchen symbolisieren soll, dass es mehr als ein Geschlecht gibt. Womit man bei einem weiteren, fundamentalen Aspekt der Sprache angekommen ist: Abgesehen davon, dass man "Bäcker*Innen" nicht sprechen kann und damit schon ruiniert ist, wofür Sprache vor allem steht: miteinander reden! Vor allem aber ist der gesternte Buchstabensalat unfassbar hässlich.

Ich glaube, dass die hysterische Genderdiskussion vor allem daher rührt, dass 200 Gender-ProfessorInnen-Stellen ihre Berechtigung durch Hyperventilieren beweisen müssen. Ein natürlich sich entwickelndes Sprachsystem per Verordnung ändern zu wollen, ist eine Vergewaltigung der Sprache, der Kultur, der Ästhetik. Und zur Beruhigung der Frauen kann man sagen: Wenn sie sich in unserer letztlich sehr liberalen Gesellschaft ihre Positionen erarbeitet haben, wird keiner mehr beim Wort "Ärztekongress" nur an "Götter-in-Weiß" denken. Adrian Prechtel

 

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