Komik und Rätsel der Krise

Dieter Dorns Uraufführung von Botho Strauß’ „Leichtes Spiel“ im Resi
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Dieter Dorns Uraufführung von Botho Strauß’ „Leichtes Spiel“ im Resi

Aus der Versenkung fahren sie in einer Reihe hoch: Neun Frauen, alle in Rot, alle blond. Sie mustern das Publikum, in dem bei der Premiere auch Philosoph Peter Sloterdijk und Kabarettist Dieter Hildebrandt saßen. Sie kritzeln ihre Namen an die Wand: alles Varianten von Katharina. Jede der Damen spielt in Botho Strauß’ Stück „Leichtes Spiel. Neun Personen einer Frau“ eine Szene ihres Lebens. Im Residenz Theater inszenierte Dieter Dorn mit einem glänzenden Ensemble die Uraufführung dieser Episoden-Folge, in der Strauß einen Querschnitt durch unsere Gesellschaft zieht. Nach dreieinhalb Stunden langer Applaus, besonders auch für den atmosphärisch-groovigen Live-Jazz von Claus Reichstaller und seinen Musikern mit Sängerin Sanni Orasmaa.

Es ist das zehnte Stück (und die fünfte Uraufführung) von Strauß, das Dorn inszeniert. Doch er gibt nicht den Exegeten, sondern lässt den Figuren und oft ins Surreale abhebenden Szenen ihre Rätselhaftigkeit. Auch ob die neun Frauen vielleicht ein und dieselbe sind, bleibt offen. Dafür stellt Dorn den geschliffenen Dialogen wirkungsmächtige Bilder und magische Schauspieler-Momente entgegen. Sein kongenialer Bühnenbildner Jürgen Rose setzt auf der leeren weißen Bühne immer neue starke Zeichen. Eine Treppe durchschneidet diagonal den Raum, ein riesiger Konferenztisch mit 24 angeschraubten Stühlen schwebt herunter, eine überdimensionale Tür öffnet den Blick in die Manageretage, verspiegelte Stellwände machen einen Salon zum Labyrinth. Und wenn sich eine Spiegelwand senkt, sieht man in ihr den auf der Treppe verschwundenen Chor der Katharinen wie im freien Fall.

Krisenstimmung

Botho Strauß, der seismographische Analytiker der Gesellschaft und der Paarbeziehungen, macht Lifestyle und Zeitgeist quer durch die (meist besseren) Schichten dingfest. Es herrscht Krisenstimmung. Panisch kauft eine junge Mutter im Supermarkt ein. Eine coole, habsüchtige Kosmetikproduzentin führt ihren Freier aufs Glatteis, ehe sie seiner geldgierigen Frechheit erliegt: Gina Henkel fährt elegant Schlittschuh, Thomas Loibl zeigt rutschend, stolpernd, fallend pure Slapstick-Komik.

Über das Sprechen denkt der Umständliche nach, der der kreativen Prothesen-Entwicklerin einen Liebesbrief geschrieben hat. Er bündelt seine Gefühle im Namen des Künstlers Wols, sie mampft trotzig Fleischsalat – Lisa Wagner und Jens Harzer liefern ein Glanzstück über Sprachlosigkeit und verfehlte Kommunikation.

Kein leichtes Spiel, leicht inszeniert

Gegen Krisenhaie und Kredit-Kündigung hat auch eine stilbewusste Lady (Ulrike Willenbacher) keine Chance, eine arrogante Bankerin wird entlassen und ausge-ixt. Ein frustriertes Ehepaar um die 50 muss eine Luxus-Suite mit jungen Brautleuten teilen – hinreißend schurigelt Sibylle Canonica nervös den wunderbar verschusselten Gerd Anthoff. Über die Obszönität, einen Mörder (Rainer Bock) als Berühmtheit zu hofieren, empört sich eine Journalistin (Barbara Melzl) und tröstet einen alten Mann (Rudolf Wessely).

Keiner hat bei Strauß leichtes Spiel mit den anderen, doch Dorn gelingt es, das als leichtes, komisches Spiel zu inszenieren. Die Symbolfarbe Rot zieht sich in Accessoires durch, ehe sie im letzten Bild förmlich explodiert: Ganz in Rot, im Tüllfetzenröckchen und mit Wollstulpen, ist das späte Mädchen in einem roten Guckkasten eingesperrt, dem Archiv seines Lebens.

Die Froboess als Zitat

Die Schleife im Haar ist ein Zitat aus der Kinderstar-Vergangenheit von Cornelia Froboess, die den halbstündigen Schlussmonolog zum fulminanten Ereignis macht. Fast singt sie ihre Erinnerungen, turnt an der Ballettstange, tanzt Revueschritte mit dem Zeigestock, legt sich ins Regal – und treibt der Lebensklage mit unglaublicher Heiterkeit und Ironie alles Schwere aus. Da schlägt diese grandiose Aufführung den Bogen zu „Groß und klein“ von Botho Strauß, das Dorn 1979 mit Froboess in der Hauptrolle inszenierte.

Gabriella Lorenz

Residenz Theater, 5., 6., 11., 12., 18., 30. 4., 19 Uhr, Tel.21851940

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